Iren stimmen über Präsidentschaft ab:Einst IRA-Mitglied, jetzt Wahlkämpfer in eigener Sache

Darf das frühere IRA-Mitglied Martin McGuinness Präsident werden? Diese Frage dominierte den Wahlkampf um das irische Staatsoberhaupt. Glaubt man den Umfragen, lautet die Antwort der Bevölkerung "Nein" - der Nordire liegt klar hinter dem Unternehmer Seán Gallagher. Er ist historisch unbelastet und hat den Iren versprochen, was ihnen momentan am wichtigsten ist.

Christian Zaschke

Jetzt läuft es also auf einen Geschäftsmann hinaus, der in einer Reality-TV-Serie bekannt wurde. Obwohl: Dass Seán Gallagher in den letzten Umfragen deutlich vorne liegt, muss noch nicht heißen, dass er an diesem Donnerstag tatsächlich zum irischen Präsidenten gewählt wird. Dazu hat die Führung zu oft gewechselt in diesem bisweilen skurrilen Wahlkampf.

Iren stimmen über Präsidentschaft ab: Hat laut Umfragen keine allzugroßen Chancen, irischer Präsident zu werden: Das ehemalige IRA-Mitglied und Kandidat der Sinn-Féin-Partei, Martin McGuinness.

Hat laut Umfragen keine allzugroßen Chancen, irischer Präsident zu werden: Das ehemalige IRA-Mitglied und Kandidat der Sinn-Féin-Partei, Martin McGuinness.

(Foto: AFP)

Hoffnungen machten sich zwischendurch unter anderem eine frühere Gospel-Sängerin, ein früherer IRA-Mann, ein früherer Minister, der gern Gedichte schreibt, und ein früherer Hochschullehrer, der engagiert (und erfolgreich) gegen das Verbot der Homosexualität in Irland gekämpft hat. Nur der offizielle Kandidat der Regierung hatte nie eine Chance, weil die Iren auf offizielle Regierungskandidaten derzeit nicht gut zu sprechen sind.

Der Präsident wird in Irland vom Volk gewählt und hat in erster Linie repräsentative Aufgaben. Dennoch ist die Wahl dieses Mal insofern politisch, als das Volk die Kandidaten der etablierten Parteien entschieden ablehnt. Fianna Fáil, aus der die meisten der bisher acht Präsidenten kamen, hat nicht einmal einen Kandidaten aufgestellt - wegen akuter Chancenlosigkeit. Fine Gail, die mit Labour seit Februar regiert, hat den farblosen Gay Mitchell ins Rennen geschickt. In der letzten Umfrage, die die Irish Times Montag veröffentlichte, kam Mitchell auf lediglich sechs Prozent der Stimmen. Seán Gallagher liegt mit 40 Prozent deutlich in Führung, mit großem Rückstand folgt der ehemalige Minister Michael Higgins mit 25 Prozent.

Ehemaliges IRA-Mitglied als Präsident?

Dann erst kommt der Mann, der dafür gesorgt hat, dass sich in Irland überhaupt jemand wirklich für diese Wahl interessierte: der Nordire Martin McGuinness, ehemals Mitglied der terroristischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die gewaltsam dafür kämpfte, dass Irland und das zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland zu einem Staat vereint werden.

McGuinness ist heute Politiker und hat sich als Mann des Friedens profiliert. Nachdem er ins Rennen eingestiegen war, hatte der Wahlkampf plötzlich ein großes Thema: Kann, darf, soll ein Mann Präsident Irlands werden, der einer Terror-Organisation angehört hat? McGuinness liegt laut Umfrage bei 15 Prozent der Stimmen. Aber seine Kandidatur ist viel diskutiert worden, oft laut, oft emotional. Und nicht immer hat McGuinness dabei eine gute Figur gemacht.

