Süddeutsche Zeitung

Kriegsgefahr im Nahen Osten:"Es droht ein größerer militärischer Konflikt"

Iran-Expertin Azadeh Zamirirad spricht über die Eskalation zwischen den USA und Iran, über mögliche Szenarien nach der Tötung von General Soleimani - und darüber, was Europa noch tun kann.

Interview von Oliver Das Gupta

Azadeh Zamirirad ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu Zamirirads Forschungsschwerpunkten zählen Irans Außen- und Sicherheitspolitik.

SZ: Frau Zamirirad, mit Blick auf die Tötung des Generals Soleimani sprechen manche Kommentatoren von einem Sarajevo-Moment, also von einer Situation wie 1914, als das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand in der bosnischen Hauptstadt den Ersten Weltkrieg auslöste. Was halten Sie von diesem Vergleich?

Azadeh Zamirirad: Ein Weltkriegsszenario halte ich für überzogen, aber es droht ein größerer militärischer Konflikt, der sich nicht nur auf iranischem Boden abspielen dürfte, sondern weit darüber hinaus. Wir könnten eine Situation erleben, in der Iran in vielen Teilen der Region über Verbündete aktiv wird, etwa im Libanon, in Syrien, im Irak, in Afghanistan und auch gegenüber Israel. Eine militärische Eskalation würde mit hoher Wahrscheinlichkeit weite Teile der Region erfassen.

Der Konflikt zwischen Washington und Teheran hat sich schon in den vergangenen Monaten zunehmend zugespitzt, es gab immer wieder Tote. Warum stellt der Tod Soleimanis einen entscheidenden Schritt dar?

Die sicherheitspolitische Lage hat sich am Persischen Golf kontinuierlich verschlechtert, seit die USA sich nicht mehr an die Atomvereinbarung halten. Teheran hat seit dem letzten Frühjahr mit Gegenmaßnahmen reagiert. Seither erleben wir eine schrittweise Eskalation der Lage, wobei beide Seiten versuchen, sich gegenseitig von weiteren Schritten abzuschrecken. Dass es nun einen gezielten Anschlag auf einen ranghohen iranischen Offiziellen gegeben hat, ist aus iranischer Sicht eine deutliche Grenzverschiebung. Man stelle sich vor, Teheran hätte ein Attentat auf den US-amerikanischen Verteidigungsminister oder einen anderen ranghohen Offiziellen verübt. Dabei lässt sich die Rolle Soleimanis nicht mit der eines Verteidigungsministers vergleichen. Seine Bedeutung für die iranische Sicherheitspolitik war ungleich größer als die eines iranischen Ministers. Es ist für die Teheraner Führung daher schlicht undenkbar, auf seine Tötung nicht zu reagieren.

Washington begründet die Liquidierung damit, dass Soleimani wirkmächtiger Förderer von Terrorgruppen war. Den Chef der libanesischen Hisbollah soll er erst wenige Tage vor seinem Tod in Beirut getroffen haben.

Soleimani war als Kommandeur der sogenannten Jerusalem-Brigaden für Irans geheimdienstliche und militärische Aktivitäten in der Region zuständig und hat Irans Regionalpolitik über zwanzig Jahre maßgeblich geprägt. Dabei hat er unter anderem das weite Netzwerk an nichtstaatlichen Akteuren, über das Iran in der Region verfügt, gestärkt und weiter ausgebaut. Zu diesem Netzwerk gehören unter anderem Akteure wie die Hisbollah, die Hamas und zahlreiche schiitische Milizen im Irak. Er ist dabei nicht mit leeren Händen durch die Region gereist, sondern hat Geld, Waffen und Militärberater gestellt. Und nicht nur das, er hat auch zahlreiche neue Kämpfer rekrutiert aus Pakistan, Afghanistan oder dem Irak, die in Syrien Assad den Rücken gestärkt haben.

All das steht außer Frage. Nur: Wenn Sie eine solche Figur eliminieren, ändern Sie damit noch nichts an Irans Regionalpolitik. Durch den Anschlag wurde nur ein Problem durch unzählige neue ersetzt.

