Baghdadis Videobotschaft:Warum sich der Totgesagte jetzt zurückmeldet

Der sogenannte Islamische Staat mag in Syrien schwere Niederlagen erlitten haben. Das neue Video mit Anführer Baghdadi zeigt: Die Organisation bleibt gefährlicher als viele wahrhaben wollen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Noch fehlt eine Bestätigung der Geheimdienste, aber es sieht sehr danach aus, als habe sich der mehrmals schon für tot erklärte Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat zurückgemeldet. Russland wollte Abu Bakr al-Baghdadi bei einem Luftangriff nahe Raqqa getötet haben, auch die von den USA geführte Militärkoalition stellt dem selbsternannten Kalifen mit Luftangriffen, Drohnen und Spezialeinheiten nach. Es ist deswegen schon spektakulär, dass sich der Terrorfürst wenige Wochen nach der militärischen Niederlage und dem Ende seines Protostaates mit einem einigermaßen aufwändig produzierten und inszenierten Video zurückmeldet. Es ist die erste Filmaufnahme von ihm, seit er zum Beginn des Fastenmonats Ramadan im Juli 2014 in der Nuri-Moschee von Mossul sein Terror-Kalifat ausgerufen hatte.

Baghdadi hat mit wenigen Ausnahmen größte Vorsicht walten lassen bei der Benutzung elektronischer Geräte, durch die ihn die Hightech-Späher der ausländischen Armeen hätten lokalisieren können. Ein solches Video birgt, auch wenn es mit Wochen Verzögerung publiziert wird, wertvolle Informationen - und damit auch ein erhebliches Risiko. Es liegt nahe zu vermuten, dass auch Baghdadi die militärische Niederlage seiner Organisation in Syrien als entscheidenden Wendepunkt begreift, allerdings in völlig anderer Weise als etwa Donald Trump, der den IS voreilig und aus innenpolitischer Motivation schon für besiegt erklärt hat.

Das Video lässt sich als Antwort auf Trumps Triumphgeheul lesen, zugleich aber auch als Botschaft an jene innerhalb der Terrormiliz, die nach der militärischen Niederlage in Syrien den Führungsanspruch Baghdadis infrage zu stellen wagen. Sie werfen ihm vor, mit seiner grenzenlosen Grausamkeit das Kalifat mutwillig in den Untergang geführt zu haben. Baghdadi, so er es denn wirklich ist, demonstriert, dass er nicht abgeschnitten oder isoliert ist. Er hat Zugang zu Informationen über das Geschehen in der Welt. Und er begrüßt Terroranschläge und Treueerklärungen dschihadistischer Gruppen in Libyen, Burkina Faso und Mali. Damit will er Handlungsfähigkeit beweisen und seine Position an der Spitze einer funktionierenden Kommandostruktur bekräftigen.

Das mag eine Propagandainszenierung sein, allerdings werden schon seit etlichen Monaten vermehrt Anschläge in Staaten der Sahel-Zone gemeldet. Dort entstehen neue Zellen, in Ägypten und auf der Arabischen Halbinsel kommt es ebenfalls immer wieder zu Anschlägen. Die Muster ähneln vor allem im Sahel jenen der Entstehungszeit des IS im Irak und in Syrien. Dort hat die Organisation zwar ihr Territorium verloren, aber sie existiert als Untergrundorganisation fort. Sie wird versuchen, sich zu regenerieren, und ebenso wie im Sahel bieten weite Wüsten dazu Raum, wo eigene Gesetze gelten und der ohnehin schwache Zentralstaat kaum Zugriff hat geschweige denn Kontrolle.

Genau deshalb wäre es töricht, den Kampf gegen den IS zu beenden. Schon einmal hatten die Amerikaner mit überlegener Feuerkraft seine Vorgängerorganisation im Irak auf wenige Hundert Kämpfer dezimiert. Doch die Dschihadisten hatten den längeren Atem. Sie warteten auf den Rückzug, befeuerten die internen Friktionen zwischen den Volks- und Religionsgruppen, bauten klandestine Strukturen auf, sammelten Waffen und Geld - allzu oft nicht nur von Gönnern, sondern durch organisierte Kriminalität wie Schutzgelderpressung. Der Zustand des Staates in Irak und Syrien, aber auch Libyen und vielen afrikanischen Ländern bietet gute Voraussetzungen, die Unterwanderungsstrategien zu wiederholen.

Der Kalif spricht von einem Abnutzungskrieg, der bis zum Tag des Jüngsten Gerichts dauern werde. Das mag sich für westliche Ohren bombastisch anhören, geradezu größenwahnsinnig. Aber Dschihadisten sehen etwa in den Anschlägen auf Moscheen in Neuseeland Zeichen, dass ihre Strategie fruchtet. Sie wähnen sich in einem apokalyptischen Kampf.

Der Islamische Staat hat immer wieder seine Wandlungsfähigkeit bewiesen. Er existiert weiter als ein Mischwesen aus einem Rumpf kampferfahrener Milizionäre, als Untergrundorganisation und als weltweit agierendes Terror-Franchise-Netzwerk, vor allem aber auch als Ideologie- und Radikalisierungsmaschine, wie sich gerade erst bei den Anschlägen in Sri Lanka gezeigt hat. Das Video ist ein Lebenszeichen eines Totgesagten - das gilt für Baghdadi wie den Islamischen Staat. Und es wäre töricht, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und diese Kampfansage abzutun als bloße Propaganda eines verzweifelten Verlierers, der sich gegen seinen Untergang wehrt.

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FILE PHOTO: Still image taken from video of a man purported to be the reclusive leader of Islamic State militants, Abu Bakr al-Baghdadi

Leserdiskussion
:Für wie bedrohlich halten Sie den sogenannten Islamischen Staat?

Erstmals seit knapp fünf Jahren ist Abu Bakr al-Baghdadi wieder in einem Propaganda-Video aufgetreten. Der sogenannte Islamische Staat hat immer wieder seine Wandlungsfähigkeit bewiesen: Es wäre töricht, den Kampf zu beenden, kommentiert SZ-Autor Paul-Anton Krüger.

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