Süddeutsche Zeitung

Islam:"Wir müssen über den Hass sprechen"

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Nach den Anschlägen in Neuseeland sollte auch in Deutschland eine Debatte über Muslimfeindlichkeit stattfinden, fordert die Historikerin Yasemin Shooman.

Interview von Dunja Ramadan

Bei dem Anschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch waren am Freitag vergangener Woche 50 Muslime während des Gebets getötet und mindestens 20 weitere verletzt worden. Hauptverdächtiger ist ein rechtsextremer Australier.

Die Historikerin Yasemin Shooman, 38, leitet die Akademieprogramme des Jüdischen Museums in Berlin und verantwortet dort die Themenfelder Migration und Diversität sowie das Jüdisch-Islamische Forum.

SZ: Frau Shooman, Sie bezeichnen Islamfeindlichkeit als "ein Phänomen der Mitte der Gesellschaft". Bereits vor Pegida und der Ankunft vieler Flüchtlinge haben Sie über das Thema promoviert. Wie beobachten Sie den Diskurs heute, nach dem Anschlag auf Muslime in Neuseeland?

Yasemin Shooman: Eine ernsthafte Debatte über antimuslimischen Rassismus fand in Deutschland damals und findet auch heute nicht statt. Nach der sogenannten Flüchtlingskrise wurden die Bilder der demografischen Bedrohung Europas durch Muslime verstärkt, schon der Buchautor Thilo Sarrazin hat diese Angst geschürt, wir würden überrannt und "unsere Kultur" sei bedroht. Und jetzt nach Christchurch sprechen wir von einem rechtsextremen Terroranschlag. Das ist zwar richtig, aber man kann es nicht nur auf Rechtsextremismus reduzieren.

Sondern?

Diese Tat hat sich gegen eine spezifische Gruppe gerichtet. Wir müssen über den Hass auf Muslime sprechen, über Muslimfeindlichkeit, die bei dieser Tat der treibende Motor war. Und das kann unbequem werden. Denn den Rechtsextremismus schiebt die Mehrheit gerne in die Vergangenheit oder an den Rand, aber antimuslimischer Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das belegen alle Studien der letzten Jahre.

Jetzt werden viele sagen, Neuseeland ist weit weg. Warum sollte gerade dieser Terrorangriff zum Anlass genommen werden, um über Muslimfeindlichkeit in Deutschland zu sprechen?

Weil es auch hierzulande einen gesellschaftlichen Nährboden für die Ideologie des Täters gibt. Deutsche Rechtspopulisten fabulieren von einem drohenden Bevölkerungsaustausch und von kollaborierenden Eliten, die die "Islamisierung" befördern. Das sind Bilder, die in abgeschwächter Form in einem breiten politischen Diskurs verwendet werden. Es ist nicht nur die Meinung einzelner Radikaler im Netz. Außerdem haben wir ja in Deutschland genügend Beispiele von Angriffen auf Moscheen und von antimuslimischer Gewalt - und einer fehlenden Debatte darüber.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Erst vergangenen Dienstag schlug ein Mann in Berlin einer schwangeren Frau mit Kopftuch in den Bauch und flüchtete. Die Berliner Polizei meldete: "Streitigkeiten eskalierten". Dabei hatte der Mann vor dem Fausthieb die Frau wegen ihres Kopftuchs beleidigt. Diese Art der Darstellung folgt immer demselben Muster. Ich habe damals die Reaktionen untersucht, als ein Rassist 2009 die Muslimin Marwa El-Sherbini in einem Gerichtssaal in Dresden erstochen hat. Sie hatte ihn angezeigt, weil er sie auf einem Spielplatz als "Islamistin" beleidigt hatte. Nach ihrer Ermordung wurde das zunächst als Streit um eine Schaukel abgetan. Die Kanzlerin kondolierte dem ägyptischen Premier, anstatt den hiesigen Muslimen ihre Solidarität auszusprechen. Es fehlte die Frage, was eine islamfeindliche Tat wie diese für den Alltag der Muslime bedeutet. Vor allem für Kopftuchträgerinnen, die beschimpft und angespuckt werden. Das passiert ständig, aber darüber wird nicht gesprochen.

Was meinen Sie, woran das liegt?

Die Grenze des Sagbaren in Bezug auf Muslime wurde immer weiter ausgeweitet. Die Anwesenheit von Muslimen wird beständig problematisiert, prominente Politiker wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (2011 -2013) oder Horst Seehofer stellen die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland infrage. In der Öffentlichkeit werden Ressentiments mittlerweile offen geäußert, wie etwa nach der Veröffentlichung von Sarrazins Buch. All das führte zu einer Normalisierung des antimuslimischen Rassismus und hat Auswirkungen auf die Empathie, wenn Muslime Opfer von Diskriminierung oder Terror werden. Schauen Sie sich dazu mal die Kommentare zu der Tat in den sozialen Netzwerken und Kommentarforen etablierter Zeitungen an, was sich da an Hass entlädt.

Nach dem Anschlag in Christchurch verkündete die Premierministerin Jacinda Ardern aber ziemlich schnell, dass es ein Terroranschlag auf Muslime war.

Stimmt, aber das ist eine Ausnahme. Weiße Terroristen werden meist als Einzeltäter dargestellt und nicht als Träger einer weiterverbreiteten Ideologie.

Zum Beispiel?

Das war beim norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik zu beobachten. Nach islamistischen Anschlägen wird hingegen über eine gesamte Gruppe gesprochen.

Es macht also in der Wahrnehmung einen Unterschied, ob der Täter Muslim war oder nicht?

