Es sei an den Syrerinnen und Syrern, sagte der iranische Präsident Massud Peseschkian am Sonntag, über die „Zukunft ihres Landes“ zu entscheiden. Ähnlich klang sein Außenminister, der erst Anfang vergangener Woche nach Damaskus gereist war, zu einem Treffen mit Baschar al-Assad. Der sprach da noch vom Kampf gegen die „Terroristen“.
Vergangene Woche, oder auch: damals, als das syrische Volk aus iranischer Sicht seine Zukunft noch nicht selbst bestimmen sollte. Der Außenminister besuchte in Damaskus anschließend noch ein Schawarmalokal. Es dürfte bis auf Weiteres das letzte Mal gewesen sein, dass er in den Genuss kam. Als es am Wochenende hieß, dass Iran seine Leute aus Syrien abziehe, konnte man ahnen, dass es mit Assad zu Ende geht.
Für das iranische Regime ist Assads Sturz eine Katastrophe. Über viele Jahre hatte die Islamische Republik in den Diktator und seine Kontrolle über das Land investiert. Seit in Syrien der Krieg ausbrach, kämpften dort Irans Revolutionsgarde, dazu proiranische Milizen, außerdem Einheiten aus afghanischen Geflüchteten, die die Mullahs von den iranischen Straßen einsammelten und nach Damaskus schickten.
Durch Irak und Syrien verliefen die Nachschubwege für alles, was Iran der Hisbollah schickte
Iran wollte unbedingt, dass Assad den Krieg gewinnt. Unter dessen Herrschaft gehörte Syrien zum iranisch geführten Bündnis, der „Achse der Widerstands“, die von Iran über den Irak und Syrien bis zur libanesischen Hisbollah reicht. Durch Irak und Syrien verlaufen beziehungsweise verliefen die Nachschubwege, über die alles nach Libanon gelangte, was Iran der Hisbollah schickte: Waffen, Geld, Raketen.
Es war diese Infrastruktur, über Jahre aufgebaut, die Israel und die USA im Laufe der vergangenen Monate immer wieder aus der Luft angriffen. Schon damit schwächten sie Irans Einfluss in Syrien und Libanon, also die Fähigkeit des Teheraner Regimes, in den Nachbarländern einzugreifen. Und das zu tun, wofür es die „Achse“ gegründet hat: seinen Einfluss zu sichern.
Ohne die iranischen Truppen und die Hisbollah wäre Assad schon viel früher gestürzt worden, wahrscheinlich zu Beginn des Krieges. Gerade die Hisbollah verlor in Syrien enorm viele Kämpfer. Und jetzt, in der Zeit nach dem 7. Oktober 2023, in der sich der Nahe Osten ganz neu ordnet, ist das Ende des Assad-Regimes ein weiterer, schwerer Schlag für Iran und sein Bündnis. Die Frage ist inzwischen, ob es dieses Bündnis eigentlich noch gibt.
Die Rebellen, die die Zukunft Syriens bestimmen dürfen, kamen in Damaskus mit einem Hass auf die Iraner an
Die Hamas, auch ein Mitglied des Bündnisses, ist in Gaza kaum noch zu Widerstand gegen Israel in der Lage. Die Hisbollah hat fast ihre gesamte Führung verloren – vielleicht hätte sie, wäre Assad nicht gefallen, sich über viele Jahre neu aufrüsten können. Wie schon früher hätte sie dafür iranische Hilfe gebraucht. Jetzt aber ist der Weg abgeschnitten: Die siegreichen Rebellen, die die Zukunft Syriens bestimmen dürfen, kamen in Damaskus mit einem Hass auf die Iraner an. Eines ihrer ersten Ziele dort war die iranische Botschaft.
Erst wenige Wochen ist es her, dass sie in der Rebellenprovinz Idlib jubelten – dort, wo nun die Offensive gegen Assad begann. Grund für den Jubel waren die israelischen Luftangriffe auf Iran. Nicht, weil die Menschen dort mit Israel sympathisierten, sondern weil sie das iranische Regime für die Zerstörung ihres Landes verantwortlich machen. Und auch weil sie glaubten, die Iraner wollten dem mehrheitlich sunnitischen Syrien ihren schiitischen Islam aufdrängen.
Heute weiß man, dass die israelischen Angriffe im Oktober dem iranischen Militär schweren Schaden zugefügt haben. Ein Großteil von dessen Luftverteidigung wurde dabei zerstört, weiteren israelischen Angriffen wäre Teheran ausgeliefert. Auch das Raketenprogramm, auf das die iranische Führung so stolz ist, wurde getroffen. Aus Teheran kamen danach zwar die üblichen Drohungen, man werde Israel bestrafen. Aber bis heute ist die Vergeltung ausgeblieben.
Iran kann Israel kaum noch in seiner Existenz gefährden, muss aber israelische Luftangriffe fürchten
Nach einem Jahr des Konflikts zwischen Iran und Israel haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Die Strategie der Islamischen Republik war es, Israel einer permanenten, existenziellen Bedrohung auszusetzen. Mit der Hamas, mit der Hisbollah und mit dem syrischen Regime, auch wenn sich Assad aus diesem Krieg herauszuhalten versuchte. Heute ist es andersherum: Iran kann Israel kaum noch in seiner Existenz gefährden; es muss aber im Gegenteil israelische Luftangriffe fürchten, gerade während der im Januar beginnenden Trump-Präsidentschaft.
Aus Teheran ist zu hören, dass sich gerade junge Mitglieder der Revolutionsgarde eine Art Sinnfrage stellen: Wofür will diese Islamische Republik denn überhaupt noch kämpfen? Zu deren Wesenskern gehörte schließlich immer der Export ihrer Ideologie. Nicht lange her, dass es darum ging, die ganze Region zu dominieren, die Golfstaaten zu überflügeln. Jetzt sind offenbar viele der Gardisten unzufrieden mit ihrer Führung. Sie ist ihnen viel zu defensiv.
Fraglich nur, was sie jetzt noch ändern könnte. Das Einzige, was ihr als Drohkulisse bleibt, ist das Atomprogramm. Iran reichert Uran an, das von Waffenfähigkeit nur Wochen entfernt wäre – so das die Staatsführung denn will. Es ist die ultimative Drohung. Dabei war gerade die Wahl des eher moderat auftretenden Präsidenten Peseschkian im Juli dazu gedacht, mit dem Westen einen neuen Atomdeal abzuschließen: keine nukleare Bewaffnung, im Gegenzug ein Ende der Sanktionen, unter denen die Wirtschaft leidet.
Die iranische Führung ist verschlossen; wie die Männer dort denken, wissen nur sie selbst. Aber man darf annehmen, dass sie nervös sind. Ein autoritäres Regime muss es verstören, wenn in der Nachbarschaft eine Diktatur fällt, noch dazu eine, mit der man verbündet war. Die Massenproteste in Iran sind erst zwei Jahre her, der Wirtschaft geht es schlecht, dazu kommt jetzt die außenpolitische Schwäche. Zwar ist das iranische Regime vielschichtiger als das syrische, es hat das Land fester im Griff. Trotzdem ist die Lage nicht stabil.
Auch in Teheran kann sich, wie in Damaskus, die Macht schon lange nicht mehr auf eine Mehrheit stützen.