Knapp fünf Jahre nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, dem schwersten islamistischen Angriff auf deutschem Boden, endet die parlamentarische Aufarbeitung in Berlin. Die Frage, ob die Sicherheitsbehörden dieses Verbrechen mit zwölf Toten hätten verhindern können, wird im 1235 Seiten starken Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, mit Ja beantwortet. Ja, es habe an vielen Stellen Pannen gegeben, "Fehler und Versäumnisse, die den Anschlag möglich gemacht haben", sagte der Ausschussvorsitzende Stephan Lenz (CDU) am Montag. Er betonte, man habe "keinen einzelnen Schuldigen" gefunden, aber eine "Summe" von Missständen. Vor allem um drei Punkte geht es.
Erstens waren die Terrorermittler des Landeskriminalamts (LKA) in der deutschen Hauptstadt 2016 in erstaunlich schlechter Form. Es gab zu wenige Ermittler, es gab auch zu wenige Observationskräfte, die gefährliche Extremisten wie den abgelehnten tunesischen Asylbewerber Anis Amri vor dessen Anschlag im Blick behalten konnten. Zwar hatte die Berliner Politik schon in Reaktion auf die Anschläge in Paris am 23. November 2015 viel Geld für neue Stellen zur Verfügung gestellt.
Sicherheitsbehörden:Razzia bei Berliner Islamisten
In Berlin ist die salafistische Gruppierung "Tauhid Berlin" verboten worden. Einige Mitglieder sollen den Attentäter vom Breitscheidplatz gekannt haben.
Aber real waren bis Ende 2016 noch kaum neue Leute eingestellt worden. Dies sei ein Grund dafür gewesen, dass Amri zeitweise nicht, wie von der Staatsanwaltschaft angeordnet, rund um die Uhr observiert werden konnte. Mehr noch: Die Polizeiführung ließ es "trotz der überhöhten Arbeitsbelastung" im damaligen Islamismus-Dezernat 54 des LKA zu, dass dessen Leiter Axel B. sich für "über sieben Wochen im Jahr" verabschiedete, um bezahlten Nebentätigkeiten nachzugehen. "Bemerkenswert", heißt es im Bericht.
Auch Salafisten nehmen Drogen
Zweitens nutzten die Terror-Ermittler des LKAs offenbar die Expertise lediglich einer einzigen Islamwissenschaftlerin, "die punktuell um ihre Einschätzungen zu Sachverhalten gebeten wurde". Dabei hätte diese Islamwissenschaftlerin die Ermittler vor ihrem wahrscheinlich größten Irrtum bewahren können. Sie nahmen nämlich fälschlich an, dass der spätere Attentäter Anis Amri das Interesse am Dschihad bereits verloren habe, als sie entdeckten, dass er mit Drogen dealte. "Wegen dieser Fehleinschätzung" rechneten sie "überwiegend nicht mehr mit einem Anschlag durch ihn", heißt es im Bericht. Die Islamwissenschaftlerin hätte es besser gewusst, sie kannte schon damals zahlreiche Beispiele für hartgesottene Salafisten, die gleichzeitig Drogen nahmen, auch in Amris Umfeld. Aber sie wurde nicht gefragt.
Drittens sei das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz "passiv" geblieben, moniert der Bericht. Zwar hatte der Nachrichtendienst die Fussilet-Moschee im Blick, in der Amri betete. Aber nach dem Anschlag seien Informationen nicht schnell für die Polizei zusammengesucht worden. Dasselbe gelte für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Der schon erwähnte Leiter des Islamismus-Dezernats beim LKA, Axel B., erfuhr erst im Februar 2017, also zwei Monate nach dem Anschlag, von einem Informanten des Bundesamts in der Fussilet-Moschee. Aber auch insgesamt habe sich gezeigt, wie ungut die "Überschneidung der Zuständigkeitsbereiche" zwischen Polizei und Geheimdiensten beim Terrorismus sein könne.