Süddeutsche Zeitung

Iran:Schüsse  in die Menschenmenge

Die wenigen Bilder, die aus Iran ins Ausland dringen, belegen: Die Niederschlagung der Proteste war brutal.

Von Paul-Anton Krüger

Von einer "süßen Erfahrung" sprach der Freitagsprediger von Teheran. Was der einflussreiche Hardliner Ayatollah Ahmad Chatami meinte, war die Niederschlagung der Proteste gegen die Benzinpreiserhöhungen. Deren Rädelsführer hätten die Todesstrafe verdient, rief er, und auch alle anderen Demonstranten, die von ausländischen Verschwörern als Marionetten geführt worden seien. Zugleich forderte er, die Regierung solle den Zugang zum Internet nicht vollständig wieder herstellen.

Zumindest in Teilen der Hauptstadt und in einigen Provinzen Irans konnten die Menschen am Freitag wieder Verbindung mit der Außenwelt aufnehmen, nachdem der Sicherheitsapparat das Internet seit vergangenem Samstag fast komplett blockiert hatte. Allerdings erreichte der Online-Verkehr nur 15 Prozent des normalen Niveaus. Die Regierung hatte Internetanbietern am Donnerstag erlaubt, bestimmten Nutzern wieder Zugang zu gewähren, darunter staatliche Institutionen, Firmen und religiöse Einrichtungen, sofern diese eindeutig zu identifizieren sind. Ausgenommen sind Regionen, in denen die Unruhen heftig waren und womöglich noch andauern, darunter die an den Irak grenzende Provinz Khuzestan am Persischen Golf, die Großstadt Schiraz und die Trabantenstädte um Teheran und in der angrenzenden Provinz Alborz.

Aus Iran dringen inzwischen neue Videos nach außen, die brutales Vorgehen des Sicherheitsapparates gegen Demonstranten dokumentieren. In etlichen Aufnahmen ist zu sehen, wie Polizisten mit scharfer Munition in Menschenmengen schießen. Auch gibt es Aufnahmen, die zeigen, wie Männer in normaler Bekleidung Demonstranten attackieren. Das deckt sich mit Berichten von Iranern, laut denen Mitglieder der Freiwilligenmiliz der Bassidsch sich an der Niederschlagung beteiligten. Die Bilder lassen sich nicht im Einzelnen verifizieren, stimmen aber mit Berichten von Gewährsleuten in Iran überein.

Überdies berichten Iraner, dass die Welle der Repression unvermindert anhält. So würden weiterhin Menschen verhaftet, die beschuldigt würden, sich an den Protesten beteiligt zu haben. Auch zeige der Sicherheitsapparat in der Öffentlichkeit weiter massiv Präsenz. Zivil gekleidete Mitglieder der Bassidsch sollen in Teheran auf das Gelände der Universität vorgedrungen sein und dort Dutzende Stundenten festgenommen haben, hieß es weiter. Auch soll der Sicherheitsapparat Verletzte aus den Krankenhäusern geholt haben. Angehörige von Getöteten beklagten zudem, die Behörden würden die Leichen nicht zur Bestattung freigeben.

Eine offizielle Opferzahl gibt es nach wie vor nicht, auch keine Angaben darüber, wie viele Menschen verletzt oder festgenommen wurden. Menschenrechtler gehen davon aus, dass mindestens 130 Menschen getötet wurden, zumindest sind in so vielen Fällen nähere Details bekannt. Die tatsächliche Zahl könnte aber weitaus höher liegen. Laut der New York Times, die sich auf mehrere Ärzte beruft, waren die Krankenhäuser überfüllt mit Verletzten.

Die Proteste waren am Freitag voriger Woche ausgebrochen, nachdem die Regierung in der Nacht verkündet hatte, dass subventioniertes Benzin rationiert wird und die Preise stark steigen. Das löste etwa in den Vorstädten von Teheran wütende Reaktionen aus; von dort müssen viele Menschen zur Arbeit ins Zentrum pendeln.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2019
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