Die iranische Führung kündigte Vergeltung für Soleimanis Tötung an, seine Tochter versprach den USA einen "schwarzen Tag". Gibt es eine absehbare Inkubationszeit für die Eskalation?

Nein. Vermutlich wird es auch keinen einzelnen Gegenschlag geben, sondern Teheran wird eher eine Reihe verschiedener Mittel und Instrumente nutzen und zu unterschiedlichen Zeiten aktiv werden. Iran hat hier viele Möglichkeiten: Von Cyber-Attacken über Raketenangriffe bis hin zu Anschlägen auf US-Soldaten beispielsweise durch verbündete Milizen. Irak und Afghanistan könnten zu wesentlichen Schauplätzen der Auseinandersetzung werden. Denkbar ist auch, dass die iranische Führung dabei mit Gegenmaßnahmen wartet, bis der US-Präsidentschaftswahlkampf in die heiße Phase geht, um so möglicherweise einen größeren Effekt zu erzielen und noch mehr Druck auf Donald Trump ausüben zu können. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass der iranische Sicherheitsapparat über einen langen Atem verfügt.

Das Atomabkommen dürfte mit der jüngsten Entwicklung nun endgültig Geschichte sein, oder?

Noch ist das Atomabkommen nicht tot. Die iranische Führung hat angekündigt, dass sie quasi keine Obergrenze mehr für die Installation von Zentrifugen anerkennt. Wenn man sich nun alle Schritte ansieht, die Teheran in den letzten Monaten angekündigt hat, dann bedeuten sie zusammengenommen, dass Iran sich nicht mehr an technische Einschränkungen seines Atomprogramms gebunden fühlt. Der Bereich der Verifikation, der für das Abkommen so wichtig ist, ist dabei bislang nicht betroffen. Das heißt, dass Teheran auch weiterhin mit der Internationalen Atomenergiebehörde zusammenarbeiten will. Damit steht Irans Atomprogramm weiterhin unter internationaler Kontrolle. Solange das der Fall ist und Teheran keine praktischen Schritte unternimmt, die den Bau einer Bombe drastisch beschleunigen könnten, hat das Abkommen noch einen Mehrwert, auch wenn es immer schwerer wird, es überhaupt noch zu halten.

Bundeskanzlerin Merkel, Frankreichs Staatschef Macron und der britische Premierminister Johnson haben gemeinsam zur Deeskalation aufgerufen. Ihre Erklärung besteht aus defensiven Formeln, sie wirkt geradezu passiv. Ist Europa derzeit wirklich so machtlos?

Das letzte Statement dürfte eher dazu beitragen, dass Europa noch weiter an Glaubwürdigkeit und damit auch Einfluss verliert. Die Rolle der USA wird in der Erklärung mit keinem Wort erwähnt. Europäische Akteure können schlecht als Vermittler auftreten, wenn sie allein Iran in den Fokus des Konflikts stellen, ohne offen zu thematisieren, auf welcher Weise beide Seiten zur Eskalation beigetragen haben. Die Europäer haben in den letzten Monaten viele Chancen verpasst, effektiv zu handeln. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir uns jetzt der Verantwortung entziehen. Es gibt nach wie vor Möglichkeiten, aktiv zu werden.

An welche Möglichkeiten denken Sie?

Zunächst wäre es wichtig, klarzustellen, inwieweit der Angriff auf Soleimani, bei dem ja auch irakische Offizielle getötet wurden, völkerrechtlichen Standards standhält. Die Europäer sollten sich in dieser Frage deutlich positionieren und sich im Falle einer militärischen Eskalation weder direkt noch indirekt an einer kriegerischen Auseinandersetzung beteiligen. Auf der anderen Seite sollten die Europäer ihre diplomatischen Kapazitäten mit anderen Staaten bündeln, um überhaupt noch eine Chance darauf zu haben, beschwichtigend auf Iran einzuwirken. Dabei sollten sie auch auf regionale Akteure wie Irak, den Oman oder selbst Irans Rivalen Saudi-Arabien zugehen. Irans Nachbarn haben kein Interesse an einer Eskalation. Alle wissen: Im Falle eines Krieges wird die gesamte Region zu den Leidtragenden gehören.

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