Süddeutsche Zeitung

Ischgl und Coronavirus:Wo die Gier feiert

Im Skiort Ischgl wurde der Profit zu lange über die Gesundheit der Menschen gestellt. Ein fatales Zögern, das Infektionen in ganz Europa zur Folge hatte - und nun auch die Justiz beschäftigt.

Kommentar von Leila Al-Serori, Wien

Ischgl hat 1600 Bewohner, aber 10 000 Übernachtungsbetten. Man kann sich vorstellen, wie gedrängt es in dem Tiroler Skiort zur Saison zugeht. Und wie leicht es das Coronavirus hatte, sich auszubreiten. Genau davor haben die Behörden zu lange die Augen verschlossen - schließlich ging es nicht nur um viel Geld, es geht auch um Existenzen, wenn die Saison frühzeitig endet, die Gäste ausbleiben. Die Versäumnisse sind aber zu eklatant, um sie deshalb zu entschuldigen.

Mehrere Staaten führen Hunderte Infektionen auf Rückkehrer aus Ischgl zurück, auch Deutschland, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bestätigte. Infektionen, die man womöglich hätte verhindern können. Denn Island erklärte Ischgl bereits Anfang März zum Risikogebiet - doch dauerte es mehr als eine Woche bis die Quarantäne verhängt wurde.

Zu viele Tage, in denen noch Tausende Touristen an- und abreisten. In denen die Gefahr verharmlost wurde. Die Politik beugte sich offenbar auch dem Druck der Tourismus- und Bergbahnlobby, wie mittlerweile mehrere Medienberichte aufzeigen. Der Profit wurde über die Gesundheit der Menschen gestellt.

Dieses Versäumnis dürfte ein Fall für die Gerichte werden. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat Ermittlungen gegen eine Après-Ski-Bar eingeleitet, die einen Coronafall Ende Februar - also lange vor dem ersten offiziellen Erkrankten - vertuscht haben soll, Experten rechnen zudem mit Klagen von Touristen. Schon jetzt seien mehrere Anzeigen der Staatsanwaltschaft zufolge eingegangen, die derzeit geprüft würden.

Ischgl ist natürlich nicht der einzige Ort, wo man zu zögerlich reagierte und lange verharmloste. Doch dort tritt die dahinterstehende Gier besonders deutlich zutage.

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SZ vom 25.03.2020
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