Passentzug:"Ein gefährlicher Schritt"

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Was passiert mit IS-Kämpfern, die zurückkehren wollen? Dürfen sie deutsche Staatsbürger bleiben? Darüber wurde in der großen Koalition lange diskutiert. (Foto: AFP)

Die Rechtsprofessorin Astrid Wallrabenstein spricht über den Plan der Bundesregierung, deutsche IS-Kämpfer auszubürgern, wenn sie noch eine weitere Staatsangehörigkeit haben.

Interview von Wolfgang Janisch

SZ: Die Bundesregierung will Kämpfer des IS ausbürgern, falls sie neben dem deutschen noch einen anderen Pass haben. Manche fragen sich, warum der Staat überhaupt Terroristen, die sich gegen ihn wenden, den Schutz der Staatsangehörigkeit bieten soll?

Astrid Wallrabenstein: Dass Staatsangehörige den Schutz ihres Staates genießen, ist nicht begründungsbedürftig. Begründet werden muss nur das Gegenteil. Es sind eben Staatsangehörige, und als Staatsangehöriger hat man Schutz.

Schon jetzt ist der Verlust der Staatsangehörigkeit möglich, und zwar beim Eintritt in die Streitkräfte eines anderen Staates. Die Bundesregierung will das nun auch für Angehörige eines "paramilitärisch organisierten bewaffneten Verbandes" anordnen. Das klingt doch so, als sei es mehr oder minder das Gleiche, oder?

Dieser Paragraf 28 Staatsangehörigkeitsgesetz wird immer verkürzt zitiert: Ein Deutscher verliert danach den deutschen Pass nur beim Eintritt in die Armee eines Staates, "dessen Staatsangehörigkeit er besitzt". Das ist der Punkt ...

... weil der IS keine Staatsangehörigkeit verleihen kann, passt der Vergleich nicht?

Genau. Die bisherige Regelung soll eine Konfliktsituation zwischen Staaten vermeiden. Doch der "Islamische Staat" heißt nur so, ist aber keiner. Der Verlust des deutschen Passes drohte dann jedem Angehörigen eines Guerillaverbands. Kurden, Palästinenser oder Tschetschenen mit einem Doppelpass, die im Kampf um die Autonomie ihrer Region in eine Miliz eintreten, würden ausgebürgert. Das zeigt, wie uferlos diese Idee ist.

In Artikel 16 GG steht: Der "Entzug" der Staatsangehörigkeit ist unzulässig, der "Verlust" unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Wäre die geplante Regelung damit vereinbar?

Ich kenne noch nicht die Details des Entwurfs, sehe aber große Schwierigkeiten. Schon die Frage, ob es wirklich nur ein "Verlust" wäre oder doch ein von vornherein verbotener "Entzug" der Staatsangehörigkeit, ist nicht ganz einfach zu beurteilen. Und selbst wenn es ein "Verlust" ist, dann muss die Maßnahme verhältnismäßig sein und einem legitimen Zweck dienen.

Wäre ein möglicher Sicherheitsgewinn ein solcher Zweck?

Ich habe da meine Zweifel. Für Sicherheit sind Polizei und Strafverfolger zuständig, nicht die Passbehörde. Außerdem kann ich nicht erkennen, wie die Ausbürgerung die Sicherheitslage insgesamt verbessert.

Aber es wäre für die Leute schwieriger, sich in Deutschland aufzuhalten.

Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit würde dazu führen, dass ein wahrscheinlich gefährlicher Terrorist in einem anderen Staat zur Verantwortung gezogen oder vielleicht als "Gefährder" überwacht werden müsste. Da stellt sich die Frage: Sind andere Staaten wirklich besser gerüstet, um gegen einen Terroristen vorzugehen, als wir das sind, mit unserem Strafrecht und Polizeirecht?

