Geheimdienste:Iranischer Diplomat soll Terrorattacke geplant haben

Geheimdienste: In Europa wächst die Sorge vor einem iranischen Staatsterrorismus.

In Europa wächst die Sorge vor einem iranischen Staatsterrorismus.

(Foto: SZ-Grafik)

Am Freitag beginnt in Antwerpen der Prozess gegen einen iranischen Botschaftsrat, der von Wien aus einen Anschlag in Auftrag gegeben haben soll. Europas Geheimdienste sind alarmiert.

Von Florian Flade, Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

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Es war eine Geste der Überlegenheit. Höhnisch, spöttisch, auch ein wenig leichtsinnig. Wenige Monate ist es her, da meldete sich ein prominenter Häftling im belgischen Beveren nahe Antwerpen beim Personal des Untersuchungsgefängnisses. Er habe einen Wunsch: Er wolle die Polizei sprechen. Der Häftling, ein mutmaßlicher Geheimdienstmitarbeiter aus der Islamischen Republik Iran, ließ die Beamten zu sich kommen.

Im Gespräch eröffnete er ihnen, es könnten schlimme Dinge geschehen, wenn ein jetzt anstehender Prozess gegen ihn vor der belgischen Justiz schlecht ausgehe. Es gebe da bewaffnete Gruppen, die auf Irans Befehl hören würden, im Irak, in Libanon, Jemen und Syrien. Diese würden sehr genau sehen, was hier in Europa mit ihm geschehe. Sie würden "von der Seitenlinie aus beobachten, ob Belgien sie unterstützt oder nicht", so steht es in einem internen Protokoll, das die Polizeibeamten nach dem Treffen anfertigten.

Dann ließ dieser Häftling sich aus dem Besprechungszimmer wieder in seine Zelle bringen, in der hochgesicherten Strafanstalt in der Schaarbeekstraat 2.

Seit diesem Tag im März ist in Europa eine ohnehin schon große Sorge noch ein wenig gewachsen, die Sorge vor einem iranischen Staatsterrorismus, auf dessen Konto in früheren Jahrzehnten etliche Tote auch in Europa gingen. Die Sorge, dass die Islamische Republik nicht nur in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in der arabischen Welt ihre Spezialkräfte losschickt, um in Stellvertreterkriegen zu zündeln. Sondern dass sie, wie früher schon einmal, auch vor Europa nicht haltmachen will.

Die meisten Nachrichtendienste in Europa werden den Prozess sehr genau verfolgen

An diesem Freitag beginnt in Antwerpen der Prozess gegen den Iraner, Assadollah A., 48 Jahre alt, und diesen Prozess werden vielleicht tatsächlich bewaffnete Gruppen im Nahen Osten, ganz sicher aber die meisten Nachrichtendienste des europäischen Kontinents sehr genau verfolgen wollen. Denn laut der Staatsanwaltschaft liefen in einem Wiener Palais in der Jaurèsgasse, in Irans Botschaft, die Fäden für ein großes Terrorkomplott zusammen, das in den vergangenen Jahren auf europäischem Boden geplant wurde.

Es ist ein Verfahren, von dem politisch viel abhängt - für das angespannte Verhältnis Irans zum Westen. Die Prozessunterlagen, welche die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR einsehen konnten, zeichnen eine aufwendige internationale Ermittlung nach. Deren Ergebnisse werden von Assadollah A. umfassend bestritten, wie sein belgischer Anwalt auf Anfrage mitteilt.

Der Iraner soll als Beamter mit Diplomatenpass nach Europa gekommen sein, friedlich und unauffällig, seit 2014 war er als sogenannter Dritter Botschaftsrat an der Botschaft der Islamischen Republik in Wien akkreditiert. Tatsächlich, so glauben die Ermittler, soll er zum Ministerium für Nachrichtenwesen MOIS gehören, dem Geheimdienst. Geschickt mit dem Auftrag, "menschliche Quellen" in Europa zu führen.

