New Orleans:Unter dem schwarzen Banner

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Militärisch ist der IS im Irak und in Syrien weitgehend besiegt. Doch noch immer gibt es Guerillagruppen, die den Kampf fortsetzen. (Foto: Ahmad al-Rubaye/AFP)

Der Attentäter von New Orleans hatte eine Fahne des „Islamischen Staats“ dabei. Wie einflussreich ist die Organisation noch?

Von Tomas Avenarius, Berlin

Der Attentäter von New Orleans hat sich offensichtlich zum „Islamischen Staat“ bekannt; er hatte sogar eine Flagge der berüchtigten Terrororganisation an seinem Pick-up-Truck befestigt. Das bullige, weiße Fahrzeug, mit dem er als eine Art von Waffe eine Horrorfahrt durch das Ausgehviertel der US-Stadt unternommen hatte, ähnelte damit etwas den Pick-ups, mit denen die Terrorgruppe auf ihrem Eroberungsfeldzug durch den Irak und Syrien unterwegs war.

Ob der US-Amerikaner und konvertierte Muslim aber wirklich in engerem Kontakt mit der Organisation stand oder nur im Internet und Chatgruppen in Berührung mit Ideologie und Gedankengut der radikal-islamischen Organisation kam, ist noch unklar. Das erfolgreiche Anwerben von potenziellen Attentätern über das Internet und Social Media gehört aber seit Jahren zu den erfolgreichen Methoden des sogenannten Islamischen Staates (IS) in der westlichen und in der islamischen Welt.

Dort ist der IS als „Daesh“ bekannt. Viele seiner Ableger in Afrika und Asien verwenden aber jeweils eigene Namen. Ursprünglich im Irak nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein von Offizieren der Regierungstruppen als Instrument des Widerstands gegen die US-Invasion gegründet, beherrschte die radikal-islamische Terrororganisation am Ende ein riesiges zusammenhängendes Gebiet aus Teilen des Iraks und Syriens.

Militärisch wurde der IS schon 2017 geschlagen. Das Ende war das aber nicht

Gleichzeitig hatte der IS seine Wurzeln in der noch aus der Zeit des Afghanistan-Kriegs stammenden Terrorgruppe al-Qaida. Anders als al-Qaida will der IS das angeblich gottgewollte islamische Staatswesen aber sofort schaffen: Er gründete in dem von ihm kontrollierten Gebiet ein „Kalifat“ in Anlehnung an die Kalifen früherer islamischer Reiche. IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi beanspruchte in islamistischer Hybris dann auch den Titel des Kalifen für sich. Als Kalif Ibrahim sah er sich als Nachfolger des islamischen Propheten Mohammed und beanspruchte damit die Anerkennung als Oberhaupt aller Muslime weltweit.

Die bestehenden staatlichen Grenzen anerkannte der IS nicht. Das Gebiet der islamischen Umma, der Gemeinschaft der Muslime, kennt der Vorstellung nach keine nationalen Binnengrenzen. Streng abgegrenzt ist es hingegen vom Gebiet der Nicht-Muslime, mit denen die Umma nach radikal-islamischer Lesart im existenziellen Dauerkonflikt bis zum endgültigen Sieg des Islam liegt.

Die Verbrechen, die der IS verübte, hatten sowohl die muslimische als auch die nicht-muslimische Welt jahrelang in Angst und Schrecken versetzt. Angehörige der islamischen Minderheitskonfession der Schiiten wurden vor allem im Irak bekriegt, da sie nach IS-Lesart Abtrünnige vom Islam und damit „Ungläubige“ sind. Die Frauen und Mädchen von Gegnern wie den nicht-muslimischen Jesiden im Irak wurden zu Sklavinnen gemacht und sexuell systematisch missbraucht, die jesidischen Männer als „Ungläubige“ ermordet.

Vor allem in Afrika ist die Gruppe noch eine erhebliche Gefahr

Auch Kriegsgefangene, Zivilisten und Journalisten wurden auf bestialische Weise getötet und dabei zu Propagandazwecken gefilmt: Je größer der Horror der Videos, desto erfolgreicher war das Vorgehen aus IS-Sicht. Auch die Zerstörung angeblich heidnischer Kulturdenkmäler wie der weltberühmten antiken Ruinenstadt Palmyra diente der IS-Propaganda.

Militärisch geschlagen wurde der „Islamische Staat“, der mit Bewaffnung und Training zeitweise fast einer professionellen Armee glich, schließlich 2017 von einer internationalen Koalition unter der Führung der USA und anderer Staaten und unter maßgeblicher Beteiligung der Kurden. Während eine fünfstellige Zahl an IS-Kämpfern und auch deren Frauen und Kinder bis heute in Gefängnissen und Lagern in den Kurdengebieten interniert sind, haben sich kleine Teile im Irak und in Syrien in schwer zugängliche Gebiete zurückgezogen oder agieren als Schläferzellen in den Städten: Sie treten dort gelegentlich mit Terroranschlägen in Erscheinung.

Seine Bedeutung als wirkliche Gefahr für kriselnde Staatswesen in Nahost hat der IS inzwischen verloren. Heutzutage stellt der „Islamische Staat“ mit all seinen unterschiedlichen regionalen Ablegern oder Franchise-Projekten vor allem in Teilen Afrikas aber noch immer eine erhebliche Gefahr dar. Er hat jedoch nie wieder die ursprüngliche Bedeutung erreicht. Stark ist er auch in Teilen von Asien, vor allem in Afghanistan, wo er der wichtigste Gegner der ebenfalls islamistisch orientierten Taliban geworden ist. Dort nennt er sich „Islamischer Staat in Khorasan“. In Erscheinung getreten war er auch immer wieder als Mastermind bei Terroranschlägen in Europa und den USA.

Für das weitere Schicksal des IS prägend könnte die Entwicklung in Syrien sein. Die im Bürgerkrieg gegen das Assad-Regime nun siegreiche Islamisten-Miliz HTS bekämpfte den IS seit Langem in den von ihr kontrollierten Gebieten Nordsyriens, manchmal angeblich in Zusammenarbeit mit den syrischen Kurden und den sie stützenden US-Truppen: Noch immer stehen im syrischen Kurdengebiet rund 900 US-Soldaten.

Der Führer der HTS, Ahmed al-Scharaa, ist selbst Islamist und kämpfte lange als Dschihadist im Irak und in Syrien. Dort stand er in Kontakt mit dem IS, bevor er sich endgültig al-Qaida anschloss. Der als Abu Muhammad al-Dschaulani bekannt gewordene al-Scharaa bindet derzeit alle möglichen unterschiedlichen Dschihadisten-Gruppen in die neue syrische Armee ein. Er könnte eventuell versuchen, auch Teile der in Syrien noch vorhandenen IS-Kämpfer aufzunehmen, statt sie militärisch zu bekämpfen – um sie auf diese Weise zu neutralisieren. Ob er dies tun will, ist aber nicht bekannt. Sollte es im Nach-Assad-Syrien zu neuen bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen etwa zwischen Arabern und Kurden kommen, könnten sogar die Tausenden inhaftierten IS-Kämpfer freikommen und den IS auf diese Weise wieder stärken.

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