Süddeutsche Zeitung

Terrorismus:Der Islamische Staat ist geschlagen - aber nicht besiegt

Die Ideologie der Islamisten bleibt weiterhin gefährlich und die Propaganda der Terrormiliz dürfte Gehör finden. Die Ursachen dafür liegen in der arabischen Welt, aber auch im Westen.

Kommentar von Dunja Ramadan

Ob die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nach dem Verlust ihres letzten Gebiets in Syrien besiegt ist, lässt sich mit einer Gegenfrage beantworten: Was breitete sich als Erstes aus, das Territorium oder die Ideologie des IS? Letzteres. Der geistige Nährboden, den ideologische Rattenfänger nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem folgenden Einmarsch der US-Truppen in Afghanistan und dem Irak beackerten, verschwindet nicht, nur weil der IS einige Gebiete in Syrien und im Irak nicht halten konnte.

Im Gegenteil: Die Schwächung kann sogar eine Stärkung zur Folge haben. Wahrscheinlich nicht sofort, immerhin brachte der Gebietsverlust die Einbuße wichtiger Finanzquellen und sicherer Rückzugsorte mit sich. Aber auf lange Sicht bleibt die Ideologie die Gefahrenquelle. Und die sprudelt, genährt durch den Hass, nach den militärischen Niederlagen womöglich noch heftiger als bisher weiter.

Auch ein Blick auf andere Einflussgebiete des IS stimmt pessimistisch. In Libyen, auf dem Sinai, in Afghanistan und in Nigeria sind IS-Zellen weiter aktiv. Und die instabilen politischen Verhältnisse in Syrien und im Irak, die es der Terrormiliz überhaupt erst ermöglichten, ein Territorium so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen zu erobern, bestehen fort. Sie bieten bis heute ideale Voraussetzungen, um Anhänger zu rekrutieren. Der von den Dschihadisten heraufbeschworene Urkonflikt zwischen Sunniten und Schiiten wird durch die regionalen Machtkämpfe der Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien weiter angestachelt.

Der jahrzehntelange Stillstand in der arabisch-islamischen Welt, in der autokratische Herrscher und mit ihnen verbündete geldgierige Eliten sich weiterhin bereichern, oft hofiert von westlichen Staaten, lässt das Volk intellektuell und wirtschaftlich verkümmern. Der sogenannte Arabische Frühling, der den jungen Araberinnen und Arabern eine gesellschaftliche Teilhabe hätte bieten können, ist längst Geschichte. Nur Tunesien hat 2011, als einziges arabisches Land, die Demokratie eingeführt - doch seine wirtschaftlichen Sorgen verschwinden eben auch nicht über Nacht.

Das Grundproblem bleibt überall in der Region bestehen: Eine wütende Jugend fühlt sich von der Welt vergessen und nutzt eine pervertierte Auslegung des Islam als Ventil für Frust und Aggression. Die Propaganda der Terrormiliz dürfte weiterhin Gehör finden. Denn in der arabischen Welt tobt nicht nur ein Kampf zwischen Volk und Herrschern, wie gerade in Algier oder Gaza, sondern auch zwischen Jung und Alt. Die IS-Propaganda schreibt den Jungen und Abgehängten die Rolle der Handelnden zu - im Gegensatz zur Lethargie und Passivität der Elterngeneration.

Doch die IS-Ideologen stießen selbst in westlichen Industriegesellschaften auf Zustimmung - und werden sie wohl weiter finden. Erleichtert wird ihnen das ausgerechnet durch rechte Demagogen, die Stimmung gegen Muslime machen und Hass säen. Der Aufstieg der Rechtspopulisten, aber auch die Gewalt gegen Muslime wie beim Anschlag in Christchurch stärken das Narrativ von Islamisten: Wir haben es euch doch gesagt, ihr gehört nicht dazu. Nur wenn Politik und Gesellschaft jegliche Form von Extremismus bekämpfen und dabei denselben Maßstab anlegen, wirken sie der IS-Propaganda entgegen. Neuseeland ist das gerade gelungen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4384923
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.