Süddeutsche Zeitung

Syrien:Der gefährliche Frust der Jugend

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Wieder einmal ist ein Anführer des "Islamischen Staates" für tot erklärt worden. Die Angst vor einem Wiederaufleben der Terrormiliz ist dennoch stets präsent: Viele junge Männer in Syrien und im Irak leben in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen.

Von Mirco Keilberth und Dunja Ramadan

Es wäre schon der dritte Tod eines IS-Anführers in Folge: Am Mittwochabend verkündete die Terrormiliz "Islamischer Staat", dass ihr aus dem Irak stammender Anführer Abu al-Hasan al-Hashimi al-Qurashi im Kampf in der syrischen Provinz Daraa umgekommen ist. Der offizielle Sprecher der Gruppe, Abu Omar al-Muhajir, sagte in einer Audionachricht, al-Qurashi sei "im Kampf mit Feinden Gottes" getötet worden, ohne näher auf das Datum seines Todes oder die Umstände einzugehen. Ganz davon abgesehen, dass man über den vermeintlich Verstorbenen so gut wie nichts weiß, heißt der neue Anführer nun ausgerechnet: Abu al-Hussein al-Husseini al-Qurashi, also ziemlich ähnlich wie sein Vorgänger.

Die Nachricht vom Tod wird von vielen IS-Experten angezweifelt, sie sehen darin sogar eine Strategie der Terrormiliz. Omar Abu Layla, ein Syrien-Experte, der die unabhängige Nachrichtenplattform Deir Ezzor 24 leitet, schreibt auf Twitter, der IS habe in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, die Gesellschaft zu täuschen, indem er verkündete, dass Kommandeure gestorben seien, um so ihre Aktivitäten zu vertuschen und internationale Geheimdienste zu verwirren.

Die für die Region zuständige Kommandozentrale des US-Militärs, Centcom, veröffentlichte noch am selben Abend eine Meldung, die besagt, dass der IS-Anführer Mitte Oktober von der Freien Syrischen Armee in Daraa getötet wurde. Centcom bezeichnete den Tod als "weiteren Schlag für den IS". Der IS-Experte Hassan I. Hassan bezeichnet den Zeitpunkt der Centcom-Pressemitteilung auf Twitter als "interessant", warum habe man so lange mit der Meldung gewartet? "Wussten sie, dass es der ISIS-Anführer war und hielten es geheim, oder waren sie sich nicht sicher und jetzt sind sie es, basierend auf der ISIS-Ankündigung?", fragt er.

In Syrien und im Irak verstecken sich kleine Gruppen von IS-Kämpfern

Fest steht, das betont auch Centcom, der IS bleibt eine Bedrohung für die Region. Dies sieht auch die syrische Regierung so. Sie kontrolliert große Teile der im Süden des Landes gelegenen Daraa-Provinz und hat Mitte Oktober eine Offensive gegen die Miliz verkündet. Zusammen mit ehemaligen Rebellen habe man die Extremisten aus Daraa vertrieben, meldeten syrische staatliche Medien später, ohne das Schicksal des IS-Anführer zu erwähnen.

Vor allem in den dünn besiedelten Wüstengebieten Syriens und des Iraks halten sich die nun in kleinen Gruppen operierenden IS-Kämpfer versteckt. Aufgrund der nur noch inkognito auftretenden IS-Führung hätten viele IS-Anhänger den Bezug zu ihr verloren, berichtet der irakische Politiker Mohamed al-Mashhadani der SZ. Der 64-Jährige ist Chef eines sunnitischen Stammes in der Kleinstadt Tarmiyah nahe der Hauptstadt Bagdad.

Die dort lebende sunnitische Minderheit fühlt sich von der mehrheitlich schiitisch geprägten Regierung, vom Wohlstand und vom politischen Leben ausgeschlossen. "Als Folge schließen sich in der Gegend immer wieder junge Männer dem 'Islamischen Staat' an", sagt er. "Das ist ein lokales Phänomen, die IS-Anführer interessieren sie dabei nicht."

Korruption und Arbeitslosigkeit bestimmen das Leben vieler junger Männer

Obwohl der IS laut der irakischen Regierung offiziell besiegt ist, kontrollierten dessen Kämpfer, oder Leute, die sich als solche ausgeben, nachts viele Zufahrtsstraßen in Orten wie Tarmiyah, berichten irakische Sicherheitskräfte in Bagdad. Zur Zeit glaubt allerdings kaum jemand daran, dass der IS jemals wieder größere Gebiete kontrollieren kann. "Doch viele vergessen dabei, dass Korruption und Arbeitslosigkeit unverändert das Leben junger Männer in der Region bestimmen", warnt al-Mashhadani. "Solange wir das nicht ändern, wird der IS eine tägliche Bedrohung bleiben."

Auch Hamid al-Mutlak, ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter aus der Stadt Falludscha, fürchtet, dass im irakisch-syrischen Grenzgebiet eine neue sunnitische Widerstandsbewegung entstehen könnte. "Vor allem die Dominanz Irans und der schiitischen Milizen in der Region könnte zusammen mit der immens hohen Arbeitslosigkeit eine neue Widerstandsbewegung schaffen. Nicht unbedingt einen 'Islamischer Staat', aber mit dessen Methoden."

Einer der wichtigsten Partner der USA im Kampf gegen den IS glaubt, dass die Gefahr einer Rückkehr des IS sogar kurz bevorsteht: "Parallel zu den türkischen Artillerie- und Luftangriffen gegen kurdische Gruppen im Norden Syriens beobachten wir das Wiederaufleben von Schläferzellen", warnt Mazlum Kobanê, ein Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Mehrere Tausend IS-Kämpfer befinden sich derzeit in Gefängnissen syrisch-kurdischer Milizen. Kurdische Kommandeure wie Kobanê fürchten, die angedrohte Bodenoffensive der Türken werde zur Flucht der Insassen führen. Ihre Operationen gegen den IS hat die SDF bereits eingestellt, um sich gegen einen möglichen türkischen Angriff zu wappnen.

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