Süddeutsche Zeitung

Islamischer Staat:BKA auf geheimer Mission in Jordanien

  • Beamte des Bundeskriminalamts sollen im kommenden Jahr in Jordanien Beweise zu IS-Anhängern sichten, die von US-Truppen gesichtet wurden
  • Die Zustimmung der Bundesregierung zum BKA-Einsatz hat mit den gewachsenen Sorgen zu tun, dass viele inhaftierte deutsche IS-Anhänger ohne Strafe davonkommen könnten.
  • Unter den Dokumenten in Jordanien könnten wichtige Hinweise darauf sein, was genau die IS-Anhänger getan haben und an welchen Verbrechen sie möglicherweise beteiligt waren.

Von Georg Mascolo

In einem hoch gesicherten Bereich auf einer US-Militärbasis in Jordanien liegen die Hinterlassenschaften des "Islamischen Staates" (IS). Zehntausende Dokumente der als überaus akribisch und bürokratisch agierenden Terrortruppe sind dort gelagert, dazu Handys der Kämpfer und Festplatten ihrer Computer. Alles ist in riesigen Datenbanken abgelegt, eine von ihnen umfasst zudem die Fingerabdrücke, Fotos und DNA-Proben der im Irak und im Norden Syriens festgesetzten IS-Anhänger.

"Gallant Phoenix" heißt diese Einrichtung, betrieben wird sie vom Oberkommando der US-Spezialeinheiten, aber auch CIA und die US-Bundespolizei FBI sind am Ort. Ihr Zweck ist es, alle jene zu identifizieren, die für den IS kämpften, ihr unerkanntes Entkommen zu verhindern und Beweise für Strafverfahren gegen sie zur Verfügung zu stellen. Inzwischen sollen mindestens 25 Nationen bereits Verbindungsbeamte nach Jordanien entsandt haben, darunter auch Europol.

Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) arbeitet in Jordanien mit - und im kommenden Jahr werden nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR auch deutsche Staatsschützer dabei sein. Mindestens zwei Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) sollen dort ihren Dienst verrichten, Spezialisten für die deutschen IS-Anhänger. Das Innenministerium wollte den Vorgang auf Anfrage nicht kommentieren.

Die Einladung für das BKA gab es bereits vor langer Zeit, die USA sind stolz auf die Operation, sie sehen sie als Vorbild für andere Regionen, für einen multinationalen Ansatz von Polizei und Geheimdiensten, Terrorismus zu bekämpfen. Trumps erster Verteidigungsminister James Mattis nannte dieses Vorgehen einmal "entscheidend" - und tatsächlich verdankt die Operation ihre Existenz seinen Bedenken. Der langgediente General Mattis fürchtete, dass man die ausländischen Kämpfer bei der Offensive gegen den IS gar nicht endgültig besiegen würde, sondern dass sie sich unter militärischem Druck nur an andere Orte absetzten.

Der Nutzen ist unbestritten

Der Nutzen des großen Datenstaubsaugers ist auch in Berlin unbestritten, aber die Regierung tat sich dennoch zunächst schwer mit einer Beteiligung. Zu groß waren die Bedenken, dass die Trennung zwischen Geheimdienst- und Polizeiarbeit an einem solchen Ort nicht zu gewährleisten sei. Und wer nimmt, muss auch geben - die Deutschen fürchteten, dass von ihnen gelieferte Informationen für gezielte Tötungen genutzt werden könnten. So bekam erst nach langem Zögern zunächst der BND die Genehmigung, Agenten nach Jordanien zu entsenden.

Dass nun das BKA ebenfalls dorthin soll, hat mit den gewachsenen Sorgen zu tun, dass viele der inhaftierten deutschen IS-Anhänger am Ende ohne Strafe davonkommen könnten. Ihre Zahl ist inzwischen beträchtlich, Dutzende sitzen in Nordsyrien, im Irak und in der Türkei ein. Auf Anordnung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurden gerade drei Frauen nach Deutschland abgeschoben. Kanzlerin Angela Merkel versprach sicherzustellen, "dass von diesen Personen keine Gefahr ausgeht".

Aber das ist einfacher versprochen als gehalten. Die Behörden wollen möglichst viele der Rückkehrer erst einmal in Haft nehmen. Tatsächlich aber fehlt es gegen viele von ihnen an ausreichenden Beweisen, nur zu Beginn stellten sie Fotos und Videos ihrer Morde bereitwillig auf Facebook. Dann sprach sich herum, dass man damit den Staatsanwälten zu Hause die Arbeit ziemlich einfach macht.

