Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hat bereits weitgehende staatliche Strukturen errichtet. Sie ist viel mehr als eine Miliz, die Anschläge vorbereitet und verübt. Sie hat ein straff organisiertes Staatswesen mit einem ausgeklügelten Sozialsystem aufgebaut und setzt offenbar auf Schutzgeld-Erpressung, um Waffenkäufe zu finanzieren; zudem betreibt sie gezielte Personalplanung für den Einsatz von Selbstmordattentätern. Das belegen interne IS-Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung sowie dem NDR und WDR von der irakischen Regierung in Bagdad zur Verfügung gestellt wurden.
Die Dokumente geben in bisher nicht gekannter Weise Einblicke in die innere Organisation des IS, der Menschen mit finanziellen Zuwendungen an sich bindet und sie so für seine Ziele gewinnt. Der IS sichert seine Macht im Inneren durch ein ausgefeiltes Sozialsystem ab - mit Krankenversicherung, Heiratsbeihilfen und Unterstützungszahlungen für die Familien getöteter oder inhaftierter Dschihadisten. Zudem findet offenbar zwischen den IS-Provinzen, die sich über weite Teile des Irak und Syriens erstrecken, eine Art Länderfinanzausgleich statt, bei dem reiche Bezirke an ärmere Hilfszahlungen leisten.
IS versteht sich als Staat
Das vertrauliche Material wurde nach Angaben der irakischen Regierung am 5. Juni dieses Jahres bei einer Razzia im Versteck des zweiten Mannes des Islamischen Staates, Abdel Rahman al-Bilawi, beschlagnahmt. Al-Bilawi galt den irakischen Behörden als "Kriegsminister" des IS, er wurde bei der Aktion erschossen. Der irakische Vize-Innenminister Adnan Al-Assadi bezeichnete die Razzia als "von großer Bedeutung. Al-Bilawi war ein sehr wichtiger Anführer, deren Nummer zwei, und wir profitieren von den beschlagnahmten Daten und Dokumenten".
Der Ausweis von Abdel Rahman al-Bilawi.
Über den Fund, insgesamt angeblich mehr als 160 USB-Sticks und Festplatten, berichtete im Juni erstmals der Guardian. Das britische Blatt nannte sie einen "Schatz". Nach Angaben irakischer Regierungsstellen seien Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR nun die ersten ausländischen Medien, denen Zugang zu einem Teil der Dokumente gewährt werde. Amerikanische und europäische Geheimdienste sollen ebenfalls über einen Teil des Bestands verfügen. Nach Einschätzung des Terrorismusexperten Peter Neumann, Professor am Londoner King's College, zeigt das Material, dass der IS sich buchstäblich als Staat verstehe. "Sie möchten als Staat ernst genommen werden, und sie handeln wie ein Staat", sagte Neumann.
Die Papiere stammen aus dem Jahr 2013, reichen bis ins Frühjahr 2014 und beschreiben überwiegend die Lage im Irak. Sie belegen vieles, was bisher über den IS lediglich vermutet wurde und fügen zugleich zahlreiche neue Details hinzu. So verfügen alle neun IS-Provinzen im Irak offenbar über einen eigenen Etat, zudem legen sie über Einnahmen und Ausgaben monatlich gegenüber der Führung des Islamischen Staates und dem selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi Rechenschaft ab. Auch über die politische Lage in ihren Bezirken berichten die "Emire" regelmäßig, etwa über die Einstellung sunnitischer Stämme gegenüber dem IS.
Von Sozialsystem bis Personalbögen: Der Islamische Staat heißt nicht nur so, er handelt auch wie ein Staat. Geheime Dokumente, die SZ, NDR und WDR vorliegen, gewähren einen Einblick in die staatlichen Strukturen der Terror-Truppe. Lesen Sie die Reportage in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung und in der digitalen Ausgabe für Tablet, Smartphone und Windows 8.