Süddeutsche Zeitung

Schule und Islam:Angst vor französischen Verhältnissen

An einer Berliner Schule droht ein Elfjähriger, seine Lehrerin zu enthaupten. Der Schock sitzt tief, auch weil andere Schüler sich ähnlich geäußert hatten.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Eine Grundschule im Berliner Bezirk Spandau. "Bienvenidos", "Dobro dosli", "Welcome" - in zig Sprachen werden die Mädchen und Jungen hier auf bunten Karten begrüßt. Mehr als 570 Kinder mit unterschiedlichstem Migrationshintergrund besuchen Tag für Tag die Klassen, mit Masken bewehrt rennen sie an diesem Montagmorgen durch das Schulgebäude. Ein ganz normaler Tag beginnt. Und doch ist der Alltag an der Christian-Morgenstern-Schule mit ein Anlass für eine harsche Mahnung der Bundesbildungsministerin.

In einem Interview mit der Welt am Sonntag warnte Anja Karliczek vor dem Einfluss des Islam an deutschen Schulen. "Hier muss man sehr wachsam sein. Es geht darum, unsere Werte zu schützen und auch unseren Lehrkräften beizustehen." Dass manche Lehrer aus Angst bestimmte Themen nicht mehr ansprächen, das "sind offenbar keine Einzelfälle mehr", sagte Karliczek. Die Morgenstern-Schule in der Großraumsiedlung Heerstraße Nord hatte in der vergangenen Woche Schlagzeilen gemacht, nachdem ein elfjähriger Junge seiner Deutschlehrerin gedroht hatte, sie zu enthaupten. Vor der gesamten Klasse. Anlass waren offenbar anstehende Elterngespräche. Doch muss man sich deshalb Sorgen um die Lehrer in Deutschland machen?

Der türkische Präsident wird als Ehrenmann gefeiert, französische Produkte werden boykottiert

Die Aufregung über den Jungen war jedenfalls groß, vor allem weil sich einige Schüler in Berlin schon bei der Gedenkminute für den ermordeten Lehrer aus Paris, Samuel Paty, ähnlich geäußert hatten. Darunter auch der Elfjährige aus Spandau. Lehrer von Schulen aus mehreren Berliner Bezirken berichteten, dass sie deshalb vor einer Schweigeminute gewarnt hätten. "Da gab es teils erhebliche Bedenken an den Oberschulen", sagt Astrid-Sabine Busse, Grundschuldirektorin in Neukölln und Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen. "Man hat das Problem zu lange weggedrückt."

Peter Stolz, Vorsitzender des Berliner Verbands der Geschichtslehrer, berichtet von Fällen, bei denen Lehrer "extrem gemobbt" würden, wenn sie sich kritisch über den Islam äußerten. "Sie sind ja eine Moslemhasserin" oder "Sie kübeln hier Dreck aus", seien noch die freundlicheren Kommentare einiger Schüler. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werde teilweise als "Ehrenmann" gefeiert, und französische Produkte würden boykottiert. Und dann solle man sich als Lehrerin vor die Klasse stellen und über Gleichberechtigung sprechen? Stolz hat selbst zweieinhalb Jahre in Frankreich gelebt, jetzt sagt er: "Wenn man da nicht rangeht, bekommen wir französische Verhältnisse."

Tatsächlich stellt der Senat für Bildung Schulen und Lehrern seit Jahren ein ganzes Bündel an Schulungen und Broschüren zur Verfügung. Zum Beispiel Fortbildungsangebote zur Extremismusprävention oder die Schrift "Islam und Schule". Darin wird erklärt, wie mit muslimischen Feiertagen in den Schulen umgegangen werden kann oder mit dem "Fasten trotz Matheklausur". Außerdem sollen bis zum kommenden Jahr noch einmal 200 Sozialarbeiter eingestellt werden. Damit sei man nah an dem Ziel, dass es an jeder Berliner Schule mindestens einen Sozialarbeiter gebe, sagt ein Sprecher des Bildungssenats.

Ein Imam meint, den Schülern fehle die Diskussion auf Augenhöhe

Zu dem Angebot der Schulverwaltung gehört seit einem Jahr auch der Besuch eines Imams und eines Rabbiners. "Meet2respect" heißt das Programm, bei dem mit Mädchen und Jungen an den sogenannten Brennpunktschulen der Stadt über ihre Vorurteile gesprochen wird. Imam Ender Cetin, schwarze Jeans, schwarzer Pullover, ist regelmäßig bei diesen Runden dabei. Er meint, es gehe den Schülern, die radikalislamische Sprüche skandierten, vor allem um Identität. "Zu meiner Zeit waren es die Streetgangs, weil man wusste, die waren besonders stark", sagt er. "Wenn es jetzt um den Islam geht, geht es auch um eine Demonstration von Stärke."

Die wenigsten Schüler seien seiner Meinung nach ideologisch gefestigt. "Manchmal ist es auch einfach eine Frustidentität, weil sie immer wieder als ,die Muslime' beschrieben werden." Cetin nimmt wahr, dass die Schulen viel tun, um mit dem Problem umzugehen. Was den Schülern dennoch häufig fehle, sei die Diskussion auf Augenhöhe. "Die Kinder merken sofort, ob die Lehrer eine ablehnende oder eine wertschätzende Art haben."

Kurz nach der Schweigeminute für Samuel Paty war Cetin an der Morgenstern-Grundschule. Er hat dort auch den Elfjährigen kennengelernt, der drohte, seine Lehrerin zu enthaupten. "Nachdem ich mit ihm gesprochen habe, war er wieder ganz ruhig", erinnert sich Cetin. "Dieses Kind ist ideologisch nicht gefährdet." Am vergangenen Mittwoch, einen Tag nach seiner brutalen Drohung, übergab der Junge seiner Lehrerin eine handgeschriebene Seite. Es täte ihm "so, so, so leid", lautet eine Zeile.

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