Naher Osten:Irans nuklearer Sprint

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Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Chamenei besichtigt im Juni 2023 Zentrifugen zur Urananreicherung. (Foto: Wana/Reuters)

Teheran hat einen großen Teil seiner strategischen Abschreckung verloren.  Jetzt setzt das Regime auf den Ausbau seines Atomprogramms. Will es die ultimative Waffe? Oder einen neuen Deal mit dem Westen?

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Am 6. Dezember verschickte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Mariano Grossi, einen zweiseitigen Bericht an die Mitglieder des Gouverneursrates. Iran habe seine Behörde informiert, dass es in seiner Urananreicherungsanlage in Fordo zusätzliche Zentrifugen in Betrieb nehmen werde, schreibt er darin. Auch werde Iran die Arbeitsweise der laufenden Kaskaden modifizieren.

Was sich wenig spektakulär anhört, versetzt Diplomaten und Geheimdienstler in höchsten Alarmzustand. Ihnen stellt sich dringlicher als je zuvor die „Eine-Million-Dollar-Frage“, wie es ein Diplomat formuliert: Ob das Regime des greisen Obersten Führers Ayatollah Ali Chamenei nun nach mehr als 20 Jahren zu einem Sprint ansetzt, sich Atomwaffen zu verschaffen. Oder ob es die Islamische Republik einmal mehr darauf anlegt, Verhandlungsmasse für einen möglichen neuen Deal mit dem Westen aufzubauen.

Das Problem: Es gibt darauf keine eindeutige Antwort. Möglicherweise stimmt beides zugleich. Deutschland, Frankreich und Großbritannien, zusammen E3 genannt, zeigten sich in einer gemeinsamen Erklärung ihrer Außenministerien „extrem besorgt“ über die nukleare Eskalation. Gemeint ist damit, dass Iran mit den Veränderungen in Fordo seine Produktionskapazität für auf bis zu 60 Prozent angereichertes Uran „deutlich steigern“ würde, wie es in dem IAEA-Bericht heißt – auf mehr als 34 Kilogramm pro Monat.

Material für fünf Bomben in nur vier Wochen

Das ist eine vornehme Untertreibung. Denn wenn man den zuvor von der IAEA gemeldeten Durchschnitt der Produktion von 7,6 Kilogramm pro Monat nimmt, würde Iran die Kapazität mehr als vervierfachen. Auf 60 Prozent angereichertes Uran ist besonders problematisch, weil der Sprung zum Anreicherungsgrad von 90 Prozent, also waffenfähigem Uran, nur sehr wenig Zeit und Arbeit der Zentrifugen kostet. Das liegt an den technischen Eigenheiten des Prozesses, bei dem das spaltbare Isotop Uran 235 gewonnen wird.

Iran könnte laut westlichen Geheimdiensten in nur vier Wochen genug hochangereichertes Material für fünf Bomben herstellen, sollte das Regime nach der ultimativen Waffe greifen. Dafür wären zwar noch vorbereitende Schritte notwendig. Aber die Rekonfiguration der Zentrifugen in Fordo zählt ebenso dazu, wie Irans Ankündigung an die IAEA, auf 20 Prozent angereichertes Uran aus anderen Standorten des Nuklearprogramms dorthin zu verlegen.

Im Regime gibt es seit Monaten eine Debatte, ob Iran das klandestine Bombenprogramm, das laut westlichen Geheimdiensten nach der US-Invasion im Irak 2003 großenteils eingemottet wurde, wieder aktivieren soll. Auslöser dafür ist, dass sich Irans geopolitische Lage seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 rapide verschlechtert. Chamenei hatte die Attacke anfangs als „historischen Wendepunkt“ gefeiert. Doch statt des von ihm erhofften Niedergangs Israels hat die Islamische Republik nun binnen weniger Monate tragende Elemente ihrer strategischen Abschreckung verloren, die die Revolutionsgarde über Jahrzehnte aufgebaut hatten.

Revolutionsgarde ist erheblich geschwächt

Die „Achse des Widerstands“ ist schwer ramponiert. Die Hamas und der Islamische Dschihad im Gazastreifen stellen für Irans Erzfeind Israel kaum mehr eine Bedrohung dar. Weit bedeutender noch: Israel hat die Führung der von der Revolutionsgarde 1982 in der libanesischen Bekaa-Ebene gegründeten Hisbollah um Hassan Nasrallah zerschlagen, Tausende Kämpfer getötet und ihr einst Furcht einflößendes Arsenal von 140 000 Raketen nach Angaben der Streitkräfte um 80 Prozent dezimiert.

Mit dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad dürfte Iran auch seine Präsenz in Syrien verlieren – und damit das logistische Rückgrat zur Unterstützung der Hisbollah. Dafür hatten die Revolutionsgarde und von ihnen gesteuerte Milizen den schiitischen Halbmond etabliert, eine Landbrücke über Bagdad und Damaskus nach Beirut. Nach der Niederlage der Terrormiliz Islamischer Staat wurden so Waffenlieferungen und anderer Nachschub im großen Stil möglich.

