Islamischer Staat:Heute Teenie, morgen Selbstmordattentäterin

Frauen beim IS

Wo der Islamische Staat regiert, wie hier im syrischen Raqqa, haben Frauen kaum Rechte. Manche werden sogar in Selbstmordattentate geschickt.

(Foto: AFP)
  • Zwei junge Frauen aus Deutschland stehen im Verdacht, mit der Planung eines Selbstmordattentats im türkischen Suruç mit 34 Toten in Verbindung zu stehen.
  • Beide stammen aus Mönchengladbach und waren den Sicherheitsbehörden aus der salafistischen Szene bekannt.
  • Immer mehr Frauen werden von Islamistischen Terrorgruppen zu Selbstmordattentaten herangezogen.

Von Katja Riedel, Boris Baumholt und Georg Heil

Wie ein Engel sieht das Mädchen aus, mit schulterlangen, blonden Haaren, mit großen Augen, hinter ihm ein bunt geschmückter Weihnachtsbaum. Das Bild ist verwaschen, die Farben sind leicht verblichen. Und das Mädchen ist längst kein Kind mehr, schon gar kein Engel. Denn das Foto zeigt nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR wohl Valentina S., inzwischen 20 Jahre alt, in Mönchengladbach aufgewachsen.

Vor einem Jahr ist sie über die Türkei nach Syrien ausgereist, vermutlich, um sich dort dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Es spricht vieles dafür, einen handfesten Beweis haben deutsche Behörden jedoch bisher nicht. Nun ist Valentina S. wieder aufgetaucht, zumindest ihr Name: Dieser steht auf einer Fahndungsliste des türkischen Geheimdienstes - sie wird gesucht, weil sie angeblich ein Selbstmordattentat in der Türkei geplant haben soll.

Hintergrund ist das Bombenattentat im türkischen Suruç

Vor zwei Wochen hat die Generaldirektion für Sicherheit in Ankara diese Liste mit dem Vermerk "Geheim" an alle Polizeipräsidien in 81 Provinzen des Landes verschickt; türkische Medien veröffentlichten das Dokument. Hintergrund ist das Bombenattentat auf das kurdische Kulturzentrum von Suruç im türkisch-syrischen Grenzgebiet, bei dem am 20. Juli 34 Menschen ums Leben kamen, 76 wurden verletzt, zum Teil schwer. Gesucht wird offenbar auch der Bruder des von den türkischen Behörden identifizierten mutmaßlichen Attentäters.

Die Deutsche Valentina S. ist eine der insgesamt 21 Gesuchten, nach denen per Namen, Foto und Ausweisnummer gefahndet wird. Unter ihnen finden sich sechs Frauen - und neben Valentina S. befindet sich nach Erkenntnissen deutscher Behörden auch das Foto ihrer Mönchengladbacher Jugendfreundin und engsten Vertrauten Merve D. auf der Liste. Auch sie wurde im Rheinland geboren und ist dort aufgewachsen, sie soll aber türkische Staatsbürgerin sein.

Den Frauen etwas nachzuweisen, fällt schwer

Die Polizei in Mönchengladbach hat bestätigt, dass es sich bei den beiden jungen Frauen auf der Liste um die Mädchen handeln soll. "Sie waren uns bekannt aus dem salafistischen Umfeld. Seitdem sie ausgereist sind, haben wir keine Erkenntnisse mehr, was mit ihnen passiert ist", sagt Willy Theveßen von der Polizei Mönchengladbach. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führt schon seit einigen Monaten ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Freundinnen, wegen des Verdachts, eine schwere staatsgefährdende Straftat vorzubereiten.

Ein Verdacht, der sich schon durch die Reise ins Dschihadisten-Gebiet begründet - und nur eine juristische Hilfskonstruktion. Denn die Ausreise junger Frauen in die dschihadistischen Kriegsgebiete, nach Syrien oder in den Irak, stellt die Behörden vor juristische Probleme. Ihnen nachzuweisen, dass sie nicht nur einen starken Krieger heiraten, ihm Nachwuchs für den IS schenken und den Haushalt führen wollen, fällt schwer. Junge Männer brüsten sich auch in den sozialen Medien damit, an Kämpfen teilzunehmen, sie verschicken Selfies, die sie in Kampfanzug mit Maschinenpistolen zeigen. Junge Frauen tragen Schleier, sie sind nicht eindeutig identifizierbar, selbst dann nicht, wenn auch sie sich mit den Emblemen der Terrormiliz zeigen oder Waffen tragen.

Mindestens 20 Selbstmordattentäter aus Deutschland wurden identifiziert

Dass sich Deutsche im Namen des IS in die Luft gesprengt haben, ist in den vergangenen Monaten wiederholt bekannt geworden. Mindestens 20 solche Attentäter konnten deutsche Behörden identifizieren. Der Freiburger Yannick Nicolai P. aus dem Obdachlosenmilieu zum Beispiel, der sich binnen kürzester Zeit radikalisierte und im Mai mit einem sprengstoffbeladenen Lkw in einen irakischen Kontrollpunkt raste. Die Brüder Kevin und Mark K. aus Castrop-Rauxel. Mit deren Tod im Irak befeuerte das IS-Hochglanzmagazin Dabiq Ende März seine Propagandamaschine. Der IS feierte die Brüder - einer ist ehemaliger Bundeswehrsoldat - als Märtyrer.

