Süddeutsche Zeitung

Islamismus in Afrika:Spurensuche in Nairobi

Schockiert blickte die Welt nach Nairobi, wo Terroristen ein Einkaufszentrum stürmten. Nicht nur Kenia fragt sich: Warum hier, warum jetzt? Experten rätseln über die wahre Stärke der Al-Shabaab-Miliz.

Von Isabel Pfaff

Der Tag danach: Sprengstoffexperten und Spürhunde haben am Mittwoch begonnen, das Westgate-Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi zu durchsuchen. Nach dem Ende der blutigen Geiselnahme sind die Sicherheitskräfte auf der Suche nach weiteren Sprengsätzen und Todesopfern. Zahlreiche Menschen werden noch vermisst.

Zeitgleich beginnt die Spurensuche zu den Hintergründen des Anschlags. Die somalischen Al-Shabaab-Milizen, die sich zu dem Terrorakt bekannt haben, nennen die kenianische Militärintervention in ihrer Heimat als Ursache. Die Regierung in Nairobi solle durch die brutale Aktion zum Rückzug bewegt werden. Doch die meisten Experten sind skeptisch, ob dies der alleinige Grund ist.

Guido Steinberg, Terrorismus-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, weist darauf hin, dass die kenianische Regierung seit langem äußerst repressiv auf islamistische Strömungen im eigenen Land reagiere und dass der Anschlag auch dafür eine Strafe sein könnte. In Kenia hätten die Al-Shabaab eine Menge Sympathisanten, so Steinberg. "Es gibt einen starken islamistischen Untergrund, der sich daraus speist, dass sich Teile der muslimischen Bevölkerung, vor allem in den Küstengebieten, weniger Afrika als viel mehr der arabischen Welt zugehörig fühlen." Diesen Gefühlen begegne die kenianische Regierung ausschließlich mit Repression.

Auch für Clinton Watts von der George Washington University scheint die Rache für Kenias Einmarsch in Somalia nur das vordergründige Motiv hinter dem Anschlag zu sein. Eigentlich gehe es den Islamisten darum, Kenia mit der Geiselnahme zu einer brutalen Reaktion zu verleiten, die wiederum der Al-Shabaab-Bewegung neue Anhänger bescheren würde, argumentiert der Politologe in Foreign Policy.

Denn die Islamisten seien in Somalia und den angrenzenden Ländern zuletzt stark geschwächt worden: zum einen durch Militärschläge von Truppen der Afrikanischen Union, denen Kenia angehört, zum anderen aber auch durch Konflikte innerhalb der Al-Shabaab. Der erfolgreiche Anschlag in der Metropole Nairobi, so der Experte, könne die internen Kritiker der Al-Shabaab-Führung zum Schweigen bringen.

Unklar bleibt für Watts die Stärke der Gruppierung: "Ist das eine echte Wiedergeburt oder der letzte Atemzug von Al-Shabaab?" Wenn nach dem Nairobi-Angriff weitere Anschläge folgen, müsse man von einer wieder erstarkten Al-Shabaab ausgehen. Ansonsten wäre die Geiselnahme nur der letzte, verzweifelte Versuch, "Unterstützung, Ressourcen und Personal zu gewinnen", so das Urteil.

Möglicher Antrieb: Hass auf den Westen

Den Machtkampf innerhalb der Al-Shabaab betont Guardian-Redakteur Simon Tisdall: Die Gewalttat in der Westgate-Mall sei das Symbol für den Sieg des Al-Shabaab-Hardliners Ahmed Abdi Godane über seine internen Konkurrenten. Godane stehe für jenen Al-Shabaab-Flügel, der sich mit al-Qaida verbündet habe und einen globalen Dschihad führen wolle, um überall die Scharia einzuführen. Er habe Strömungen der Gruppe besiegt, die eher islamistisch-nationalistische Ziele hätten. Der Anschlag auf ein Einkaufszentrum voller Oberschichtler und Ausländer habe Godane die maximale Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gesichert.

Ein weiterer Kommentator des Guardian, Giles Foden, betrachtet Al-Shabaabs Kampf gegen Kapitalismus und westlichen Lebensstil als eine zentrale Motivation für den Anschlag. Dass die Islamisten ein Upper-class-Einkaufszentrum auserkoren haben, das noch dazu teilweise in israelischem Besitz ist, zeige, dass die Al-Shabaab kapitalistische Zentren in Afrika anvisiere.

Auch das US-Politikmagazin The Atlantic hält eine antikapitalistische Stoßrichtung des Anschlags für wahrscheinlich. Dank der enormen Wachstumsraten vieler afrikanischer Länder seien einige wenige sehr schnell sehr reich geworden, während die Masse arm bleibe - ein Phänomen, das oft mit dem Begriff "Africa rising" ("aufstrebendes Afrika") beschrieben wird. Diese Entwicklung spiegle sich in der Westgate Mall in Nairobi - und in der wachsenden Zahl derer, die für islamistische Ideen empfänglich seien.

Experten diskutieren auch die transnationale Dimension des Angriffs. Die Al-Shabaab verüben zunehmend Anschläge außerhalb ihres Stammlands Somalia - so etwa 2010 im benachbarten Uganda und im April 2013 im Osten Kenias. Der norwegische Al-Shabaab-Experte Stig Jarle Hansen sieht darin eine Reaktion auf den militärischen Druck durch die Truppen der Afrikanischen Union. Die Islamisten versuchten, Netzwerke außerhalb ihres Landes aufzubauen. In einem Interview mit dem US-Sender ABC sagte Hansen: "Al-Shabaab sind in Somalia auf dem Rückzug. Im restlichen Ostafrika sind sie weniger geschwächt. Wir wissen, dass es den Kern eines Netzwerks in Kenia gibt und vielleicht auch Spuren davon in Tansania."

Illustriert durch eine Karte vertritt die Foreign-Policy-Redaktion die These, dass der islamistische Extremismus nun endgültig in Afrika Fuß gefasst habe. Das zeige der Angriff auf die kenianische Haupstadt - und ein Blick auf die jüngsten islamistischen Anschläge auf afrikanischem Boden.

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