Süddeutsche Zeitung

IS-Heimkehrer:"Wir haben ein Interesse daran, dass diese Rückkehr organisiert geschieht"

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius erklärt, warum Deutschland salafistische Kämpfer wiederaufnehmen sollte - wie Erdoğan und Trump das wünschen.

Interview von Ronen Steinke, Berlin

Etwa 1050 Männer und Frauen sollen seit 2013 aus Deutschland in syrische oder irakische Kriegsgebiete ausgereist sein, schätzen Sicherheitsbehörden. Mindestens 80 Deutsche mit Bezug zur Terrormiliz "Islamischer Staat" sollen noch in der Region in Haft sitzen. Wie gefährlich manche von ihnen sind, ist schwer zu sagen. Am Donnerstag hat die Türkei Familie B. nach Berlin abgeschoben. Die Familie aus dem niedersächsischen Hildesheim wird dem salafistischen Milieu zugerechnet. Boris Pistorius, 59, ist seit 2013 Innenminister von Niedersachsen.

SZ: Herr Pistorius, Hunderte Deutsche haben sich in den Nahen Osten zur Terrormiliz Islamischer Staat aufgemacht. Warum wollen Sie, dass Deutschland sie alle zurücknimmt?

Boris Pistorius: Wenn die Menschen einen deutschen Pass haben, geht es nicht um die Frage, ob wir das wollen. Keiner will das. Die Frage ist, wozu wir verpflichtet sind. Wir können nicht von anderen Ländern erwarten, dass sie Menschen zurücknehmen, die wir aus Deutschland abschieben wollen, und uns selbst aber weigern. Das ist Punkt eins. Daneben gibt es aber auch noch einen zweiten Punkt. Wir haben ein Interesse daran, dass diese Rückkehr organisiert geschieht. Also dass die Leute nicht unorganisiert und unerkannt zurückkommen. Das ist eine Frage der Sicherheit.

Ist es momentan so, dass sie unorganisiert zurückkehren?

Bislang sind mir keine aktuellen Fälle bekannt. Aber die Gefahr besteht. Und sie steigt natürlich in dem Maße, in dem der türkische Präsident Erdoğan die Tore aufmacht oder in den kurdischen Gebieten die Haftanstalten geöffnet werden, weil die Situation außer Kontrolle gerät. Deshalb fordere ich, dass die Rückkehr organisiert geschieht. Sodass wir in Deutschland wissen, wann wer kommt. Entsprechend können wir Maßnahmen vorbereiten: Prüfung der Vorwürfe, Überwachung, Inhaftierung, Einleitung von Ermittlungsverfahren.

Die Justiz wird vielen Islamisten keine konkreten Straftaten nachweisen können. Denn die Ermittler haben kaum Möglichkeiten, im Kriegsgebiet Beweise zu sammeln oder Zeugen zu vernehmen.

In der Regel dürfte es Anhaltspunkte geben. Aber wenn es in einzelnen Fällen so ist, dass Rückkehrer einen deutschen Pass haben und wir wirklich nicht wissen, was sie im IS-Gebiet getan haben: Dann müssen wir alles tun, damit von diesen Personen keine Gefahr ausgeht - sie also im Zweifel intensiv beobachten.

Der Versuch der großen Koalition, IS-Kämpfer auszubürgern, ist gescheitert.

Nein, das ist nicht gescheitert. Aber das Instrument hilft uns hier tatsächlich kaum. Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz, das bereits verabschiedet worden ist, hält sich an eine verfassungsrechtliche Vorgabe: Keine Strafe ohne vorheriges Gesetz. Das gilt auch in diesem Bereich. Das heißt: Wer nach dem Inkrafttreten zu einer solchen Terrormiliz ausreist und sich an Kampfhandlungen beteiligt, der soll damit rechnen, dass er seinen deutschen Pass verliert. Für die Vergangenheit aber kann das nicht gelten.

Herr Pistorius, Sie plädieren dafür, dass Deutschland seine Staatsbürger zurücknimmt, also dem Drängen Erdoğans und auch Donald Trumps nachgibt ...

Ich plädiere nicht dafür! Damit wir uns richtig verstehen. Sondern ich weiß, dass wir IS-Kämpfer mit deutschem Pass hereinlassen müssen in unser Land, wenn sie vor unserer Tür stehen. Das heißt, es geht jetzt nur um die Frage, wie. Überlässt man es dem Zufall? Oder organisiert man es vernünftig mit den Sicherheitsbehörden in der Türkei und stellt sicher, dass man die Leute hierzulande angemessen in Empfang nimmt.

Selbst wenn man Rückkehrern nachweisen kann, dass sie für den IS gekämpft haben, genügt dies vor Gericht oft nur für drei oder vier Jahre Haft. Genügt das aus Ihrer Sicht?

Ich bin jederzeit bereit, über Strafverschärfungen für Terrortaten zu sprechen. Um zukünftige Straftaten zu verhindern, setzen wir weiter auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden vor allem in den Ländern - aber auch der Justiz.

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