Zugleich ist die Revolutionsgarde selbst militärisch erheblich geschwächt. Sie hat zwar Israel zweimal direkt angegriffen mit massiven Wellen von Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Mittelstreckenraketen. Während diese aber entweder abgefangen wurden oder nur geringe Schäden anrichteten, hat Israel bei seinen Vergeltungsangriffen der von Chamenei kontrollierten Elitetruppe schwere Schläge zugefügt: „Iran hat keine weitreichende Luftverteidigung, und Iran kann keine Raketen produzieren“, bestätigte jüngst ein hoher US-Regierungsbeamter.

Alle nötigen Kenntnisse zum Bau eines nuklearen Sprengsatzes

Was er nicht erwähnte: Auf dem Militärstützpunkt Parchin bei Teheran bombardierten die Kampfjets nicht nur die Mischanlagen, in denen Feststofftreibsätze für ballistische Raketen hergestellt wurden. Wie Satellitenbilder zeigen, zerstörten sie auch einen Gebäudekomplex, in dem die Revolutionsgarde offenbar neue Versuche vorgenommen hatte, die zur Entwicklung eines Nuklearsprengkopfs dienen können. Der seit Jahren übliche Standardsatz in US-Geheimdienstberichten, dass Iran keine solchen Aktivitäten unternimmt, fehlt seit dem Sommer.

Die Iraner knüpfen dabei offenbar an Entwicklungsarbeiten von vor 2003 an, für die sie einen Physiker aus einem sowjetischen Atomwaffenlabor angeheuert hatten. Nach Einschätzung der IAEA hatte Iran sich damals alle nötigen Kenntnisse zum Bau eines nuklearen Sprengsatzes verschafft. Größte Herausforderung ist laut westlichen Diensten seither die Beschaffung von ausreichend waffenfähigem Material sowie die Integration eines Sprengkopfes in ein Trägersystem.

In einem US-Geheimdienstbericht vom November heißt es, das Risiko wachse, dass Iran eine Entscheidung zum Bau von Atomwaffen treffe. Getrieben würden die Überlegungen von der Wahrnehmung, dass „Iran ein strategisches Ungleichgewicht gegenüber seinen Gegnern ausgleichen muss“ – und dabei waren in der Einschätzung zeitlich weder Israels Luftangriffe auf die Revolutionsgarde berücksichtigt noch der Sturz Assads.

Das Regime braucht eine Lockerung der Sanktionen

Ähnlich äußerte sich Ende November der Chef des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE, Nicolas Lerner. „Zweifellos eine der Bedrohungen, wenn nicht die größte Bedrohung in den kommenden Monaten“ sei, dass Iran Atomwaffen bauen könnte. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass ihnen das nicht entgehen würde. Die Anreicherung von Uran auf 60 Prozent sei allein nicht der entscheidende Schritt, heißt es, allerdings bringe er Iran in eine bessere Position für den Bombenbau – und für Verhandlungen.

Iranische Diplomaten signalisieren schon seit Amtsantritt von Präsident Massud Peseschkian im Sommer den Europäern ihre Bereitschaft zu neuen Atomgesprächen. Das Regime braucht eine Lockerung der Sanktionen, um den Verfall der Wirtschaft zu bremsen. Und es will vorbauen für die Zeit, wenn Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht.

Trump hat eine Rückkehr zu seiner Politik des „maximalen Drucks“ angekündigt – und könnte diesmal sogar auf Unterstützung in Europa hoffen. Die E3  können noch bis Oktober 2025 durch einen Mechanismus aus dem Atomabkommen von 2015 UN-Sanktionen wieder in Kraft setzen, was sie in Erwägung ziehen. Iran will das unbedingt verhindern und droht, den Atomwaffensperrvertrag zu verlassen. Trump zeigt sich zugleich offen für einen Deal mit Teheran. Der allerdings müsste, das haben Spitzendiplomaten aus Berlin, Paris und London in Treffen mit iranischen Unterhändlern zuletzt Ende November noch einmal klargemacht, auch Irans Rolle in der Region und das Raketenprogramm der Revolutionsgarde umfassen.

Dazu ist Iran bislang keinesfalls bereit. Allerdings wird das Regime sehr genau abwägen müssen, welches Risiko es mit dem Nuklearprogramm eingehen will, der wichtigsten verbliebenen Säule seiner Abschreckung. Die Anlage von Fordo liegt zwar Hunderte Meter unter einem Berg in einem Tunnelsystem verborgen, besser geschützt als jeder Bunker. Trump würde Israels Premier Benjamin Netanjahu aber anders als der scheidende Präsident Joe Biden wohl kaum eine Garantie abverlangen, Irans Öl- und Atomanlagen nicht zu bombardieren. Sollte Iran aber nach der Bombe greifen, würde Trump sich aller Wahrscheinlichkeit nach an das halten, was auch Joe Biden immer angekündigt hat: Dass die USA nicht zulassen werden, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt.

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