Andere Staaten haben ebenfalls Ausbürgerungsvorschriften, gerade auch für Terroristen. Was passiert, wenn jemand seitens seiner beiden Staaten unter Druck gerät?

Weil der Verlust des deutschen Passes nur möglich ist, wenn jemand dadurch nicht staatenlos wird, muss man zuerst wissen, ob nicht der andere Staat mit der Ausbürgerung schneller war. Das kann überaus kompliziert sein und wäre sehr schwer in die Praxis umzusetzen.

Und der andere Staat wäre ja auch nicht gerade erpicht darauf, einen terroraffinen Staatsbürger zu behalten.

Ein Wettlauf, wer schneller mit der Ausbürgerung ist, kann nicht hilfreich sein. Es wäre zudem unfair, denn hier müssen die Staaten vernünftig miteinander umgehen. Das europäische Abkommen über die Staatsangehörigkeit zum Beispiel ist der Versuch, die nationalen Regelungen abzustimmen. Die geplante deutsche Regelung zeugt dagegen von einer eindimensionalen, sehr deutschen und geradezu egoistischen Sichtweise auf das Problem.

Der Schutz vor Ausbürgerung ist eine Lehre aus de m Nationalsozialismus, gehört also zur DNA des Grundgesetzes. Ist das heute noch von Bedeutung?

Unsere Zeit ist von Unsicherheiten geprägt, die auch die Zuordnung zu Staaten betreffen, nehmen Sie nur die Migrationsbewegungen. Wir müssen uns daher vergewissern: Was heißt es heute, einem Staat anzugehören? Und was bedeutet es, wenn man aus der Gemeinschaft der Staatsangehörigen ausgeschlossen wird?

Astrid Wallrabenstein ist Professorin für Öffentliches Recht an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt/Main. Sie promovierte zum Thema "Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit". (Foto: oh)

Ist der Schutzstandard, den ein Staat gewährt, gerade in einer globalisierten Welt so wichtig wie vor 70 oder 80 Jahren?

Vielleicht ist er sogar wichtiger geworden, weil so vieles im Fluss ist. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht mehr in die Länder ihrer Herkunft zurückkönnen.

Der US Supreme Court nannte Ausbürgerung 1958 die "totale Zerstörung des Status als Individuum in einer organisierten Gesellschaft " und eine "Form der Bestrafung, primitiver als Folter". Von solchen Prinzipien sind wir heute weit entfernt.

Jedenfalls ist das historische Bewusstsein geschwunden. In der Folge des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurden Millionen Menschen aus Deutschland, aber auch vielen osteuropäischen Staaten als "Displaced Persons" gleichsam in einer globalen Welt freigesetzt. Dass es eine Lösung braucht, war damals der Staatengemeinschaft sehr klar. Heute wird die Debatte in Deutschland sehr national geführt.

Müssen wir uns eingestehen, dass diese Terroristen unsere Terroristen sind - und wir deshalb mit ihnen umgehen müssen?

Terroristen müssen sicherlich bekämpft werden, aber sie bleiben ja Menschen. Wenn es unsere Staatsangehörigen sind, dann müssen wir uns wohl oder übel damit auseinandersetzen, was diese Menschen Falsches, Gefährliches, Verbrecherisches tun, und welche Risiken von ihnen ausgehen. Das ist nicht anders als mit jedem anderen Kriminellen auch.

Der Ausgebürgerte verliert das Recht, Rechte zu haben, hat Hannah Arendt gesagt. Geht es um Menschenwürde?

Und sie hat gesagt, es gibt ein einziges Menschenrecht: dazuzugehören und eine Staatsangehörigkeit zu haben. Daraus folgen alle anderen Rechte. Jemanden für vogelfrei zu erklären, indem man ihn aus dem Staatsverband ausschließt, beraubt jemanden seines Status, mit dem er sein Menschsein geltend machen kann. So weit geht das geplante Gesetz nicht. Aber es ist ein gefährlicher Schritt in diese Richtung.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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