Islamismus:Die Mutter, die ihre Familie in den Terror schickte

Islamismus: Bewacht von kurdischen Milizen, sind im Lager Al-Hol in Nordsyrien viele Frauen von IS-Kämpfern interniert - darunter auch Deutsche.

Bewacht von kurdischen Milizen, sind im Lager Al-Hol in Nordsyrien viele Frauen von IS-Kämpfern interniert - darunter auch Deutsche.

(Foto: Maya Alleruzzo/AP)
  • In Düsseldorf steht eine Frau vor Gericht, die ihre Kinder zum Islamischen Staat nach Syrien verschleppte.
  • Während eines Bombenangriffs im Dezember 2018 starb ihr achtjähriger Sohn.
  • Die Mutter muss sich unter anderem wegen Kindesentziehung mit Todesfolge und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verantworten. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Von Annette Ramelsberger

Als der Ehemann nach zwei Wochen auf Montage wieder nach Hause zurückkehrte, war die Wohnung leer. Die Frau weg, auch die zwei kleinen Töchter und der Sohn. Nur ein Abschiedsbrief lag da, den hatte die Ehefrau an ihre Mutter geschrieben. "Liebe Mama, ich fühle mich hier in Deutschland schon lange sehr unwohl und möchte nicht, dass meine Kinder hier groß werden", schrieb Carla-Josephine S. im Oktober 2015 an ihre Mutter. Die junge Frau aus Oberhausen im Ruhrgebiet suchte für sich und ihre Kinder etwas, wo sie sich wohler fühlen konnte als in Deutschland. Sie suchte nicht nur ein anderes Land, sie suchte das Paradies.

Deshalb verließ sie ihren Mann, packte die Kinder ein und fuhr zum Flughafen Amsterdam. Von dort flog sie Richtung Südosten. Carla-Josephine S. ging nach Syrien. Während Hunderttausende von dort flohen, wollte sie ins Kalifat der islamistischen Terrorgruppe IS. Mitsamt ihren Kindern, mitten hinein in den Krieg. Eine Frau von 27 Jahren, die offensichtlich so überzeugt war von ihren Vorstellungen vom idealen Leben, dass sie die Gefahr, die ihr und den Kindern drohte, ausblendete.

Dreieinhalb Jahre später ist die Frau wieder zurückgekehrt in das Land, in dem sie sich so unwohl fühlt, heimgeholt von der deutschen Regierung, auf Kosten ihrer Mutter. Sie hatte übers Fernsehen an die Politik appelliert, die Tochter und die Enkel nicht in einem Camp an der türkischen Grenze verrotten zu lassen. Carla-Josephine S. kam allerdings ohne ihren kleinen Sohn Hamza zurück. Der Achtjährige ist in Syrien umgekommen. Gestorben während eines Bombenangriffs im Dezember 2018.

Die Mutter soll ihren Sohn als Kindersoldat missbraucht haben

Nun wird der Mutter der Prozess gemacht. An diesem Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf das Verfahren. Ihr wird Kindesentziehung mit Todesfolge vorgeworfen, dazu die Verletzung ihrer Fürsorgepflicht. Was juristisch ebenfalls schwer wiegt: Sie soll den kleinen Hamza in ein Ausbildungslager des IS gesteckt haben. Das wird als Missbrauch eines Kindes als Kindersoldat gewertet und ist nach dem Völkerstrafgesetzbuch ein Kriegsverbrechen. Als der Junge einmal Widerworte gegen die Vorstellungen des IS gab und aufbegehrte, habe die Mutter zudem zugelassen, dass das Kind von der Religionspolizei gezüchtigt werde.

Weitere Anklagepunkte kommen hinzu: Die Mutter soll sich in den "Islamischen Staat" eingegliedert und auch eine Handgranate besessen haben, damit sie für den Fall, dass ihr Haus in der Islamistenhochburg Raqqa erobert wird, sich und ihre Kinder und möglichst viele Angreifer töten kann. Eine Kalaschnikow habe sie ebenfalls im Haus gehabt. Deswegen wirft ihr die Bundesanwaltschaft Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS vor.

