IS-Anführer al-Baghdadi:Phantom des Terrors

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2014 trat Al-Baghdadi zum ersten und einzigen Mal öffentlich auf. In der Al-Nuri-Moschee rief er das IS-Kalifat im Irak und in Syrien aus. (Foto: Reuters)
  • Nach der Eroberung der irakischen Metropole Mossul mehren sich die Gerüchte über den Tod des IS-Anführers Abu Bakr al-Bagdadi.
  • Nur: Wirkliche Belege dafür gibt es nicht.
  • 2014 zeigte er sich zuletzt in einer Videobotschaft, danach gab es nur mehr zwei Audiobotschaften von ihm.

Von Paul-Anton Krüger, München

Der Kalif ist ein Phantom. Seit November 2016 gibt es kein Lebenszeichen mehr von Abu Bakr al-Bagdadi, wie sich der Chef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu nennen pflegt. Damals veröffentlichten die Dschihadisten eine Audiobotschaft ihres Anführers mit Durchhalteparolen an die Kämpfer in Mossul. Irakische Sondereinheiten hatten, von den Amerikanern und der internationalen Koalition unterstützt, ihre Offensive gegen den IS zur Rückeroberung der Stadt begonnen. Wann und wo die Aufnahme gemacht wurde, ist nicht klar.

Jetzt, wo der IS aus der zweitgrößten Metropole des Irak vertrieben ist und ihm in seiner syrischen "Hauptstadt" Raqqa die nächste militärische Niederlage bevorsteht, häufen sich Meldungen über den Tod Bagdadis. Auch der würde nicht das Ende des IS als Terrororganisation bedeuten, wäre aber eine weiterer symbolisch bedeutender Schlag gegen die Gruppe, ihre Moral und ihre propagandistische Strahlkraft.

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Keine Belege für Bagdadis Tod

Am Dienstag meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Bagdadi sei definitiv tot. Rami Abdulrahman, Chef der Beobachtungsstelle, berief sich auf Informationen hochrangiger IS-Kader aus der Region Deir al-Sour in Syrien, einer der verbliebenen Hochburgen des IS. Er konnte aber weder zum Zeitpunkt noch zum Ort des Todes oder den Umständen nähere Angaben machen. Zuvor hatten irakische Medien berichtet, der IS habe in Tel Afar, einer noch von den Dschihadisten gehaltenen Stadt 65 Kilometer westlich von Mossul, per Lautsprecher den Tod ihres Kalifen bekannt gegeben.

Schon am 16. Juni hatte das russische Verteidigungsministerium in einer längeren Mitteilung wissen lassen, es prüfe Berichte, Bagdadi sei bereits am 18. Mai bei einem Luftangriff südlich von Raqqa getötet worden. Es bestätigte dies nie, Iran allerdings verkündete, er sei "definitiv" gestorben. Wirkliche Belege für seinen Tod gibt es aber keine.

US-General Stephen Townsend sagte Dienstagabend, er sei außerstande, Bagdadis Tod zu bestätigen oder zu dementieren: "Ich weiß es wirklich nicht." Nach den Meldungen über seinen Tod bei dem russischen Luftangriff hätten das US-Militär Berichte erreicht, dass er noch am Leben sei. Allerdings gebe es auch dafür keinen Beweis. In den Jahren zuvor hatte es mehrmals geheißen, der Kalif sei bei US-Luftangriffen getötet oder schwer verwundet worden, sodass er seine Führungsfunktionen nicht mehr wahrnehmen könne. Im Oktober 2016 sagte der Kommandeur der irakischen Sondereinheit Golden Division, er habe zuverlässige Informationen, Bagdadi habe Mossul Richtung Syrien verlassen.

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Kommunikation über Kuriere

Der Kalif macht sich extrem rar - angesichts eines Kopfgeldes von 25 Millionen Dollar ist das Teil einer Überlebensstrategie, von der nicht klar ist, wie erfolgreich sie war. Auch 2015 gab es nur zwei Audiobotschaften von ihm, eine im Dezember, die andere im Mai. Und überhaupt nur ein Video, das ihn im Juli 2014 zeigt, wie er in der kürzlich vom IS gesprengten Nuri-Moschee von Mossul das Kalifat ausruft.

Der IS weiß genau, dass die USA mit Satelliten, fast omnipräsenten Drohnen, Flugzeugen, Spezialeinheiten und allerlei hochauflösenden Sensoren nach ihren Kadern suchen und diese töten, wenn sich die Gelegenheit bietet, in geringerem Maße auch Russen, Briten und Franzosen. Sie werten Datenträger und andere Hinterlassenschaften des IS aus und versuchen in Kommandoaktionen IS-Mitglieder zu ergreifen. Zudem ist es dem Irak und wohl auch Russland gelungen, Agenten in den IS einzuschleusen.

Bagdadi und andere Führungsfiguren benutzen deswegen fast nie Mobil- oder Satellitentelefone, und wenn, dann nur ein Mal. Sie kommunizieren über Kuriere, die deswegen ihrerseits im Visier von Geheimdiensten und Spezialeinheiten stehen, die versuchen, ihre eigentlichen Ziele zu lokalisieren. Sie vermeiden Versammlungen, wechseln im Abstand von wenigen Stunden ihre Aufenthaltsorte. Nur wenige Personen innerhalb des IS kennen diese.

Etliche der militärischen Anführer des IS sind frühere Offiziere des irakischen Geheimdienstes und vertraut mit solchen Methoden. Lange bestätigte oder verkündete der IS den Tod von Führungspersonal selbst über seine Propaganda-Kanäle. Allerdings beobachteten westliche Geheimdienste in den vergangenen Monaten, dass Kader für tot erklärt wurden, die noch leben - offenkundig Teil einer Desinformationskampagne.

Westliche Geheimdienste vermuten die Mehrzahl der IS-Kader im Euphrat-Tal zwischen dem syrischen Ort al-Majadin, dem Grenzort al-Bukamal und Haditha auf irakischer Seite; in den vergangenen Monaten sind einige mittlere und höhere IS-Kommandeure in dieser Region getötet worden. Es ist das größte zusammenhängende Gebiet, das der IS noch kontrolliert - und damit auch aus ideologischen Gründen der logische Aufenthaltsort Bagdadis: Kalif kann sich nur nennen, wer tatsächlich Land beherrscht. In Mossul ist das nicht mehr der Fall, in Raqqa absehbar auch bald nicht mehr. Vielleicht ist der Kalif auch schon tot. Sicher ist nur so viel: Niemand weiß es sicher.

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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