Deutsche Frauen, die als Selbstmordattentäterinnen starben oder dies konkret planen, sind bisher nicht bekannt. "Wir wissen aber, dass islamistische Terrororganisationen auch Frauen für Selbstmordanschläge einsetzen, insbesondere dann, wenn sie das strategisch für notwendig halten", sagt Burkhard Freier, Chef des NRW-Verfassungsschutzes. Frauen würden weniger kontrolliert, deshalb könnten sie auch als Selbstmordattentäterinnen eingesetzt werden, gerade wenn Terrorgruppen unter Druck gerieten wie al-Qaida im Irak.

Bis Anfang 2013 sollen beide Mädchen ganz normale Teenager gewesen sein

Valentina S. und Merve D. machten sich zum ersten Mal Ende 2013 heimlich auf die Reise nach Syrien, mit der Absicht, dort einen IS-Kämpfer zu heiraten - und mit reichlich naiven Vorstellungen. Experten sprechen von Dschihad-Romantik. In der Türkei griff sie die dortige Polizei auf, die Deutsche Valentina S. schickten sie zurück - Merve D. durfte gehen, inzwischen soll sie geheiratet haben. Offenbar wird auch ihr Mann als potenzieller Attentäter gesucht. Zurück in Mönchengladbach betreuten Valentina S. zunächst deutsche Behörden. Sie wollte wieder zur Schule gehen. Doch dies scheiterte, weil sie darauf bestand, einen Gesichtsschleier zu tragen.

Im Sommer vergangenen Jahres reiste Valentina S. schließlich erneut Richtung Syrien. Nach bislang unbestätigten Hinweisen soll sie dabei nicht allein gewesen sein. In der Szene kursieren Gerüchte, sie habe geheiratet und ein Kind bekommen. Dabei waren beide Mädchen bis Anfang 2013 ganz normale Teenager, sagen Ermittler. Sie hörten Popmusik, gingen aus, kleideten sich westlich und tauschten Schminktipps. In ihrem Freundeskreis gab es Muslime und Andersgläubige. Valentina S. wuchs jedoch in schwierigen Verhältnissen auf, ihr Vater trank.

Merve D., deren Familie aus der Türkei stammt, schien gut integriert zu sein. Sie besuchte eine Hauptschule, die besondere interkulturelle Projekte anbietet. Ein Video zeigt Merve D. bei einem Auftritt ihrer afrikanischen Trommel- und Tanzgruppe. Fünf Jahre ist das her. Anfang 2013, beide Mädchen waren 17 Jahre alt, sollen sie sich plötzlich mit dem Islam beschäftigt haben, im Internet auf den Seiten salafistischer Prediger gelandet sein. Sie kritisierten plötzlich Freundinnen, weil diese sich angeblich "unmuslimisch" kleideten. Diese bemerkten die Veränderung, warnten sie, Valentina und Merve brachen den Kontakt ab. Sie fanden neue Freunde, unter anderem sollen sie immer öfter nach Köln gefahren sein, um sich dort mit Gleichgesinnten zu treffen.

110 Frauen aus Deutschland haben sich dem IS angeschlossen

Nach Recherchen von SZ, WDR und NDR steht zumindest Merve D. auch im Kontakt zu einer jungen Frau aus dem Rheinland, die selbst einen gescheiterten Ausreiseversuch hinter sich hat. Die Frau taucht aktuell in mehreren Ermittlungsverfahren auf, unter anderem gegen hochrangige deutsche Vertreter des IS. Mit einem solchen soll sie nach islamischem Recht verheiratet sein. Ermittler in mehreren Bundesländern gehen davon aus, dass sie als Rekrutiererin für die Terrormiliz arbeitet und junge Mädchen unterstützt, nach Syrien auszureisen. Sie gehört zu einem deutschlandweit tätigen Netzwerk. Einige von ihnen leben inzwischen in Syrien.

Aus Deutschland haben sich seit Beginn der Kampfhandlungen nach offiziellen Angaben mehr als 110 Frauen der Terrormiliz angeschlossen, ihr Anteil unter den Ausreisenden steigt. Insgesamt sind mindestens 730 Deutsche nach Syrien und in den Irak gereist, um sich dort dschihadistischen Kampfgruppen anzuschließen. 100 von ihnen sind nachweislich gestorben, ein Drittel soll zurückgekehrt sein, die Dunkelziffer ist hoch. Allein aus Nordrhein-Westfalen, neben dem Raum Frankfurt am Main und Berlin einer der Schwerpunkte der deutschen Salafistenszene, sind in der ersten Jahreshälfte bisher 15 Frauen ausgereist - so viele wie in den Jahren zuvor insgesamt. Dagegen ist die Reisewelle der männlichen Kämpfer aus dem Rheinland abgeebbt: Waren es 2013 noch 76, sind es in diesem Jahr bisher erst zehn.

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