Vor genau zwei Wochen musste er sich vorhalten lassen, er habe "Blut an den Händen". Das sagte Michael Hand, dessen Bruder Frank, ein Polizist, von der IRA erschossen worden ist. Einen Tag zuvor war McGuinness auf seiner Wahlkampftour hart angegangen worden: Der Sohn eines irischen Soldaten, den die IRA 1985 erschossen hatte, verlangte, McGuinness solle die Namen der Killer preisgeben. Die Auseinandersetzung war hitzig, sie wurde von mehreren Kameras gefilmt. Es war deutlich zu sehen, dass McGuinness diese Situation nicht gefiel. Er löste sie dann jedoch so, dass beide Kontrahenten das Gesicht wahren konnten. McGuinness versicherte den Mann seiner tiefen Anteilnahme, er teile den Schmerz, er kenne die Killer nicht - und wenn man ihm nicht glaube, dann müsse er damit leben.

100 Kilogramm Sprengstoff

Immer wieder sah sich McGuinness in den vergangenen Wochen solchen Anwürfen ausgesetzt, manchmal reagierte er unwirsch oder gereizt, er verwies dann darauf, bereits alles zum Thema gesagt zu haben. Seine Version ist diese: 1970, damals 20 Jahre alt, sei er der IRA beigetreten. Er sei an keinerlei bedeutenden Aktionen beteiligt gewesen und 1974 wieder ausgetreten. 1973 ist McGuinness verhaftet und zu sechs Monaten Haft verurteilt worden, nachdem die Polizei in seinem Auto mehr als 100 Kilogramm Sprengstoff und 5000 Schuss Munition gefunden hatte.

Wieder in Freiheit habe er sich dazu entschlossen, politisch zu arbeiten. Er engagierte sich bei Sinn Féin, der republikanischen Partei, für die er 1982 ins nordirische Regionalparlament einzog. Er war einer der Chefunterhändler des Karfreitagsabkommens von 1998, das ein wichtiger Schritt im nordirischen Friedensprozess war. In der Folge wurde McGuinness Bildungsminister Nordirlands, seit 2007 ist er einer von zwei Stellvertretern des "First Minister" von Nordirland, Peter Robinson. Der zweite Stellvertreter ist Ian Paisley von der Democratic Unionist Party. Der Republikaner McGuinness und der Unionist Paisley, die einander jahrzehntelang unversöhnlich gegenüber gestanden hatten, kamen so gut miteinander aus, dass sie den Spitznamen chuckle brothers erhielten: Kicher-Brüder.

Auf diese Karriere verweist McGuinness immer wieder, wenn er deutlich machen will, dass er ein Mann der Versöhnung und des Friedens sei. Bei der Wahl zum irischen Präsidenten tritt der Nordire mit dem Slogan an, "Präsident des Volkes" werden zu wollen. Er gibt sich volksnah, er verspricht, im Fall seiner Wahl lediglich das irische Durchschnittsgehalt zu beziehen und den Rest entweder zu spenden oder zu nutzen, um junge Arbeitslose anzustellen.

Iren wollen Investitionen aus dem Ausland

Nur: Das Volk glaubt ihm nicht. Die Sunday Times zitiert Umfragen, wonach die Mehrheit der Iren überzeugt ist, dass McGuinness die IRA 1974 keineswegs verlassen habe, sondern dass er eine führende Kraft war in dem, was folgte: Zwischen 1974 und dem Karfreitagsabkommen von 1998 starben in den irischen Auseinandersetzungen 3500 Menschen, davon 1900 Zivilisten. Die Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Iren keinen Präsidenten will, der damit auch nur im Entferntesten etwas zu tun haben könnte. Seán Gallagher, der Favorit des Volkes, ist historisch unbelastet, und er hat den Iren das versprochen, was ihnen momentan am wichtigsten ist: Als Präsident, sagt der Unternehmer Gallagher, wolle er in erster Linie dafür sorgen, dass wieder mehr Geld aus dem Ausland in Irland investiert wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: