Süddeutsche Zeitung

Islam:Eine gefährliche These

Mehr als eine wissenschaftliche Debatte: Ein Islamforscher aus Münster bezweifelt die Existenz des Propheten Mohammed - und handelt sich viel Ärger ein.

Matthias Drobinski und Elmar Jung

Ja, das sei so eine Sache mit dem Propheten, sagt Professor Muhammad Sven Kalisch aus Münster, "es kann nicht widerlegt werden, dass er gelebt hat, aber auch nicht bewiesen". Er allerdings neige "zunehmend dazu, anzunehmen, dass er nicht gelebt hat, jedenfalls nicht so, wie ihn der Koran und die Hadithe, die Überlieferungen, beschreiben".

Und wenn das so sei, "dann kann der Koran zwar göttlich inspiriert sein, eine große Erzählung von Gott, aber nicht von Allah Wort für Wort einem Propheten diktiert". Früher habe er das anders gesehen, so Kalisch. Aber jetzt sei er nach langem Forschen und vielen Diskussionen zu einer anderen Auffassung gelangt.

Nun wird die Frage, ob Mohammed gelebt hat und ob er den Koran schrieb, tatsächlich in der Wissenschaft kontrovers diskutiert - die meisten Forscher halten Existenz und Autorenschaft des Propheten für relativ gut belegt, andere zweifeln aufgrund der Widersprüche und Unklarheiten in der Überlieferung am Sein Mohammeds.

Eine Art von Extremismus

Es könnte also schlicht um eine wissenschaftliche Debatte gehen, aber so einfach ist das bei Kalisch nicht. Der 42-jährige Direktor des Münsteraner Centrums für Religiöse Studien hatte für die muslimischen Verbände in Deutschland selbst eine Art Prophetenstatus.

An seinem Institut sollten die ersten Lehrer für islamischen Religionsunterricht ausgebildet werden, jenen den christlichen Kirchen gleichgestellten Unterricht, den der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) seit Jahren fordert. Der deutsche Konvertit, der mit 15 zum Islam übertrat, ist intelligent, beredt, belesen - und jetzt ist er vom Glauben abgefallen, jedenfalls aus Sicht der strengen Muslime, für die der Koran die wörtliche Offenbarung Gottes ist, weshalb es auch keinen Zweifel geben kann, dass Mohammed so gelebt hat, wie es überliefert ist.

So gesehen ist es nur konsequent, dass der KRM, in dem der Zentralrat der Muslime (ZMD), der Islamrat, die türkisch-staatliche Ditib und der Verband der Islamischen Kulturzentren organisiert sind, Professor Kalisch die Zusammenarbeit aufgekündigt hat und muslimischen Studierenden von seinen Vorlesungen abrät; die in den Verbänden zusammengeschlossenen Moscheegemeinden sind theologisch meist konservativ. Kalisch vertrete nicht mehr "die Lehre, wie sie die Allgemeinheit der Muslime in Deutschland verinnerlicht hat", sagt der ZMD-Vorsitzende, Ayyub Axel Köhler. Den Koran wörtlich zu interpretieren, wie dies Fundamentalisten täten, sei das eine Extrem, die Existenz des Propheten Mohammed zu leugnen das andere. "Wir sind gegen jede Art von Extremismus", sagt Köhler.

Kalisch sieht sich dagegen weiter als Muslim und frommen Menschen, ihm geht es um die Freiheit der Wissenschaft: "Die islamische Theologie steht dort, wo die christliche im 19. Jahrhundert stand - uns fehlt die historisch-kritische Forschung." Er wolle seine Studenten zu "unabhängigem Denken" befähigen. Kalisch gehört der schiitischen Strömung der Zaiditen an, für die Rationalität und Glaube zusammengehören, während sich nach der Vorstellung der Sunniten Gott den menschlichen Kategorien entzieht - auch das hat das Misstrauen der Verbände erhöht. Es sei eben "vertrauenswürdiger, wenn ich auf dem Posten einen sunnitischen Gelehrten habe".

Der Fall ist aber auch eine politische Angelegenheit. Können die muslimischen Verbände ihnen nicht genehme Professoren die Lehrbefugnis entziehen, wie das die katholische und die evangelische Kirche können? Der KRM hat offenbar versucht, im Beirat des Centrums für Religiöse Studien eine Unbedenklichkeitsklausel einzufügen, vergleichbar mit dem "Nihil obstat" (es steht nichts entgegen), das die katholische Kirche angehenden Theologieprofessoren bescheinigen - oder verweigern - darf. Das lehnten Kalisch und die Rektorin der Uni Münster, Ursula Nelles, ab.

Neuer Professor gesucht

Für die Pläne des KRM, islamischen Religionsunterricht einzurichten, ist die Trennung von Kalisch ein Rückschlag - ohne wissenschaftliche Expertise und eine anerkannte Ausbildungsstätte dürfte das Misstrauen der Bundesländer kaum zu überwinden sein. Fieberhaft sucht der KRM deshalb nach einem Ersatz für den Professor aus Münster.

Der Blick des Koordinierungsrates richtet sich offenbar nach Osnabrück, wo vor zweieinhalb Monaten der Erweiterungsstudiengang Islamische Religionspädagogik unter der Leitung von Bülent Ucar ins Leben gerufen wurde. Ein Projekt, das den Gefallen der muslimischen Dachorganisationen findet. "In Osnabrück scheint es Entwicklungen zu geben, die uns sehr nahe kommen", heißt es im ZMD.

Anders als Kalisch stellt der 31-Jährige die Grundsätze des Islams nicht in Frage, doch um sicherzugehen, ob die Lehre Bülent Ucars auch langfristig das Plazet der Verbände findet, wird dem Vernehmen nach Maryam Brigitte Weiß, die Frauenbeauftragte des Zentralrats, den viersemestrigen Ergänzungsstudiengang absolvieren.

Muhammad Sven Kalisch muss sich wohl damit anfreunden, dass viele Muslime ihn bald als Abtrünnigen ansehen dürften - und auf den Glaubensabfall steht in der Scharia die Todesstrafe. "Ich weiß, dass in vielen Moscheegemeinden über mich diskutiert wird," sagt er, "aber noch mache ich mir keine Sorgen."

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SZ vom 11.09.2008/woja
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