Süddeutsche Zeitung

Atomstreit:Iran handelt, als hätte das Land nichts mehr zu verlieren

Der Bruch des Nuklearvertrags ging von den USA aus, doch Teheran begnügt sich nicht mit der Defensive. Das macht den Atomstreit unberechenbar.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die Choreografie Irans und der USA im Nuklearstreit ist einerseits vorhersehbar, andererseits in ihren Folgen unberechenbar. Bisher hält sich Teheran weitgehend an das Drehbuch, das zur Auflösung des Nuklearvertrags geschrieben wurde. Kurzfassung: Im ersten Schritt kündigen die USA den Vertrag, kehren zur alten Sanktionslogik zurück und eröffnen damit auch Iran die Chance zum Ausstieg. Im zweiten Schritt zetert und droht Teheran, weil die wirtschaftlichen Öffnungsklauseln des Vertrags für das Land überlebensnotwendig sind. Weil dies aber nichts hilft, zeigt das Regime im dritten Schritt die Folterwerkzeuge vor - ja, es wird tatsächlich auch aus dem Vertrag aussteigen und wehrt sich grimmig. Die USA, die das Pingpongspiel begonnen haben, reagieren auf jeden Schritt mit einer eigenen Eskalationsstufe. Jetzt werden 1000 zusätzliche Soldaten an den Golf verlegt. Krieg führen sollen sie deshalb noch lange nicht.

Tatsächlich ist es aber die iranische Seite, die unter Zugzwang steht. Ob die paramilitärische Reaktion im Fall der Tankerangriffe die Billigung aller Akteure in Teheran hatte, bleibt unklar. Gewiss ist aber, dass die nun hochoffiziell angekündigte Überschreitung der Produktionsmengen für leicht angereichertes Uran wirken soll wie ein Dampfhammer: Wer noch immer glaubt, die Radikalwende der USA werde folgenlos bleiben, der muss nur noch zehn Tage abwarten. Dann verfügt Iran über mehr angereichertes Uran, als laut Vertrag erlaubt ist. Und weil wirklich jeder die Tragweite verstehen soll, verspricht Teheran noch eine Anreicherung auf bis zu 20 Prozent, was den Sprung hin zum waffenfähigen Material dramatisch verkürzt.

Der Nuklearvertrag mit Iran war eine vertrauensbildende Maßnahme, die alle Nachbarn und Kontrahenten beruhigen sollte: Seht her, die Anreicherung ist unter Kontrolle, Teheran kann eben nicht über Nacht eine Bombe bauen. Diese Beruhigungsformel wird hinfällig, wenn das Regime nun mitteilt, dass es erstens große Mengen Uran anreichern und zweitens das Tempo hin zu einer potenziellen Bewaffnung selbst bestimmen wird.

Über den Vertragsverstoß wird die Atomenergiebehörde in zehn Tagen ein Urteil abgeben, dann setzt ein Schlichtungsmechanismus zwischen den Vertragsparteien ein, an dessen Ende entweder ein neuer Kompromiss steht, oder eben das Ende des Nuklearvertrags. So weit, so vorhersagbar.

Interessant ist, dass Iran seine Antwort auf die US-Eskalation ordentlich kommuniziert und mit jedem Vertragsbruch auch eine Botschaft an die europäischen Vertragspartner schickt: Redet mit uns, bleibt wenigstens ihr vertragstreu. Dabei weiß Teheran genau, dass die Hände der Europäer und der übrigen Vertragspartner gefesselt sind. Nicht einmal China kann sich gegen den Sanktionswillen der USA stemmen. Auch hat die EU selbst ihre rote Linie klar gezogen: Werden größere Menge angereichert oder wird der Grad der Anreicherung erhöht, dann ist der Vertrag am Ende. Misslich ist freilich, dass die EU kein Lockmittel hat, um Teheran vom Bruch abzuhalten. Es gibt einfach keines.

Irans Eskalationsstrategie kennt nur eine Richtung. So handelt ein Regime, das nichts mehr zu verlieren hat. Obwohl der Vertragsbruch eindeutig von den USA ausging, will sich Teheran mit der Defensive nicht begnügen oder wenigstens aus der Rolle des Opfers einen moralischen Vorteil für Verhandlungen ziehen.

Nein, für die Opferrolle ist Teheran nicht geschaffen. Das Regime wird selbst zum Täter. Was es sich davon verspricht? Vielleicht die Befriedung der Lager im Inneren, vielleicht ein bisschen Furcht und Schrecken bei den Nachbarn. Hier jedenfalls endet die Choreografie und der unberechenbare Nervenkrieg beginnt.

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SZ vom 18.06.2019/lalse
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