Wahl in Irland:Wohnungen statt Waffen

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Mary Lou McDonald, Chefin von Sinn Féin, hat der Partei ein neues Image verschafft. (Foto: Ben Stansall/AFP)

Sinn Féin war einst der politische Arm der terroristischen IRA. Umfragen zufolge könnte die Partei an diesem Samstag die Wahl gewinnen - mit klassischen Labour-Themen: bezahlbare Mieten, bessere Gesundheitsversorgung, Rente mit 65.

Von Alexander Mühlauer, Dublin

Am Sonntag vor der Wahl steht Mary Lou McDonald im Ballsaal eines Dubliner Hotels und versucht, sich ja nichts anmerken zu lassen. Ihr selbst gelingt das ganz gut, doch von den Parteikollegen um sie herum lässt sich das nicht gerade behaupten. Einigen fällt es sichtlich schwer, sich das Grinsen zu verkneifen. Dass sie gute Laune haben, ist verständlich; liegt ihre Partei doch laut Umfragen erstmals überraschend vorne. Wie es aussieht, steht Irland an diesem Samstag vor einer historischen Wahl. Denn die Partei, um die es hier geht, ist die umstrittenste des Landes: Sinn Féin.

McDonald ist seit zwei Jahren Chefin der Partei. Die 50-Jährige hat es geschafft, dass Sinn Féin von vielen Iren nicht mehr als das wahrgenommen wird, was sie einst war: der politische Arm der IRA, die gewaltsam für ein vereinigtes Irland kämpfte. Sinn Féin hat dieses Ziel nicht aufgegeben, doch seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 verläuft der Kampf friedlich. Geht es nach McDonald, sollen die Iren in den kommenden fünf Jahren darüber abstimmen, ob sie eine mit dem britischen Nordirland vereinte Republik Irland wollen.

Seit Weihnachten haben sich die Zustimmungswerte für die Partei fast verdoppelt

Doch an diesem Sonntag im Ballsaal spricht sie lieber über das, was die Menschen wirklich umtreibt: die schlechte Gesundheitsversorgung und die Wohnungsnot in Dublin. Sie kommt damit an. Seit Weihnachten haben sich die Zustimmungswerte für ihre Partei fast verdoppelt. Nun liegt Sinn Féin mit 25 Prozent vor Fianna Fáil (23 Prozent) und Fine Gael (20 Prozent). Mit diesem wundersamen Aufstieg hatte auch der irische Rundfunk nicht gerechnet. Und so wurde McDonald erst am Vortag des TV-Duells eingeladen, doch bitte mit zu debattieren. Hätte sonst auch komisch gewirkt, wenn da nur der Premierminister und Fine-Gael-Chef Leo Varadkar und sein Herausforderer Micheál Martin von Fianna Fáil gestritten hätten.

Es sieht so aus, als müsse Varadkar um sein Amt bangen. Er ist seit zweieinhalb Jahren Taoiseach, wie man den Premier in Irland nennt. Er führt eine Minderheitsregierung, die aber wohl auseinandergefallen wäre, hätte er nicht vorzeitige Neuwahlen ausgerufen. Varadkar wähnte sich eigentlich in einer guten Position. Die Finanzkrise ist überstanden, Irlands Wirtschaft wächst, und im Brexit-Streit konnte er Grenzkontrollen auf der irischen Insel verhindern. Die Sache ist nur: Der Brexit spielt im Wahlkampf keine große Rolle.

Wenn es ein Wort gibt, das man in diesen Tagen immer wieder hört, dann ist es change. Früher hätte das bedeutet, dass Fianna Fáil eben mal wieder Fine Gael ablöst. Das wäre nicht ungewöhnlich, denn seit 1932 stellte immer eine der beiden Parteien den Premier. Koaliert haben sie nie. Beide sind einander spinnefeind, seit sie sich im Bürgerkrieg vor gut 100 Jahren eine blutige Fehde lieferten. Und doch haben Fine Gael und Fianna Fáil einiges gemeinsam. Beide schließen einen Pakt mit Sinn Féin aus. Beide lehnen ein Einheitsreferendum ab. Beide sind konservativ, ihre Politik ist nur in Nuancen zu unterscheiden.

Genau das nutzt McDonald aus: Sie positioniert Sinn Féin als linke Alternative. Sie verspricht, Mieten einzufrieren, mehr Wohnungen zu bauen und dafür zu sorgen, dass man nicht wochenlang auf einen Arzttermin warten muss. Und sie verspricht, dass die Iren wieder mit 65 in Rente gehen können - und nicht wie geplant mit 68.

Sinn Féin besetzt all jene Themen, für die eigentlich die Labour-Partei steht. Doch seit die Sozialdemokraten von 2011 bis 2016 Teil der Regierung waren und ein massives Sparprogramm durchsetzten, sind sie so gut wie von der Bildfläche verschwunden. In den Umfragen liegt Labour bei vier Prozent, gerade mal halb so viel wie die Grünen erwarten können. McDonald dürfte versuchen, mit beiden kleinen Parteien zusammenzuarbeiten.

Die Unruhe bei Fine Gael und Fianna Fáil ist jedenfalls groß. In dieser Woche sitzt Varadkars Finanzminister Paschal Donohoe im City Assembly House in Dublin und versucht, die schlechten Umfragen schönzureden. Er habe ja verstanden, dass die Iren change wollten, sagt er. "Doch dieser Wandel passiert bereits." Und außerdem: Die sozialen Wohltaten, die Sinn Féin verspreche, seien nicht finanzierbar. So ähnlich klingt das auch im Hospitality House, wo Fianna Fáil ihr Wahlkampfbüro aufgebaut hat. Dort muss Stephen Donnelly, Abgeordneter des Wahlkreises Wicklow an der irischen Ostküste, schlichtweg zugeben: "Das Gefühl der Panik nimmt zu."

Das mag auch an Fintan O'Toole liegen, dem einflussreichen Kolumnisten der Irish Times. Was er schreibt, bewegt die Dubliner Politik. Diese Woche hat er sie erschüttert. Denn sein Urteil ist eindeutig: "In Irland kann es ohne Sinn Féin keine fortschrittliche Regierung geben." Aus Sicht der jungen Generation sei die politische Verjährungsfrist für deren Gräueltaten abgelaufen. Dennoch könne das Blut an Sinn Féins Händen nicht abgewaschen werden, ohne eine "Akzeptanz der Verantwortung für ihre Vergangenheit".

Wie das gelingen kann, zeigt McDonald in dieser Woche. Nach massivem Protest bringt sie einen Parteifreund dazu, sich dafür zu entschuldigen, dass er einen wohl von IRA-Leuten ermordeten Mann als Kriminellen bezeichnet hatte. Der Mord geschah vor zwölf Jahren, nun überschattet er den Aufschwung von Sinn Féin. Doch trotz möglicher Einbußen dürfte die Partei mehr Stimmen erhalten als sie Kandidaten aufgestellt hat. Im Parlament gibt es 159 Sitze. Fine Gael und Fianna Fáil haben jeweils über 80 Kandidaten nominiert. Sinn Féin nur 42. Das war vor zwei Wochen. Da sahen die Umfragen noch ganz anders aus.

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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