Süddeutsche Zeitung

Irans Atomprogramm im Fokus:Zweifel an Israels Zerstörungskraft

Der IAEA-Bericht nur Propaganda, Israels Angriffspläne nichts als Säbelrasseln: Iran spielt den Konflikt mit dem Westen herunter. Teheran sei auf alle Szenarien vorbereitet. Die Einschätzung von Militärexperten dürfte die Iraner bestärken: Israel sei gar nicht in der Lage, durch einen Angriff das Atomprogramm lahmzulegen.

Rudolph Chimelli

Iran hat den Bericht der Atomenergiebehörde IAEA, wie zu erwarten, als Propagandamanöver verworfen. Präsident Mahmud Ahmadinedschad kündigte in einer vom Fernsehen übertragenen Rede an, das Atomprogramm werde ohne Abstriche fortgesetzt. Eine Atombombe brauche die iranische Nation nicht, denn sie erreiche ihre Ziele durch Ideen, Kultur und Logik. Dem japanischen Direktor der IAEA, Yukiya Amano, warf der Präsident vor, er halte sich nicht an deren Regeln. Die Atomenergiebehörde nehme alle Dokumente an, die ihr die USA überreichten, publiziere aber nie einen Bericht über das amerikanische Arsenal von 5000 Sprengköpfen.

Besonders erbittert die Iraner, dass Amano knapp zwei Wochen vor Veröffentlichung des Berichts das Weiße Haus besuchte, um sich mit hochrangigen Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats der USA zu besprechen. Der iranische IAEA-Delegierte Ali Asghar Soltanieh hielt Amano vor, er handle parteiisch, aus politischen Motiven und unprofessionell. Dennoch werde sich Teheran weiter an den Nichtverbreitungsvertrag halten. Dem Beispiel Nordkoreas, das den Vertrag aufkündigte und danach rasch eine Bombe fertigstellte, wollen die Iraner offenbar vorerst nicht folgen.

Parlamentssprecher Ali Laridschani spielte das von Israel ausgehende Säbelrasseln als "psychologische Kriegsführung" herunter. Die USA hätten im Vorfeld der Präsidentenwahl innere Probleme, und Israel sei als Folge der arabischen Revolutionen weiter isoliert. Dennoch sei Iran auf alle Szenarios vorbereitet.

Die gesamte iranische Opposition bezieht gegen die Drohkampagne Stellung. Im Ausland haben 120 Intellektuelle, unter ihnen führende Gestalten des Exils, in diesem Sinn einen offenen Brief unterzeichnet.

Der iranische Stabschef, General Massud Dschasaieri, hat Israels Zerstörung im Fall eines Angriffs auf Iran vorhergesagt. Als ein Ziel von Vergeltungsschlägen, die nicht auf den Nahen Osten beschränkt bleiben würden, nannte er die israelische Atomzentrale Dimona. Die den Revolutionsgarden nahestehende Agentur Fars behauptet, das "winzige Israel" könne von vier iranischen Raketen zerstört werden.

Die präzise Zahl bringt alte Berichte in Erinnerung, nach denen die Iraner vor Jahren von Waffenhändlern eine Anzahl von Marschflugkörpern des Typs Kh-55 aus der Konkursmasse der Sowjetunion gekauft hätten. Sie sollen vorwiegend aus der Ukraine stammen und eine Reichweite von 2500 Kilometern haben. Aus Zentralasien habe Teheran ferner Atomsprengköpfe bezogen, von denen ungewiss ist, ob sie noch aktivierbar sind.

Militärexperten in Paris bestätigten in diesem Kontext eine Analyse, die vor einem Jahr erstmals Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, bekannt machte. Danach ist Israel militärisch nicht in der Lage, Irans Atompotential nachhaltig zu zerstören. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre eine Luftoffensive von mindestens 72 Stunden Dauer erforderlich. Sie müsste 1200 Ziele treffen, von denen viele mehrmals angegriffen werden müssten.

Aktuelle Kommentare von Fachleuten, die in Teheran genau verzeichnet werden, kommen zu ähnlichen Schlüssen. In Tel Aviv urteilte Jiftach Schapir, Direktor am Universitätsinstitut für Sicherheitsstudien: "Israels Luftwaffe kann Iran angreifen und Schaden anrichten. Aber sie ist weit davon entfernt, das Atomprogramm lahmlegen zu können.

Dafür wäre mindestens ein Monat Dauerbombardement nötig. Das kann Israel nicht allein." Professor Richard Russell von der National Defense University in Washington wird zitiert: "Die Israelis haben sehr beschränkte Mittel für einen Angriff auf Irans Atomprogramm. Das ist ein großes Problem, das immer akuter wird."

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SZ vom 10.11.2011/infu/gba
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