Auch am Wochenende sind wieder Hunderte iranische Schulkinder und Studierende wegen Vergiftungserscheinungen in Krankenhäusern behandelt worden. Am Samstag waren mehr als 30 Schulen in mindestens zehn der 31 iranischen Provinzen betroffen. Auf Videos in Internet-Foren war zu sehen, wie Eltern ihre Kinder vor Schulgebäuden abholten und einige Mädchen mit Krankenwagen oder Bussen in Krankenhäuser gebracht wurden. Eine Kundgebung von Eltern vor dem Gebäude des Bildungsministeriums im Westen Teherans entwickelte sich zu einer regierungsfeindlichen Demonstration, wie ein Video zeigt.
Zählungen amtlicher und halbamtlicher Nachrichtenagenturen zufolge waren allein am Samstag etwa 300 Mädchen betroffen. Mehr als 120 Mädchen wurden in der im Westen Irans gelegenen Stadt Hamadan und den angrenzenden Bezirken wegen Übelkeit, Schwindel und Erschöpfungssymptomen behandelt. Die mutmaßlichen Vergiftungen mit chemischen Substanzen wurden auch aus fünf Städten in der Nähe Teherans gemeldet, außerdem aus der heiligen Stadt Ghom, wo die ersten Vergiftungsfälle aufgetreten waren. Erstmals gab es auch Berichte über Vorfälle an Jungen-Schulen.
Zahlreiche Eltern demonstrierten wegen der mutmaßlichen Giftanschläge, unter anderem in der Hauptstadt. Dem Gesundheitsministerium zufolge handelte es sich um "leichte Vergiftungen". Einige Politiker haben dafür islamistische Extremisten verantwortlich gemacht, die gegen die Bildung von Mädchen seien. Schulmädchen waren auch an den regierungskritischen Demonstrationen seit Mitte September beteiligt. Der Innenminister ließ am Wochenende lediglich verlautbaren, dass Proben aus verschiedenen Schulen nun getestet würden.
Wenig ist bisher über die Hintergründe bekannt, gleichzeitig wird viel spekuliert. Doch die Symptome sind immer gleich: Schwindel, Übelkeit und Atemnot. Betroffene erzählten unter anderem von zischenden Geräuschen in den Klassenräumen und Schwefelgeruch. Iranische Ärzte vermuten daher den Einsatz von Gasen. Aus Behördenkreisen wurde bekannt, dass die Regierung extremistische religiöse Gruppen hinter der Vergiftungswelle vermutet.
Zugeständnisse im Atomstreit
Während die Vergiftungswelle das Land im Inneren aufwühlt, sendet das Regime nach außen Signale neuer Offenheit im Atomstreit. So wurde der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wenige Tage vor einer entscheidenden Ratssitzung eine bessere Überwachung von Nuklearanlagen in Aussicht gestellt. Das gaben die IAEA und die iranische Atom-Organisation AEOI am Samstagabend bekannt. Zuvor hatte IAEA-Chef Rafael Grossi in Teheran Gespräche mit Irans Präsident Ebrahim Raisi geführt.
Iran hatte zuletzt die Anreicherung von Uran bis zu einem sehr hohen Reinheitsgrad von 60 Prozent vorangetrieben. Damit wurden internationale Sorgen befeuert, dass dieses Material für Atomwaffen weiterverarbeitet werden könnte. Dafür wäre ein nur knapp höherer Grad von 90 Prozent nötig. Außerdem hatten IAEA-Experten vor Kurzem in der Atom-Anlage in Fordo Spuren von Uran mit einem Reinheitsgrad von 84 Prozent gefunden. Seitdem versucht die IAEA zu klären, ob Iran dieses Niveau gezielt erreichte, oder ob es sich um einen unbeabsichtigten, kurzfristigen Spitzenwert handelte, wie Teheran argumentiert.
Im Vorjahr mussten die IAEA-Experten in Iran Kameras und andere Überwachungsgeräte abbauen. Nun sollen diese in Kürze wieder in Betrieb gehen, kündigte Grossi nach seiner Rückkehr aus Teheran an. Teheran erlaube auch häufigere Besuche von Inspektoren in Fordo. Details zu dem verbesserten Inspektionsmodus müssten jedoch noch von den beiden Seiten geklärt werden, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Iran sei bereit, zu der Entdeckung des auf 84 Prozent angereicherten Urans weitere Informationen bereitzustellen und Inspektionen zu erlauben. "Bislang bekamen wir nicht die Kooperation, die wir anstrebten", sagte Grossi in Wien. Die jahrelangen Gespräche zu den offenen Fragen würden nun schon "zu lange" dauern.