Assadollah A. handelte auf Anweisung Teherans, davon sind die Ermittler überzeugt

Es geht um den Sommer vor zwei Jahren, 2018. Die USA waren gerade aus dem gemeinsamen Atomabkommen ausgestiegen, neue Sanktionen drohten. Auf den Straßen Irans antworteten die Sicherheitskräfte auf die zunehmenden Proteste einer unzufriedenen Jugend und Mittelschicht mit Gewalt. In dieser Situation soll Assadollah A. von seinem Wiener Stützpunkt aus einen Anschlag auf ein Treffen von prowestlichen Iranern im europäischen Exil geplant haben, eine Gruppe iranischer Exilanten, die seit Langem auf den Sturz des Regimes hinarbeitet.

Auf Videos kann man es heute noch sehen, dieses Jahrestreffen des Nationalen Widerstandsrates Irans, NCRI, in Villepinte, einem Ort bei Paris. Man sieht eine Halle, die Tausende Menschen fasst, ein Fahnenmeer und eine Bühne mit leuchtenden LED-Bildschirmen, darüber der Schriftzug "Free Iran". Prominentester Gast der Tagung: Rudy Giuliani, der Anwalt von US-Präsident Donald Trump.

Der vermeintliche Botschaftsrat Assadollah A., davon sind die europäischen Ermittler überzeugt, handelte auf Anweisung aus Teheran. "Das Anschlagsprojekt wurde im Namen Irans geplant und von ihm angetrieben. Es handelt sich nicht um eine private Initiative von A.", so steht es in einem Vermerk des belgischen Geheimdienstes VSSE.

550 Gramm des hochexplosiven Sprengstoffs TATP soll er dafür eigenhändig im Diplomatenkoffer nach Europa geschafft haben, eine Substanz, die bei Terroristen beliebt ist, weil sie vergleichsweise leicht aus handelsüblichen Chemikalien hergestellt werden kann. Die Bombe von Assadollah A. soll aber "sehr professionell" konstruiert gewesen sein, so attestiert ein Experte der belgischen Polizei, mit einer Sprengkraft, die viele Menschen hätte töten können.

Laut der Anklage soll er dann ein junges, iranischstämmiges Ehepaar kontaktiert haben. Amir S., 40 Jahre alt, und Nasimeh N., 36 Jahre alt, leben schon lange in Belgien und besitzen auch die belgische Staatsbürgerschaft. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie schon seit mindestens 2007 für den iranischen Geheimdienst tätig waren, für insgesamt mehrere Zehntausend Euro.

Der Agentenführer und die mutmaßlichen Terrorhelfer trafen sich in Mailand, Venedig oder Salzburg

Am 28. Juni 2018 reisten die jungen Eheleute nach Luxemburg, dabei wurden sie heimlich beschattet, die belgischen Behörden hatten das veranlasst. Und in Luxemburg nun soll es zu einer Begegnung in einem Pizza-Schnellrestaurant gekommen sein. Die iranischen Eheleute trafen ihren mutmaßlichen Agentenführer, Assadollah A., mit ihm sollen sie sich in den vergangenen Jahren immer wieder in besonders malerischen europäischen Städten verabredet haben, Mailand, Venedig, Salzburg.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der vermeintliche Botschaftsrat ihnen hier die genauen Anweisungen gegeben habe. Später sollen sie Codewörter benutzt haben, wenn sie über den Anschlagsplan sprachen. Die "Playstation", so nannten sie wohl den Sprengsatz, sei mit dem "Fernseher" verbunden, meldeten die mutmaßlichen Terrorhelfer ihrem Instrukteur. Gemeint war womöglich, dass der Fernzünder angebracht worden war, den Assadollah A. ebenfalls übergeben hatte - versteckt in einem Damenkulturbeutel.

"Wir werden den Pokal gewinnen", stand in einer SMS an den Diplomaten. Der wiederum versprach, er werde persönlich dem "Agha" von der erfolgreichen Operation berichten. Das bedeutet einfach nur Herr. Die Ermittler gehen davon aus, dass damit ein hochrangiger Funktionär des iranischen Geheimdienstes oder gar der iranische Religionsführer Ali Chamenei gemeint gewesen sein könnte.

