Süddeutsche Zeitung

IS-Terrormiliz vor Einnahme von Grenzstadt:Straßenkämpfe toben in Kobanê

  • Ansturm auf Kobanê: Von mehreren Seiten sollen die IS-Dschihadisten die nordsyrische Stadt inzwischen angreifen. In zwei östlichen Vierteln sollen sich Kurden und Extremisten heftige Straßenkämpfe liefern. Manche rechnen damit, dass IS die Stadt bald übernimmt.
  • Die kurdischen Kämpfer forderten zuvor mehr Unterstützung aus dem Westen. Die türkische Regierung spricht sich gegen den Einsatz eigener Bodentruppen in Syrien aus.
  • Die Türkei soll Dschihadisten im Tausch gegen Geiseln freigelassen haben.
  • Der frühere US-Verteidigungsminister Panetta macht die Politik von Präsident Obama für den Aufstieg der IS-Miliz mitverantwortlich. Er rechnet mit einem langen Krieg gegen die Dschihadisten.

Straßenkämpfe in Kobanê

Trotz heftiger Gegenwehr kurdischer Kämpfer ist die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) am Montagabend in die nordsyrische Grenzstadt Kobane eingedrungen. Die IS-Kämpfer lieferten sich "erstmals" Straßenkämpfe mit den Kurden im Ostteil der Stadt, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Kurdische Kämpfer und IS-Milizionäre kämpften "in den Straßen, zwischen den Gebäuden", sagte der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman.

Die BBC zitiert einen "Offiziellen" auf kurdischer Seite namens Idriss Nassan, der eine baldige Eroberung der Stadt durch IS für möglich hält. Seinen Worten zufolge kontrolliert die Terrormiliz nun den südlich von Kobanê gelegenen Mischanur-Hügel. Der Höhenzug ist eine strategisch wichtige Erhebung, von der sich die kurdische Enklave überblicken lässt. Die IS-Miliz versucht seit dem Wochenende den Hügel einzunehmen, Einheiten der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) verteidigen damals jedoch die der Stadt zugewandte Nordseite.

IS-Milizen hissen Flagge am Stadtrand von Kobanê

Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) hatten nach kurdischen Angaben zuvor ein erstes Haus am östlichen Rand der umkämpften syrischen Stadt Kobanê erreicht. Dort hätten sie auch ihre charakteristische schwarze Flagge gehisst, sagte Anwar Muslim, der Chef der selbst ernannten Regionalregierung von Kobanê (arabisch: Ain al-Arab), der Nachrichtenagentur dpa.

Bei dem Haus handele es sich um ein einzelnes Gehöft östlich der kurdischen Enklave. Das Anwesen liege etwa einen Kilometer von der Stadt entfernt, hieß es. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) würden einen Gegenangriff starten, um die IS-Kämpfer von einem weiteren Vorrücken abzuhalten.

Der Nachrichtenagentur AFP zufolge sind im Osten der umkämpften Kurdenstadt am Montag sogar zwei Fahnen der Dschihadistenmiliz gehisst worden. Eine Fahne wehte auf einem Gebäude im Osten der Stadt und eine weitere auf einem benachbarten Hügel, wie ein AFP-Fotograf von der türkischen Seite der Grenze aus beobachtete. Ob eines der Fotos mit der dpa-Meldung von dem einsam liegenden Gehöft übereinstimmt, lässt sich im Moment nicht sagen.

Luftschläge in Kobanê nicht ausreichend, sagen kurdische Kämpfer

Die USA und ihre Verbündeten setzten ihre Luftschläge gegen den IS fort. Doch den Kurden zufolge reichen ihre Einsätze nicht aus, um den Ansturm von IS-Kämpfern zu stoppen. "Die internationale Gemeinschaft kann den IS nicht allein durch Luftschläge zurückschlagen", sagte Idriss Nassan, ein Sprecher der kurdischen Kämpfer in Kobanê, CNN zufolge. "Sie muss den Menschen helfen, die kämpfen, der YPG, der Freien Syrischen Armee, die hier am Boden sind."

Die IS-Miliz griffe die Stadt von drei Seiten an, und Kampfjets könnten einfach nicht jeden Kämpfer treffen, zitiert der Guardian den Kurden-Sprecher. Die Dschihadisten seien einfach zu viele, um aus der Luft bekämpft zu werden.

Die türkische Regierung sagte Kurden in Kobane Unterstützung zu, lehnte aber einen schnellen Einsatz von Bodentruppen in der umkämpften syrischen Stadt ab. "Wir werden alles nur Mögliche unternehmen, um den Menschen in Kobane zu helfen", sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu dem US-Sender CNN. "Bodentruppen zu schicken ist aber natürlich eine andere Entscheidung." Wenn man in Kobane eingreife, müsse man in ganz Syrien intervenieren.

Medienberichte: IS-Geiseln gegen Dschihadisten ausgetauscht

Die im September aus der Geiselhaft der IS freigekommenen Türken könnten Medienberichten zufolge gegen bis zu 180 Dschihadisten ausgetauscht worden sein. Das berichtet die britische Zeitung The Times unter Berufung auf eine ihr vorliegende Liste. Unter den ausgetauschten Extremisten seien auch drei Franzosen, zwei Briten, zwei Schweden, zwei Mazedonier, ein Schweizer und ein Belgier gewesen. Aus britischen Regierungskreisen wurde die Liste als "glaubhaft" bezeichnet, wie die Rundfunkanstalt BBC berichtete.

Der IS hatte im Juni dutzende Türken aus dem türkischen Konsulat in der nordirakischen Stadt Mossul verschleppt. Am 20. September kehrten sie in die Türkei zurück. Ankara bezeichnete die Freilassung als Ergebnis einer "geheimen Rettungsaktion". Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sagte seinerzeit, es sei "unwichtig, ob es einen Austausch gab oder nicht".

Panetta rechnet mit "Dreißigjährigem Krieg" gegen IS

Der frühere US-Verteidigungsminister Leon Panetta rechnet mit einem womöglich Jahrzehnte dauernden Kampf gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). "Ich denke, wir stehen vor einer Art von Dreißigjährigem Krieg", sagte Panetta der US-Zeitung USA Today. Der Kampf könnte sich dabei auch auf Bedrohungen durch islamistische Gruppierungen in Ländern wie Libyen, Nigeria, Somalia und Jemen ausweiten.

Panetta bringt am Dienstag eine Autobiografie heraus, in der er die Politik von US-Präsident Barack Obama für den Aufstieg der IS-Miliz mitverantwortlich macht. In dem Buch "Worthy Fights" ("Lohnende Kämpfe") kritisiert Panetta, dass das Weiße Haus Ende 2011 trotz Warnungen vor einem neuerlichen Chaos im Irak die dort stationierten US-Soldaten komplett abgezogen habe. "Es war für mich und viele andere klar, dass der Abzug aller unserer Kräfte die zerbrechliche Stabilität gefährden würde, die den Irak damals kaum zusammengehalten hat", heißt es in vorab veröffentlichten Auszügen.

In der USA Today beklagte Panetta, dass die Entscheidung des Präsidenten ein "Sicherheitsvakuum" im Zweistromland hinterlassen habe. Außerdem warf er Obama vor, nicht rechtzeitig gemäßigte Rebellengruppen im Kampf gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad unterstützt zu haben. Noch habe der Präsident aber die Möglichkeit, "den Schaden zu reparieren", sagte Panetta, der von Juli 2011 bis Februar 2013 das Pentagon führte und davor an der Spitze des Geheimdienstes CIA stand.

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