Prozess gegen Jennifer W.:"Ich habe sie an ihren Augen und ihren Haaren erkannt"

Die Angeklagte Jennifer W. und ihr Anwalt Ali Aydin.

Jennifer W. ist wegen Mordes und Sklavenhaltung angeklagt.

(Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)
  • Jennifer W. soll sich dem Islamischen Staat angeschlossen und einen IS-Mann geheiratet haben. Ein fünf Jahre altes Kind soll in ihrem Haus verdurstet sein.
  • Sie ist vor dem Oberlandesgericht München des Mordes durch Unterlassen und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
  • Die damals versklavte Mutter des Kindes erkennt die Angeklagte zunächst nicht, revidiert ihre Aussage dann allerdings.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Seit drei Tagen schon wird die Frau befragt. Die jesidische Frau, die als Sklavin zum IS verschleppt wurde, die Frau, die von einem Mann zum anderen weiterverkauft wurde, von einer IS-Familie zur nächsten. Und die etwas erlebt hat, das man sich nicht ausmalen will: Im Haushalt eines IS-Mannes namens Abu Muawia und seiner Frau hat sie ihre Tochter verloren. Der Mann hatte die Fünfjährige in sengender Sonne im Hof ans Gitter eines Fensters gekettet. Das Mädchen wurde bewusstlos, es war wie tot, der Mann brachte das Kind ins Krankenhaus. Die Mutter hat ihre Tochter nie wiedergesehen.

Und nun, nach drei Tagen, in denen die Zeugin von ihrer Verschleppung zum IS, ihrer Misshandlung durch die IS-Männer und ihrem Leben in jenem Haushalt in Falludscha erzählt hat, wird sie das Wichtigste gefragt: Erkennen Sie diese Frau? Diese Frau, die damals im Sommer 2015 ihre Herrin gewesen war, die Frau von Abu Muawia. Die Zeugin nennt sie Umm Muawia, eine gebräuchliche Anrede für die Frau des Hausherrn.

Keine drei Meter neben der Zeugin sitzt eine Frau in weißer Bluse und schwarzem Hosenanzug, die langen Haare hochgesteckt, die Augen hinter einer schwarzen Brille. Es ist die Angeklagte Jennifer W., 28 Jahre alt, eine Deutsche aus Lohne in Niedersachsen, die 2015 zum Islamischen Staat gegangen war und dort einen IS-Mann heiratete. In ihrem Haus soll das Kind verdurstet sein. Sie ist angeklagt des Mordes durch Unterlassen und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht München ist ein Pilotprozess, der erste in Deutschland, der die Gräuel des IS an den Jesiden aufklären soll.

Die Zeugin kommt unter starker Bewachung, vier BKA-Beamte sichern sie ab. Beim Verlassen des Gerichtssaals verhüllt sie ihr Gesicht, sie lebt im Zeugenschutzprogramm. Sie geht gebeugt. Kein einziges Mal hat sie die Angeklagte die letzten zwei Verhandlungstage angesehen, sie hat nur die Richter vor sich fixiert und die Vertreter der Bundesanwaltschaft. Die zwei Staatsanwältinnen hat sie im Gerichtssaal umarmt, sie kennt sie aus früheren Vernehmungen. Nun also die Frage. Erkennen Sie diese Frau?

Der Richter sagt: "Drehen Sie sich bitte zu der Frau auf der linken Seite und sehen Sie sich die Dame in aller Ruhe an." Die Zeugin rückt ihren Stuhl ein wenig nach hinten, wendet sich um, blickt die Frau lange an. Die Angeklagte blickt nicht weg. Auch sie sieht die Zeugin an, unbewegt, nur ihre Lider flattern ein wenig.

Dann sagt die Zeugin: "Sie sieht ihr ähnlich. Sie war auch jung, nicht alt, sie hatte schwarze Haare, sie hatte auch ein hübsches Gesicht." Ihre Worte werden von einer Dolmetscherin übersetzt.

Die Zeugin will Jennifer W. nochmal sehen

"Handelt es sich bei der Frau um Umm Muawia?", fragt der Richter. Die Zeugin sagt: "Es ist jetzt lange her. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob sie das ist oder nicht." Auch ihren deutschen Namen Jennifer habe sie nicht gekannt, nur, dass sie aus Deutschland gekommen war. Das Gericht geht in die Pause.

Und dann, unmittelbar nach der halbstündigen Unterbrechung, meldet sich die Dolmetscherin und berichtet, die Zeugin habe ihr etwas gesagt. Sie habe die Frau doch erkannt. Die Dolmetscherin sagt, die Zeugin würde die Frau gerne nochmal sehen. Darf sie das? "Jaja", brummt der Richter.

Die Zeugin schaut die Angeklagte noch mal an. Nur kurz. Dann kommt ein langes "aum". Die Dolmetscherin übersetzt: "Sie ist es."

"Woran erkennen Sie sie?", fragt der Richter nach. "Ich habe sie an ihren Augen und ihren Haaren erkannt", sagt die Zeugin. Die Angeklagte trägt die Haare streng nach oben gebunden, zum Dutt gesteckt. In Falludscha aber habe Umm Muawia die Haare offen bis zur Hüfte getragen, sagt die Zeugin.

An dieser Zeugin hängt viel und deswegen wird sich ihre Befragung auch noch länger ziehen. Jeder Satz wird übersetzt, oft mehrmals nachgefragt. Nicht sofort versteht sie alles, was das Gericht von ihr wissen will. Nach dem Gericht stellen auch die Nebenklage und die Bundesanwaltschaft Fragen, aber vieles bleibt unklar, vage. Eines ist allerdings nicht vage: Die Angeklagte hatte selbst erklärt, ihr Mann habe ein fünfjähriges Sklavenmädchen verdursten lassen, er habe es "mit der Sonne bestraft". Das sei im Sommer 2015 in Falludscha gewesen, dort, wo auch die Zeugin war. Zur gleichen Zeit in der gleichen Stadt. Und beide sprechen von einem fünfjährigen Mädchen.

Gespräche im verwanzten Auto

Jennifer W. hatte das vergangenes Jahr in einem Auto erzählt. Dem Auto eines angeblichen IS-Bruders, der sie wieder aus Deutschland zurückbringen sollte nach Syrien. Die Deutsche war von Abu Muawia schwanger geworden, zurück nach Deutschland gekommen und hatte hier ihr Kind geboren. Im Frühjahr 2018 wollte sie aber zurück. Doch statt einem Bruder erzählte sie das alles einem Geheimdienst-Mitarbeiter der US-Behörden. Und sein Auto war verwanzt. Mittlerweile wurde auch Abu Muawia in Griechenland festgenommen, möglicherweise wird auch er noch als Zeuge gehört.

Hat denn die Angeklagte die Zeugin als ehemalige Sklavin erkannt? Richtig erkennen konnte man das nicht. Ihre Anwälte erklären: "Dazu sagen wir nichts." Der Prozess soll noch bis in den November hinein gehen.

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