Süddeutsche Zeitung

Islamischer Staat:Obamas neuer Krieg

Diese Rede wollte er niemals halten: Barack Obama kündigt Luftschläge in Syrien an und eröffnet damit eine neue Front im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Doch in der Anti-Terror-Strategie des US-Präsidenten stecken große Risiken.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Noch trägt der Krieg keinen Namen, weil er nicht ausgesprochen ist. Doch es gibt diesen Satz, den Barack Obama am Mittwochabend gesagt hat: "Ich werde nicht zögern, gegen ISIL vorzugehen, in Syrien und im Irak."

ISIL (IS), der "Islamische Staat", hat den US-Präsidenten zu einer Rede gezwungen, die er niemals halten wollte. Zur besten Sendezeit erklärte Obama der zugeschalteten Nation, warum amerikanische Kampfflugzeuge bald über dem Bürgerkriegsland Syrien Bomben abwerfen.

Man könne dem brutalen Treiben der IS-Milizen nicht mehr länger zusehen und obwohl die Vereinigten Staaten derzeit nicht direkt bedroht seien, könne sich das nach der Rückkehr der vielen Kämpfer aus dem westlichen Ausland in ihre Heimat ändern. Die USA und ihre Verbündeten würden die Terrorgruppe deshalb "schwächen und am Ende zerstören", so Obama.

71 Prozent für Luftschläge in Syrien

Wahrscheinlich hatte der Präsident selbst nicht mehr geglaubt, einmal mit Argumenten aus dem Anti-Terror-Krieg der Bush-Jahre einen Militäreinsatz zu rechtfertigen; doch die Ermordung der US-Bürger James Foley und Steven Sotloff hat ihn unter Zugzwang gebracht. Was die US-Amerikaner an ihm einst als Besonnenheit wahrnahmen, gilt nun als Führungsschwäche. 71 Prozent aller US-Amerikaner befürworten einer Umfrage zufolge inzwischen Luftschläge in Syrien.

In den einen echten Krieg ziehen möchte allerdings niemand; Obamas Rede diente deshalb dazu, die lang erwartete Strategie für den Kampf gegen IS zu erläutern, aber auch deren Grenzen zu ziehen: Ja, die Ausnahmestellung Amerikas beinhalte auch die Übernahme von Verantwortung und könne den entscheidenden Unterschied ausmachen, erklärte er, "aber wir können nicht für die Irakis erledigen, was sie selbst tun müssen; wir können auch nicht die Rolle der arabischen Partner einnehmen, um für Sicherheit in ihrer Region zu sorgen". Die USA würden nicht in einen weiteren Bodenkrieg im Irak hineingezogen, versprach der US-Präsident, Bodentruppen würden keine eingesetzt.

Training und Kriegsgerät für IS-Gegner

In der Praxis bedeutet dies: Die USA unterstützen die irakische Armee und die moderaten syrischen Kräfte mit Luftangriffen, wenn sie gegen IS-Milizen kämpfen. Allerdings gelten sowohl die irakischen Truppen, als auch die unter dem Namen "Freie Syrische Armee" (FSA) agierenden Kämpfer nicht unbedingt als die schlagkräftigsten Anti-IS-Akteure, längst wächst der Einfluss von Iran als Unterstützer schiitischer Milizen in beiden Ländern.

Das Weiße Haus erkennt das Problem offenbar, Obama kündigte deshalb nicht Geld und weitere US-Militärberater für die irakische Armee an, sondern auch die Ausstattung der moderaten syrischen Opposition mit nicht näher benanntem Kriegsgerät und Training. Eine entsprechende Genehmigung könnte der US-Kongress schon in wenigen Tagen erteilen.

Auch die arabischen Nachbarn sollen ihren Teil zur Operation beitragen: Das Training der syrischen Rebellen könnte US-Offiziellen zufolge auf Militärbasen in Saudi-Arabien stattfinden. Entsprechende Gespräche wird Außenminister John Kerry heute in Dschidda führen. In den Gesprächen soll es Medienberichten zufolge auch darum geben, die Finanzierung der IS-Milizen durch Ölschmuggel und private Spenden zu erschweren.

Zu der "breiten Koalition", von der Obama sprach, gab es in seiner Rede keine Einzelheiten. Zu ihr sollen wohl Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Dänemark, Kanada, Australien, Jordanien, die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören.

"Es wird Zeit brauchen, einen Krebs wie ISIL zu besiegen", erklärte Obama in seiner Rede. Die Operation sei deshalb eher mit der erfolgreichen Strategie in Ländern wie Jemen und Somalia zu vergleichen, wo man die Terroristen ausschalte und gleichzeitig die Partner an der Front unterstütze. Ob die Resultate in den beiden instabilen Ländern als Erfolg zu werten sind, gilt unter Experten allerdings als umstritten.

Wenige Geheimdienstinformationen über Lage in Syrien

Die ersten Reaktionen auf die Rede waren verhalten: Man könne sich auf ein längeres Engagement mit großer Instabilität einstellen, erklärte der Sicherheitsexperte Dan Byman von der Georgetown University in Washington. "Das wird schwieriger als alles, was wir bislang im Irak und Afghanistan probiert haben", zitiert die Washington Post einen nicht genannten US-General. Es handele sich um das komplexeste Problem seit dem 11. September 2001.

Weil die USA zu wenige Geheimdienstinformationen aus dem Bürgerkriegsland Syrien haben, dürften die angekündigten Luftschläge dort noch nicht unmittelbar bevorstehen. Obama erklärte, er sehe eine Abstimmung durch den Kongress dafür nicht als notwendig an, sei aber über "Unterstützung" in irgendeiner Form dankbar.

Einer Umfrage des PEW Research Center zufolge glaubte vor der Obama-Rede jeder zweite Amerikaner, die Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf würden nicht weit genug gehen. Das sind 15 Prozentpunkte mehr als noch vor einem Jahr.

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