Prozess in Düsseldorf:Terrorist aus einer anderen Welt

Mutmaßliche IS-Terroristen vor Gericht

Vier Jahre und drei Monate Haft: Der Iraker Mohammed Y. auf der Anklagebank im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Ein deutsches Gericht verurteilt einen Iraker als Mitglied des "Islamischen Staats", 3500 Kilometer entfernt vom Tatort. Solche Fälle könnte es künftig öfter geben.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Es ist der Moment, da Mohammed Y. offiziell zum Terroristen wird. Der Augenblick, da dieser schmächtige 29-jährige Mann mit dem dunklen Zopf am Mittwoch seine Strafe erfährt: vier Jahre und drei Monate Haft wegen Mitgliedschaft in den Terrormilizen des "Islamischen Staats". Mohammed Y. steht hinter der hohen Glasscheibe, die im Hochsicherheits-Trakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf die Angeklagten vom Gerichtssaal trennt. Über Kopfhörer vernimmt der Iraker die arabische Übersetzung des Urteils. Sein Blick ist leer - und er lächelt.

So geht das seit exakt einem Jahr. Wann immer der Hauptangeklagte in diesem Strafprozess gegen drei IS-Kämpfer mit Details seiner Vergangenheit in Al-Rutba, einer Kleinstadt im Westirak, konfrontiert wird, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Ein verlegenes, fast zwanghaftes Grinsen.

"Er war Teil dieses Massakers, er ist ein Mörder!", schreit der Kronzeuge im Gerichtssaal

So war es, als vor genau 366 Tagen ein Bundesanwalt die Anklage verlas und Y. vorhielt, er sei schon als Jugendlicher von 2004 bis 2006 an dreizehn Sprengstoffanschlägen mit unzähligen Toten beteiligt gewesen. Und so geschah es vorigen August, als ein früherer Nachbar schilderte, wie Y. im Sommer 2014 als IS-Milizionär mit einer Kalaschnikow eine Menschenmenge observierte, die einer Steinigung zweier angeblicher Ehebrecher zusah. Der IS habe "keine Gnade gekannt", schrie der Kronzeuge in den Saal, "er war Teil dieses Massakers, er ist ein Mörder!" Y. lächelte wieder.

Nun also ist die "Strafsache gegen Y. und andere" entschieden. Das Ergebnis - drei Schuldsprüche gegen drei Angeklagte - klingt freilich eindeutiger, als dieses besondere Terrorverfahren tatsächlich war. Hinter dem Aktenzeichen III-6 StS 2/19 verbirgt sich ein Prozess, dessen Muster deutsche Gerichte künftig häufiger erleben werden: Denn der Gräuel beschuldigt wurde diesmal keiner jener über hundert Islamisten mit deutschem Pass, die inzwischen zurückkehrten aus dem Nahen Osten. Auf der Anklagebank saßen diesmal drei Einheimische aus dem früheren IS-Kalifat, die - zusammen mit Hunderttausenden von Landsleuten - als syrische und irakische Staatsbürger seit 2015 in die Bundesrepublik geflohen waren. Die drei sind ehemalige IS-Kämpfer, die untertauchten in der deutschen Willkommenskultur. Und die dann von einem Landsmann als frühere Milizionäre angezeigt wurden.

Nach deutschem Strafrecht können im Inland ansässige Täter wegen Terrorverbrechen im Ausland verfolgt werden (§ 129 b StGB). Laut Generalbundesanwalt hat sich die Zahl der Beschuldigungen wegen islamistischer Terrorverbindungen gegen syrische und irakische Bürger verdreifacht (20 in 2015, 62 in 2018). Und 2019 leitete die Behörde in Karlsruhe 161 Ermittlungsverfahren mit IS-Bezug ein (2018: 132). Ein Sicherheitsexperte schätzt, die Zahl ehemaliger IS-Kämpfer in Deutschland addiere sich inzwischen zu "einer mittleren dreistelligen Zahl". Rechne man das gute Dutzend anderer Organisationen aus Syrien und dem Irak hinzu, die das Bundesjustizministerium als Terrorgruppen aufzählt, so komme man auf knapp tausend gewalterfahrene Milizionäre.

Harte Zahlen kennt aber niemand. Auch vor dem Düsseldorfer Gericht erweist sich vieles, was den Bundesanwälten 2018 als Fundament für drei Haftbefehle gedient hatte, als Treibsand. Vor zwei Jahren, am 6. Juni 2018, hatten drei Spezialkommandos die drei Iraker in Bottrop, in Dortmund und im bayerischen Kümmersbruck frühmorgens aus dem Schlaf gerissen. Alle drei - der Friseur Y., der 30-jährige Fliesenleger Muqatil A. und der 28-jährige Betreiber eines Computerladens Hasan K. - hatten vor ihrer Flucht in Al-Rutba gelebt, einem Wüstenort an der strategisch wichtigen Autobahn aus Syrien und Jordanien nach Bagdad. Sie wurden in Deutschland von einem ehemaligen Nachbarn, dem Lastwagenfahrer Ahmed Zaki F., erkannt und in endlosen Vernehmungen als IS-Getreue beschrieben.

