Islamismus:Glaube, Macht und Dschihadisten

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Von der islamistischen Ideologie inspiriert: die Gründer des Terror-Netzwerks al-Qaida um Osama bin Laden (links) und den Ägypter Ayman al-Sawahiri, hier im Jahr 2001. (Foto: DPA)

Die Politisierung des Islam nahm in Ägypten ihren Anfang - und umfasst mittlerweile eine große Bandbreite.

Von Moritz Baumstieger und Paul-Anton Krüger

In seiner Jugend hatte Mohammed bin Zayed, der mächtige Kronprinz der Vereinigten Arabischen Emirate, einen respektierten Lehrer. Der Ägypter Izzedine Ibrahim wurde selbst nach seinem Tod 2010 noch als Gelehrter gewürdigt, der das Land am Golf kulturell geprägt habe. Würde er noch leben, müsste er heute in den Emiraten allerdings wohl fürchten, wegen seiner Nähe zur Muslimbruderschaft in Haft genommen zu werden.

M.B.Z., wie der starke Mann in Abu Dhabi heute oft genannt wird, orchestriert seit Jahren den Kampf gegen die wichtigste und größte islamistische Bewegung des Nahen Ostens - und sucht dafür im Westen Verbündete. Er gibt vor, radikale Auslegungen des Islam und damit auch islamistisch motivierten Terrorismus zu bekämpfen. In seinem ideologischen Feldzug hat er die Machtergreifung des Militärs in Ägypten im Jahr 2013 unterstützt und den regionalen Rivalen Katar isoliert, neben der Türkei der wichtigste Unterstützer der in Ägypten gegründeten Bewegung. Es vermengen sich längst ideologische und geopolitische Auseinandersetzungen.

Der Niedergang der islamischen Welt, von Kolonialmächten beherrscht und ausgeplündert - das war der Hintergrund, vor dem der Volksschullehrer Hassan al-Banna 1928 die erste Organisation des politischen Islam ins Leben rief. Der Begriff wird heute oft synonym für die Ideologie der Muslimbrüder verwendet, aber auch als weiter gefasster, nicht genau definierter Sammelbegriff, wie ihn nun Österreichs Kanzler Sebastian Kurz nutzte. Er wolle einen "Straftatbestand politischer Islam" einführen, kündigte er nach dem Anschlag von Wien am Mittwoch an.

Die Muslimbrüder sehen den Islam in misslichem Zustand

Der missliche Zustand der islamischen Welt, so waren die Muslimbrüder überzeugt, liege darin begründet, dass sie sich zu weit von den frühen Idealen des Glaubens entfernt habe. Unter der Losung "Der Islam ist die Lösung" wollten Banna und seine Anhänger ihre Mitmenschen deshalb zunächst wieder zurück auf den Weg der Tugend führen, was in einem zweiten Schritt zu einer gottgefälligen und somit guten Regierung führen würde.

Gegner der Muslimbruderschaft verweisen heute darauf, dass schon Banna die Wiedererrichtung eines Kalifats angestrebt habe - und schlagen damit den Bogen zu den Extremisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Zudem verweisen sie auf den einflussreichen Ideologen Sayyid Qutb, der in den 1950er- und 60er-Jahren den Begriff Dschihad wiederbelebte, den er als Aufruf zum "heiligen Krieg" im Sinne des bewaffneten Kampfes interpretierte.

Qutb, 1966 in Ägypten hingerichtet, führte zentrale Elemente zusammen, die sich bis heute in der Ideologie der Dschihadisten finden, darunter den Takfirismus. Mit Takfir wird in der islamischen Rechtswissenschaft die Praxis bezeichnet, dass Muslime andere Muslime des Abfalls vom Glauben bezichtigen - die dann den Tod als Strafe zu gewärtigen haben. Es war die ideologische Basis für das Morden sunnitischer Extremisten an Schiiten, aber auch für Anschläge gegen alle "Ungläubigen", etwa im Westen.

Qutbs Lehren gelten als wichtige Inspiration für die Gründer des Terrornetzwerks al-Qaida um den Ägypter Ayman al-Sawahiri und Osama bin Laden. Die Gegner der Muslimbruderschaft lassen eines allerdings gerne unerwähnt. In der Bewegung selbst waren Qutbs Positionen lange nicht mehrheitsfähig; ihre Anhänger spalteten sich ab, um in eigenen Gruppen gegen den ägyptischen Staat zu kämpfen.

Das Verhältnis zur Demokratie und zur Gewalt als Mittel des politischen Kampfes ist in vielen der von Banna inspirierten Bewegungen zumindest ambivalent, führte aber je nach Land zu völlig unterschiedlichen Entwicklungen: In Marokko hat sich die aus der Muslimbruderschaft entstandene Partei PJD zu einer Stütze des Königshauses entwickelt, in Tunesien schwor die Ennahda-Partei offiziell der Vermischung von Politik und religiöser Mission ab. Sie sieht nach ihrer Darstellung das religiöse Wertesystem nur noch als eine Art moralischen Kompass, ähnlich wie Christdemokraten in Europa. Ist das nun "politischer Islam" oder eine von islamischen Werten inspirierte Politik?

Die radikalen Ideen Qutbs dagegen fanden bei den Mudschahedin in Afghanistan Anklang und vermengten sich mit ultrakonservativen Islam-Auslegungen salafistischer Prediger in den Golfstaaten, etwa der Wahhabiten in Saudi-Arabien. Ihr Gedankengut wurde mit Petrodollars in alle Welt exportiert - und spielte eine große Rolle bei der Radikalisierung meist junger Muslime. Dies rückte nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den Fokus westlicher Sicherheitsbehörden.

Heute versuchen die Emirate oder das vom Militär dominierte Regime in Ägypten, einen streng vom Staat kontrollierten "moderaten Islam" als friedfertige Alternative zum politischen Islam der Muslimbrüder zu propagieren - dabei geht es ihnen in erster Linie aber um Machterhalt. Auch rechtfertigen sie etwa die Militärintervention in Libyen auf Seiten des Kriegsherrn Khalifa Haftar mit der Bekämpfung von Islamisten, ein Narrativ, das sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu eigen gemacht hat. Die fundamentalistischen Glaubensansichten vieler Salafisten dagegen gelten ihnen als unproblematisch, solange diese nicht die herrschenden Regime und Monarchien herausfordern.

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