Ja, das sind sozialpsychologische Prozesse: Während ein Straftäter aus der Eigengruppe als Abweichung von der Norm angesehen wird, gilt er bei einer Gruppe, die als fremd konstruiert wird, schnell als typischer Vertreter. Negatives Verhalten in der "Fremdgruppe" schreibt man eher deren Kollektivcharakter zu, während man innerhalb der Eigengruppe eher das betreffende Individuum verantwortlich macht.

Auf Twitter erntete die Berliner Boulevardzeitung B.Z . nach Christchurch viel Kritik. Sie hatte getitelt: "Er tötete Unschuldige aus Rache für den Terror am Breitscheidplatz". Wie bewerten Sie diese Zeile?

Solche Schlagzeilen transportieren eine implizite Rechtfertigung. Zwar wird betont, dass es die Falschen getroffen hat, aber offenbar ist es nicht möglich, Muslime als Opfer zu benennen, ohne sie sofort als Täter zu thematisieren. Und sei es, indem man sie in Zusammenhang bringt mit einem islamistischen Terroranschlag, der fast 20 000 Kilometer entfernt verübt wurde. Das antimuslimisch-rassistische Tatmotiv und seine gesellschaftliche Dimension werden mit solchen Argumentationsmustern relativiert.

In englischsprachigen Medien wird der Täter "white supremacist" genannt. Dahinter steckt die rassistische Ideologie der weißen Überlegenheit. Sehen Sie da Parallelen zu Deutschland?

Ja, aber nur Rechtsextreme sprechen in Deutschland so offen von einer angeblichen Überlegenheit der Weißen. Deutsche Rechtspopulisten verklausulieren das eher, um in der bürgerlichen Mitte anschlussfähig zu bleiben. Da spricht man dann von "westlicher Leitkultur" und "unserer Lebensweise", die mit "anderen Kulturen", die als minderwertig angesehen werden, angeblich nicht kompatibel sei. Antimuslimische Diskurse dienen sowohl dazu eine nationale Gemeinschaft als auch eine übernationale "abendländische" Identität zu konstruieren. In dieser Wahrnehmung wird das Christentum als Religion der Weißen inszeniert, und der Islam als Religion der Nicht-Weißen.

Inwiefern hat Rassismus überhaupt etwas mit Muslimfeindlichkeit zu tun?

Die Rassismusforschung stimmt weitgehend überein, dass mit der steigenden Tabuisierung des Begriffs "Rasse" infolge der nationalsozialistischen Verbrechen seine soziale Wirkmächtigkeit nicht nachgelassen hat. Wir haben es nun verstärkt mit einem kulturell begründeten Rassismus zu tun. Dabei wird "Kultur" genauso deterministisch verwendet wie ehemals Genetik und biologistische Zuschreibungen. Muslime werden daher nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch als Abstammungsgemeinschaft adressiert. In den Debatten wird das Deutschsein und das Muslimischsein deshalb als Gegensatzpaar gedacht.

Wann hört denn bei Ihnen legitime Religionskritik auf?

Generalisierende Zuschreibungen und doppelte Standards sind immer ein Hinweis darauf, dass es sich nicht um seriöse Kritik handelt. Und natürlich stellt sich oft die Frage, welche Intention die Kritik verfolgt. Geht es darum, Verbesserung zu schaffen oder die Ausgrenzung von Muslimen zu legitimieren? Wir können beobachten, dass Frauenrechte oder die Rechte von Homosexuellen von bestimmten Akteuren nur dann in Stellung gebracht werden, wenn es um Muslime geht und die gleichen Leute dann an anderer Stelle gegen Gender-Mainstreaming polemisieren. Das zeigt: Hier werden Menschenrechte instrumentalisiert, um Ressentiments zu legitimieren.

Über welche Fragen würden Sie nach Christchurch gerne diskutieren?

Was hat es für Auswirkungen, wenn jemand die These aufstellt, es gebe zu viele Muslime in einer Gesellschaft? Implizit enthält das die Botschaft: Wie könnten es wieder weniger werden? Als könnte man die Präsenz der Muslime zur Abstimmung stellen. Damit zementiert man die Vorstellung von einer Gesellschaft, die sich in Gastgeber und Gäste aufteilt. Und das ist keine Zustandsbeschreibung von Deutschland im 21. Jahrhundert. Muslime müssen als selbstverständlicher Teil der deutschen Bevölkerung angesehen werden.

Wenn Muslime öffentlich über Ausgrenzung und Diskriminierung sprechen, wird ihnen oft vorgeworfen, sich in eine Opferrolle zu begeben. Wie bewerten Sie das?

Das ist ein Totschlagargument. Wenn man das einer Gruppe vorhält, die von Rassismus betroffen ist, dann nimmt man ihre Diskriminierungserfahrungen nicht ernst. Das ist, wie wenn ich als Frau über Sexismus diskutieren will und man mir vorwirft, mich als Opfer zu inszenieren. Dann kann man kein ernsthaftes Gespräch führen.

Was erwarten Sie von der Politik?

Ich wünschte, dass die Politik das Phänomen Muslimfeindlichkeit klar benennt. Seit vergangenem Jahr gibt es einen Antisemitismusbeauftragten. Ich finde, wir bräuchten auch einen Islamfeindlichkeitsbeauftragten. Und wir sollten die verschiedenen Rassismen - auch gegen Sinti und Roma oder Schwarze - auf Bundes- und Landesebene koordiniert angehen. Denn der rassistische Nährboden ist für alle Minderheiten gefährlich. Ein Ressentiment kommt selten allein.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019
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