Täter, Opfer, Zeugen sowie die Tatorte - alles ist Irak. Aber verhandelt wird nach den Regeln des deutschen Rechtsstaats. Und denen kann der Schlüsselzeuge F. oft nicht genügen. Schon bei seinem ersten Auftritt Ende Juni 2019 bekennt der bullige Trucker, er habe "mit Daten ein Problem: Ob das 2013 oder 2014 war, das kann ich nicht sagen". Nicht nur chronologisch gerät allerlei durcheinander. Die Tatvorwürfe gegen Y., der von 2006 bis 2008 nahe der Autobahn Sprengsätze vergraben und Konvois der irakischen wie der amerikanischen Armee in die Luft gejagt haben soll, brechen zusammen. Y. sei mit Schaufeln und fünf Kumpanen, die der al-Qaida gehorchten, aus der Stadt gefahren, berichtet der Zeuge F.: "Dass die Bomben legten, wusste jeder!" Ob Y. auch gegraben habe, will Jan van Lessen wissen, der Vorsitzende Richter des auf Anti-Terror-Verfahren spezialisierten Senats. "Das kann ich nicht sagen." Aber, so fügt F. später hinzu, das sei egal: "Es ist das Gleiche, ob er mitgemacht hat oder nicht: Seine Hände sind voller Blut!" Am Mittwoch räumt der Bundesanwalt ein, Y. seien Mord und Totschlag zu Al-Qaida-Zeiten - der dramatischste Teil der Anklage - nicht nachzuweisen.

Den Zeugen F. plagen auch Ängste. Als er während der Mittagspause in der Kantine zwei Freunde des Angeklagten Y. ausmacht, befürchtet er einen Messerangriff. Er bekommt Polizeischutz. Dann meldet sich ein Bruder aus dem Irak, den die deutsche Botschaft in Bagdad zu einer Vernehmung gebeten hatte und der nun Racheakte von IS-Sympathisanten im Ort befürchtet. "Wenn die mich morgen umbringen, wer ernährt meine Kinder?", habe ihn sein Bruder am Telefon gefragt. Obendrein legt ein Verteidiger es drauf an, F. mit dem Gerücht zu verunsichern, seine Frau habe mit dem Angeklagten A. auf der Flucht ein Verhältnis angefangen. F. sieht seine Ehre verletzt, bekundet im Herbst gar Selbstmord-Gedanken. Ein Psychiater bescheinigt ihm zwar "starke Vergesslichkeit", aber "keine Einschränkung seiner Zeugenfähigkeit".

Immerhin, im Laufe von 46 Verhandlungstagen gelingt es dem Gericht, dem Zeugen Konkretes abzuringen. Es entsteht das Bild dreier IS-Mitläufer, die sich nach der Eroberung ihrer Heimatstadt im Juni 2014 ohne Zögern einließen auf die neuen Machthaber. Der Angeklagte A. zieht ins militärische Trainingslager, schwört dem IS die Treue, schiebt Wachdienste. Der Angeklagte K. dient dem lokalen IS-Propaganda-Chef als Kameramann bei Paraden, ist als Beobachter bei Hinrichtungen dabei. Bereits im März werden die Verfahren gegen A. und K. abgetrennt. Beide gestehen einen Teil der ursprünglichen Anklage, das Gericht verurteilt sie zu je zweieinhalb Jahren Gefängnis. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft werden sie noch am selben Tag aus der Haft entlassen.

Da könne man jeden Bäcker anklagen, der Brot gebacken habe unter dem IS, sagt ein Verteidiger

Die Bundesanwaltschaft betrachtet ihr Vorgehen auch gegen untere IS-Schergen als Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terror. Man befolgt UN-Konventionen. Und man dient der Gefahrenabwehr, will Anschläge in Deutschland verhindern. Paris, Brüssel, Berlin - an diese Orte erinnert auch Richter van Lessen am Mittwoch in seiner Urteilsbegründung.

Die Verteidiger hingegen beklagen, das deutsche Gericht ignoriere die irakische Wirklichkeit. Jahrelang habe die sunnitische Bevölkerung im Westirak unter der Herrschaft meist schiitischer Militärs gelitten: "Da haben 95 Prozent den IS zunächst als Befreiung erlebt", sagt Azzadine Karioh, der Anwalt von K. Der deutsche Maßstab für Beihilfe zum Terrorismus sei weltfremd: "Da kann man jeden Bäcker anklagen, weil er noch Brot gebacken hat unter dem IS." Marco Neumann, der Verteidiger von Y., sieht das ähnlich: "Was wäre die rechtmäßige Handlungsalternative für meinen Mandanten gewesen, damit er nicht eines Tages in Deutschland verurteilt wird?"

Y. war von den Dreien der Eilfertigste in den Reihen des IS. Sein Motiv hat er Mitte Mai im Geständnis offenbart: Er sei Homosexueller, und frühere Freunde beim IS hätten ihn gewarnt, man werde nicht länger wegschauen. "Ich hatte Angst, dass die mich umbringen", sagt er im Schlusswort. Er gehorchte, verdingte sich bei drei Hinrichtungen als bewaffneter Aufseher. Am Mittwoch in Düsseldorf, 3500 Kilometer entfernt und sechs Jahre später, wird er auch deshalb als IS-Kämpfer verurteilt. Aus Al-Rutba werden neue Kämpfe gemeldet. Die Lage im Irak bleibt labil, weshalb Y. vorerst keine Abschiebung droht. Dennoch, beim Abgang aus dem Gericht hat er nicht gelächelt.

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