IS-Rückkehrerin:In der Hitze des Kalifats

Die Angeklagte Jennifer W. und ihr Anwalt Ali Aydin.

Jennifer W. ist wegen Mordes und Sklavenhaltung angeklagt.

(Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Hat Jennifer W. eine Fünfjährige verdursten lassen? In München beginnt der Prozess gegen die Islamistin.

Von Annette Ramelsberger

Sie kommt herein. Die dunklen Haare geflochten zum langen Zopf, das Gesicht offen. Kein Schleier, kein Kopftuch. Die Frau, die ein Jahr lang beim IS lebte, die als Sittenwächterin durch die Parks von Falludscha und Mossul patrouilliert sein soll, um die Frauen zur Verhüllung zu zwingen, sitzt nun vor Gericht in weißer Bluse und schwarzem Hosenanzug. Wie eine Studentin beim Examen. Keine Spur von Dschihad.

Die Frau ist 27, Mutter einer fast drei Jahre alten Tochter und Ehefrau eines IS-Kämpfers. Ein Jahr lang hat sie im Kalifat des IS gelebt. Es hat ihr gefallen dort, so sagte sie einem Gesinnungsgenossen, trotz der Kämpfe, trotz Hitze und Staub. Und trotz des gewaltsamen Todes eines kleinen Mädchens, dem sie vermutlich zugesehen hat. Sie will dorthin zurück. Doch so schnell wird ihr das nicht gelingen.

Jennifer W. steht seit Dienstag vor dem Oberlandesgericht München, angeklagt des Mordes durch Unterlassen, der Mitgliedschaft in der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und des Erwerbs von Kriegswaffen. Sie hat, so wirft ihr die Bundesanwaltschaft vor, nichts getan, um das Kind zu retten, das ihr Mann als Sklavin im gemeinsamen Haushalt gefangen hielt. Ein fünfjähriges Mädchen und seine Mutter aus einer jesidischen Familie, die der IS getrennt und versklavt hatte. Dieses Kind soll der IS-Kämpfer in der glühenden Hitze des irakischen Sommers zur Strafe vor dem Haus angekettet haben - weil es krank wurde und auf eine Matratze uriniert hatte. Das Kind ist vor den Augen der eigenen Mutter verdurstet. Und wohl auch vor den Augen von Jennifer W.

Sollte sich das alles bestätigen, droht der Angeklagten lebenslange Haft. Bis drei Wochen vor Beginn des Prozesses stützte sich die Anklage aber nur auf einen Chat, den sie mit einem angeblichen "Bruder" hatte, und auf ein abgehörtes Gespräch in einem Auto. Darin brüstete sie sich, dass sie schwer bewaffnet für die Tugendpolizei des IS, die Hisba, durch irakische Parks patrouilliert war, um Frauen zu ermahnen, die zu wenig verschleiert waren. Doch es gab keine Fotos von ihr als Mitglied der Hisba, nur ihre eigenen Aussagen.

Doch kurz vor dem Prozess tauchte die Mutter des verdursteten Mädchens auf. Sie hat die Gefangenschaft überlebt - und bestätigte die Umstände des Todes ihrer Tochter. Es gibt so viele Übereinstimmungen zwischen der Aussage der Frau und den Erzählungen von Jennifer W., dass die Bundesanwaltschaft davon ausgeht, dass es sich wirklich um die Mutter des kleinen Mädchens handelt. Deswegen stehen nun noch mehr Anklagepunkte im Raum: auch die Misshandlung und Versklavung der Mutter durch Jennifer W. und ihren Mann.

Hunderte Seiten mit neuen Erkenntnissen wurden den Prozessbeteiligten noch am Tag vor Prozessbeginn zugesandt. Die Verhandlung wurde deswegen nach Anklageverlesung unterbrochen - damit sich alle in die neuen Akten einarbeiten können. Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens wird die Aussage der Mutter werden. Ihr Aufenthaltsort wird geheim gehalten.

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