Aber stimmt das? Irans Regierung weist solche Hypothesen zurück. "Der Diplomat ist Opfer einer Verschwörung von Gruppen, die gegen die Verbesserung der Beziehungen Irans zu Deutschland und anderen europäischen Staaten sind", hat der Sprecher des iranischen Außenministeriums längst erklärt. Stattdessen hält Iran mit einer eigenen Erklärung dagegen. Es seien die prowestlichen Exiliraner selbst gewesen, die einen Anschlag auf sich inszenieren wollten. Einen Akt unter "falscher Flagge", kurz vor einem geplanten offiziellen Besuch des Präsidenten Hassan Rohani in Österreich, um Teheran zu diskreditieren; ein perfides Spiel.

Anfangs sagten die Eheleute aus, sie seien von Assadollah A. beauftragt worden

Fest steht, dass die 550 Gramm Sprengstoff in Belgien gefunden und sichergestellt wurden. Die jungen Eheleute Amir S. und Nasimeh N. waren gerade im Begriff, sich auf den Weg zu ihrem mutmaßlichen Anschlagsziel in Paris zu machen, als belgische Spezialeinheiten zugriffen und die beiden verhafteten. Anfangs zeigte sich das Paar kooperativ und sagte aus, von Assadollah A. beauftragt worden zu sein. Ihren Agentenführer aus der iranischen Botschaft in Wien hätten sie nur unter einem Decknamen gekannt: Daniel.

Sollte nun ein europäisches Gericht urteilen, dass das iranische Regime wirklich Assadollah A. mit dem Anschlag beauftragt hatte, würde dies an dunkelste Zeiten erinnern. Allein zwischen 1979 und 1994 zählte die CIA mehr als 60 versuchte und vollendete Anschläge auf Regimegegner, etliche davon in Europa. Der spektakulärste, ein Attentat auf vier iranisch-kurdische Exilpolitiker im Berliner Restaurant "Mykonos" 1992 führte fast zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und Deutschland.

Lange hofften europäische Diplomaten darauf, dass Iran inzwischen erkannt habe, dass der Preis für solche Mordaktionen zu hoch sei - und diese zumindest in Europa deshalb auch nicht ausgeführt würden. Der Fall Assadollah A. wirft die Frage auf, ob diese Annahme noch stimmt. Oder ob Teheran zu den alten, blutigen Methoden zurückgekehrt ist. Besorgniserregende Indizien dafür hat es in den vergangenen Jahren bereits gegeben. Der ehemalige SPD-Politiker und Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, war von einem iranischen Agenten ausgespäht worden. Nach Überzeugung des Berliner Kammergerichts handelte es sich dabei um Vorbereitungen für einen möglichen Anschlag.

Deutschland und seine europäischen Partner hoffen darauf, dass Atomabkommen mit Iran retten zu können - nach der Abwahl von US-Präsident Donald Trump spricht viel dafür, dass auch die neue US-Regierung unter Joe Biden sich hierfür engagieren wird. Schließlich wurde das Abkommen einst mit Zustimmung von Barack Obama abgeschlossen - Biden war sein Vize. Die ohnehin schwierigen Verhandlungen allerdings würden durch ein eindeutiges Urteil des belgischen Gerichtes sicher nicht erleichtert.

An der Autobahnraststätte "Spessart" wurde der Diplomat schließlich festgenommen

Für Assadollah A. jedenfalls endete seine Karriere als Dritter Botschaftsrat ganz glanzlos, auf der Autobahnraststätte "Spessart" zwischen Würzburg und Aschaffenburg. Der Iraner war gerade auf dem Rückweg von Luxemburg nach Wien, als bayerische Polizeibeamte ihn dort anhielten. Kurz zuvor waren schon die jungen Eheleute in Belgien verhaftet worden. Es war der 1. Juli 2018.

Die bayerischen Beamten, alarmiert durch einen europaweiten Fahndungsaufruf, ließen ihn den Kofferraum öffnen, in seinem Auto fanden sich Mobiltelefone, SIM-Karten, Hotelrechnungen, Tankquittungen - und ein rotes Notizbuch, angeblich mit handschriftlichen Anweisungen für die Bombenleger. Assadollah A. protestierte. Er genieße als Diplomat Immunität. Wovon sich die bayerischen Beamten nicht beeindrucken ließen.

Als Diplomat akkreditiert sei er vielleicht in Österreich, erklärten sie ihm. Aber nicht hier.

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