Süddeutsche Zeitung

Iran, USA und IS:Die Achse des Bösen verschiebt sich

Der "Islamische Staat" schafft ungeahnte Allianzen: Iran und die USA sind sich plötzlich näher als je zuvor. Zum ersten Mal seit langer Zeit zeichnet sich die Möglichkeit ab, das jahrzehntealte Zerwürfnis zu begraben. Die neue Lage enthält für Teheran Chancen und Risiken.

Kommentar von Rudolph Chimelli

Ein Zug kann leicht entgleisen, wenn Achsen sich verschieben. Im Nahen Osten sind durch den sogenannten Islamischen Staat vertraute Bündnisse und Loyalitäten in Bewegung geraten. Sicher scheint im Augenblick nur zu sein: Iran gehört nicht mehr zu der einst von Washington erdachten Achse des Bösen. Keine Seite will es zugeben. Aber Amerikaner und Iraner sind de facto Verbündete geworden im Kampf gegen die Daesch-Terroristen, wie der IS im Arabischen genannt wird.

Amerikas Außenminister hält Teheran zwar von Konferenzen über den Irak fern, gesteht den Iranern aber "eine Rolle" im Kampf gegen Daesch zu. Schon im eigenen Interesse ist Teheran zur Unterstützung des Bündnisses bereit. Aber das verlangt seinen Preis. Iran will Gegenleistungen, vor allem im Atomstreit und durch raschere Aufhebung der Sanktionen.

Wegen der Bedrohung IS nähern sich Iran und USA an

Diese Bedingung ist für Teheran essenziell. Präsident Rohani sagte seinem französischen Kollegen François Hollande bei der UN-Vollversammlung vieldeutig, der Westen solle nicht ignorieren, dass Iran über großen Einfluss in der Region verfüge. Gleichzeitig bemüht er sich, die schlechten Beziehungen zu Saudi-Arabien, dem großen sunnitischen Rivalen am Golf, zu reparieren.

Die neue Lage enthält für Iran Chancen und Risiken. Zum ersten Mal seit langer Zeit zeichnet sich die Möglichkeit ab, das Jahrzehnte alte Zerwürfnis mit den USA zu begraben. Gelänge dies, wäre die wichtigste Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen zu einem großen Teil der Welt und damit zu wichtigen Wirtschaftspartnern erfüllt.

Irans Politik wird aus seinen regionalen Interessen geleitet. Seitdem Amerika den Iranern ihren Erzfeind Saddam Hussein vom Hals geschafft hat, war der Irak erstmals ein befreundeter Nachbar, regiert von zuverlässigen Glaubensbrüdern, die dem wachsenden iranischen Einfluss keine Steine in den Weg legten.

Jetzt ist dieses Idyll an der 1600 Kilometer langen Westgrenze wieder gefährdet. Ein Zerfall des Irak wäre für Iran eine Katastrophe. Volle Unabhängigkeit der irakischen Kurden würde die Tür für neuen Einfluss der Amerikaner - und der Israelis - öffnen. Auch der Blick über die Ostgrenze verdüstert sich. Zu dem vom Westen eingesetzten afghanischen Regime hat Iran vorzügliche Beziehungen. Falls nach dem Abzug der fremden Truppen die Taliban wiederkämen, wäre die Harmonie mutmaßlich zu Ende.

Im Augenblick spenden die Iraner der Luftoffensive gegen den mörderischen Todfeind "Islamischer Staat" verhaltenen Beifall. Doch wie steht es um die fernere Perspektive? Rosig ist sie nicht. Noch immer sind die Amerikaner von der Illusion geleitet, sie könnten in Syrien mit Geld und Waffen so etwas wie eine demokratische Alternative zu Baschar al-Assad und zum radikalen Islam aufbauen. Und wenn Daesch erst einmal zerschlagen ist, könnte niemand die USA daran hindern, unversehens auch Assad wegzubomben - was sie schon einmal vorhatten. Die Saudis, die Ägypter und andere konservative Verbündete Washingtons wünschen sich nichts anderes. Die Iraner aber hätten ihren wichtigsten Verbündeten in der Region verloren und mit ihm die Landverbindung zur befreundeten schiitischen Hisbollah-Bewegung in Libanon.

Noch unterstützt Iran als einzige Macht die wankende irakische Armee mit eigenen Streitkräften. Zwar wird es sich nur um einige Hundert Mann der Eliteverbände der iranischen Revolutionsgarden handeln. Doch es ist ihnen gelungen, Bagdads reguläre Truppen mit neuem Mut und neuen Kampftechniken zu impfen. Mehr noch: Iranische Berater sind das Rückgrat der irakischen Schiiten-Milizen und des Sicherheitsapparates.

"Wäre der Hadschi-Agha nicht gewesen, auch Bagdad wäre in die Hände von Daesch gefallen," sagte der Teheraner Abgeordnete Alireza Zakani. Hadschi-Agha steht für den General Kassem Suleimani, dem Kommandeur der für Sondermissionen bestimmten "Jerusalem-Brigade" der Revolutionsgarden. Seine Verbände hatten die Daesch-Blockade der strategisch wichtigen Stadt Amerli nördlich von Bagdad gebrochen. Dabei zeigte sich auch, wie die Zusammenarbeit funktioniert: Die von Iranern kontrollierten Schiiten-Milizen gaben Angriffspläne den formell kommandierenden Irakern weiter, diese unterrichteten die Amerikaner - und die Amerikaner bombardierten.

Schon lange ist Amerika für denkende Iraner nicht mehr der große Satan. Und alle Informierten im Westen wissen, dass keine einsatzfähigen iranischen Atomraketen existieren, die Israel oder sonst jemand bedrohen. Es gibt kein größeres Hindernis bei der Verständigung, als der eigenen Propaganda zu glauben.

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SZ vom 25.09.2014
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