Seither wurde der Strom elektronischer Nachrichten dünner. In der Haft wurden die meisten von ihnen inzwischen durch den BND befragt, viele wiegeln ab, sie seien nur Zimmerleute oder Köche gewesen. Einer behauptete, als Orthopädie-Schuhmacher gearbeitet zu haben. Noch schwieriger als mit den Männern ist es mit den Frauen. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs reicht es für eine Strafbarkeit nicht, einfach zum IS ausgereist zu sein. Man muss ihnen im Detail nachweisen, was sie dort taten.

Eigentlich gehört Deutschland zu jenen Ländern, die trotz allen Drucks der US-Regierung und der Kurden weiterhin die Rücknahme von IS-Anhängern verhindern will. Nur in einzelnen Fällen und meist gezwungen durch Entscheidungen von Gerichten wurden Kinder und manchmal auch ihre Mütter nach Deutschland geholt. Aber niemand weiß, wie es weitergehen wird. Viele Szenarien machen die Runde, keines von ihnen ist beruhigend: Die Kurden könnten die Bewachung der Lager und Gefängnisse aufgeben, der IS könnte seine Anhänger befreien. Wer es dann in die Türkei schafft, würde von den dortigen Behörden in eine Maschine nach Deutschland gesetzt.

Der in Jordanien gelagerte Datenschatz soll einer Arbeitsgruppe im "Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum" bei ihrer Arbeit helfen. Hier tagt seit Januar 2018 die "AG Haftfälle"; BND, BKA, Generalbundesanwalt, Auswärtiges Amt und das Bamf sitzen beieinander. Viele gerade der ausländischen Kämpfer und ihre Familien sind in Gefangenschaft geraten. Manche der Deutschen meldeten sich während der Schlacht um die Kalifats-Hauptstadt Rakka per Whatsapp bei den Kurden und fragten, wo sie sich ergeben könnten. Alle Versuche, ein internationales Tribunal für ihre Aburteilung einzurichten, kommen nicht voran. In der Bundesregierung weiß man sehr wohl, dass man das Problem nur vertagt, aber keinesfalls gelöst hat.

So richten sich nun alle Bemühungen darauf, zumindest für womöglich anstehende Prozesse so gut wie möglich gerüstet zu sein. Vor allem die US-Truppen haben bei ihrem Feldzug gegen den IS in großem Umfang Beweismaterial gesichert - die Suche nach sogenannter "Battlefield Evidence" war Befehl. Ermittler nahmen Papiere, Festplatten und Handys an sich, ebenso verfuhren die Kurden. Oft war es auf den ersten Blick wertloses Zeug, Krankenakten oder Urteile von Scharia-Gerichten.

Polizisten des BKA können vor Gericht problemlos aussagen - Agenten des BND nicht

Aber vor Gericht können dies wertvolle Indizien dafür sein, was jemand tatsächlich beim IS tat. Dies gilt auch für die Frauen: Waren sie etwa Mitglieder der berüchtigten IS-Religionspolizei oder bekamen sie regelmäßig Geld vom IS, kann es für einen Haftbefehl reichen. Auch die Listen der IS-eigenen Haus- und Wohnungsverwaltung sind eine wichtige Hilfe: Wer in die zuvor von Irakern oder Syrern bewohnten Räume zog, kann sich nach der Überzeugung der Bundesanwaltschaft der Plünderung strafbar gemacht haben - ein Verstoß gegen das Völkerstrafgesetz.

Die Idee zur lückenlosen Beweissicherung im zerfallenden Kalifat entstand, nachdem 2016 überraschend sogenannte "Einreisebögen" des IS auftauchten - eine akribische Erfassung der sogenannten General-Grenzverwaltung des IS. Das Mitgliederverzeichnis der IS dient seither in vielen Strafverfahren - auch in Deutschland - als Beweismittel.

Ein zweiter so großer und bedeutsamer Fund ist seither nicht bekanntgeworden. Aber die Datenbanken bei Gallant Phoenix stecken voller Papiere, vieles ungeordnet, die Suche in ihnen gleicht einem Geduldsspiel. Dies wird vom kommenden Jahr an die Aufgabe der BKA-Beamten sein. Anders als die BND-Agenten sind sie Polizisten - und können in Gerichtsverfahren problemlos darüber aussagen, was sie auf der US-Militärbasis zu sehen bekommen.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2019/saul
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