Die Bundesanwaltschaft führt derzeit ein halbes Dutzend Prozesse gegen deutsche Frauen, die zum IS gegangen und wieder zurückgekehrt sind. Der Prozess gegen Carla-Josephine S. aber sticht heraus. Denn die Zeugenliste vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gleicht einer Familienaufstellung. Nicht nur die Mutter von Carla-Josephine S. wird als Zeugin auftreten, auch der verlassene deutsche Ehemann und Vater ihrer ältesten drei Kinder. Der Vater der jüngsten Tochter, erst zwei Jahre alt, ist ein IS-Kämpfer aus Syrien, er kommt nicht. Der Mann ist in der Schlacht um Raqqa gefallen.

Islamistinnen

Dutzende deutsche IS-Frauen warten in Lagern an der syrisch-türkischen Grenze auf ihre Heimkehr. Daheim erwartet solche Frauen fast immer ein Ermittlungsverfahren und ein Prozess, wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, oft auch wegen noch schwerer wiegender Vorwürfe. 2019 wurde die Islamistin Sabine S. in Stuttgart zu fünf Jahren Haft verurteilt - vor allem, weil sie intensiv für den IS geworben hatte. In München wird seit einem Jahr gegen Jennifer W. aus Niedersachsen verhandelt. Ihr wird Mord durch Unterlassen vorgeworfen. Ihr Mann hatte das Kind einer als Sklavin gehaltenen Jesidin laut Anklage in der Sommerhitze angekettet, wo es starb. Verhandelt wird zudem gegen Syrien-Rückkehrerinnen vor den Oberlandesgerichten München, Hamburg und Düsseldorf. rabe

Die Angeklagte kommt aus dem Bürgertum, mit 18 konvertiert sie zum Islam

Carla-Josephine S. ist eine attraktive, eine gebildete Frau. Sie stammt aus einer bürgerlichen Familie, machte ihr Fachabitur, das Verhältnis zur Mutter war immer gut. S. freundete sich mit überzeugten Islamisten an. Deren einfaches Weltbild schien ihr zu gefallen: klare Regeln, die gehorsame Frau in einer patriarchalischen Welt. Kaum war sie 18, konvertierte sie zum Islam, trug Kopftuch und breitete zuhause ihren Gebetsteppich aus. Sie heiratete einen deutschen Muslim mit nordafrikanischen Wurzeln, den Vater ihrer zwei Töchter und des Sohns. S. steigerte sich immer mehr in ihre Rolle hinein. Sie lief verhüllt von Kopf bis Fuß durch die Stadt, nur Sehschlitze für die Augen blieben offen.

Ihre beste Freundin aus Oberhausen war schon ein Jahr früher nach Syrien gegangen, sie lockte Carla-Josephine S. offenbar mit Schilderungen davon, wie gut es ihr dort gehe. Die Freundin lebte mit einem hohen IS-Mann in einer requirierten Villa mit Pool in Raqqa. In Syrien angekommen zog Carla-Josephine S. bei der Freundin ein. Es muss nicht das schlechteste Leben gewesen sein für eine, die vom islamischen Paradies träumt. Carla-Josephine S. wollte ihren Mann dazu bringen, auch nach Raqqa zu kommen und sich dem IS anzuschließen. Doch der wollte nicht. Ohne Ehemann aber konnte sie beim IS nicht bleiben. Sie wurde mit einem IS-Mann verheiratet und bekam bald eine Tochter von ihm. Als dieser Mann im Kampf um Raqqa fiel, wurde sie weitergereicht, diesmal als Zweitfrau eines ägyptischen IS-Kämpfers.

Die drei Kinder leben heute bei dem Vater, der nicht zum IS ging

Nach dem Tod von Hamza machte sich die Frau aus Oberhausen dann fort aus dem Paradies des IS und flüchtete mit ihren überlebenden Kindern an die türkisch-syrische Grenze. Ihrer Mutter schrieb sie über den Messengerdienst Telegram, dass man sie doch bitte rausholen möge. Die Enkelinnen schickten der Oma ein Handyvideo vom Lager, im März 2019 wurde es in der Sendung von Dunja Hayali gezeigt. Die Enkelin berichtet darin, wie sehr sie hoffe, dass die Lagerkatze nachts bei ihnen schläft. Dann kämen die Ratten nicht.

Carla-Josephine S. sitzt seit der Rückkehr nach Deutschland in Haft. Sie wird vor Gericht viel zu erklären haben. Es heißt, ihr sei heute nicht mehr klar, warum sie nach Syrien ging. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die drei Kinder leben nun bei dem Vater, der in Deutschland geblieben ist.

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