Süddeutsche Zeitung

IS-Kämpfer:Europas Gerichte sind gefragt

Hunderte mögliche Terroristen sitzen in den Gefängnissen der kurdischen YPG. Wie lange noch, weiß niemand. Sie gehören in ihren europäischen Herkunftsländern angeklagt.

Kommentar von Georg Mascolo

Aus Syrien kommen nur schlechte Nachrichten, an diese bittere Lehre hat man sich gewöhnen müssen. Nun droht eine weitere schlechte Nachricht; sie betrifft direkt die Sicherheit Europas. Es geht darum, ob Hunderte der gefährlichsten IS-Terroristen, viele von ihnen sind Staatsbürger Belgiens, Frankreichs, Österreichs oder Deutschlands, bald wieder auf freiem Fuß sein könnten. Frei, um womöglich weiterzumorden.

Bisher sitzen sie in Gefängnissen der kurdischen Miliz YPG ein. Während der Zerschlagung des sogenannten Islamischen Staates gerieten sie in Gefangenschaft. Seit Jahren drängen die Kurden europäische Regierungen, ihre Staatsbürger zurückzuholen und sie in den Heimatländern vor Gericht zu stellen. Gegen viele der einsitzenden Deutschen zum Beispiel liegen beim Generalbundesanwalt Haftbefehle vor. Die US-Regierung unterstützt den Vorschlag: Die Kurden seien überfordert, man dürfe sie mit diesem Problem nicht alleinlassen. Aber nichts geschah. "Sie sind Franzosen, aber unsere Feinde", erklärte die Regierung in Paris. Niemand wollte das Sicherheitsrisiko eingehen, solche Leute zurückzuholen. Niemand wollte das politische Risiko eingehen, eine solche höchst unpopuläre Aktion der eigenen Bevölkerung erklären zu müssen. "Nichts zu tun, ist keine Option," warnte der damalige US-Verteidigungsminister James Mattis bereits vor einem Jahr bei einem Treffen der Nato. Aber es blieb bei der europäischen Ablehnung. Nur ein paar Frauen und Kinder wurden aus dem Irak ausgeflogen, auch nach Deutschland.

Jetzt meldet die Oppositionsgruppe "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte", die Kurden würden über die Freilassung der Gefangenen nachdenken. Der von US-Präsident Donald Trump angekündigte Rückzug der amerikanischen Truppen setze sie unter Druck. Die zur Bewachung der IS-Gefangenen eingesetzten Kurden-Kämpfer sollen an die Front. Die Kurden dementieren. Aber gegenüber der New York Times bestätigte ein westlicher Offizieller, dass solche Diskussionen sehr wohl stattgefunden hätten. "Wenn sie freigelassen würden, wäre dies ein echtes Desaster und eine erhebliche Bedrohung für Europa," fügte er hinzu.

Noch darf man hoffen, dass der politische Druck auf die Kurden ausreicht und die IS-Kämpfer in den Gefängnissen bleiben. Sicher ist das aber nicht. Es droht eine neue Runde militärischer Auseinandersetzungen. Die Türkei erwägt einen Einmarsch. Inzwischen warnen die Kurden, es könnte ein "Sicherheitsvakuum" entstehen, "das diese Kriminellen nutzen, um zu entkommen."

Gut aufgehoben sind Europas gefährlichste Terroristen in den dortigen Gefängnissen und Lagern jetzt jedenfalls nicht mehr. Und so mahnen die jüngsten Ereignisse, dass Europa dieses Problem nicht mehr länger ignorieren darf. Sei es ein internationales Tribunal oder die Justiz in den Heimatländern - die IS-Mörder gehören für ihre Taten vor Gericht gestellt, verurteilt und inhaftiert.

Das ist durchaus erfolgversprechend: Mittlerweile sind viele IS-Kämpfer freiwillig nach Europa zurückgekehrt und hier verurteilt worden. Oft ist es eine Herausforderung, ihnen nachzuweisen, an welchen Taten sie dort beteiligt waren. Es ist ein mühsamer Weg. Aber er ist allemal besser, als weiter wegzuschauen und darauf zu hoffen, dass die IS-Fanatiker in einer der unsichersten Regionen der Welt schon weiter sicher verwahrt werden würden.

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SZ vom 03.01.2019/bix
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