IranDer Krieg ist vorbei, die Diktatur noch da

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In iranischen Städten – hier in Teheran – sind Polizei und andere Sicherheitskräfte derzeit offenbar deutlich präsenter als vor dem Krieg.
In iranischen Städten – hier in Teheran – sind Polizei und andere Sicherheitskräfte derzeit offenbar deutlich präsenter als vor dem Krieg. (Foto: Majid Asgaripour/Wana/Reuters)

Die Angriffe haben Teheran zugesetzt, viele hofften sogar auf einen Sturz des Regimes. Nun wollen die Mullahs erst recht zeigen, dass sie das Land noch im Griff haben – mit vollstreckten Todesurteilen und  hunderten Festnahmen.

Von Raphael Geiger, Istanbul

In Iran sind die Menschen seit Dienstag wieder vor Bomben der israelischen Luftwaffe sicher, vor der eigenen Führung sind sie es nicht. Gerade in diesen ersten Tagen nach dem Krieg will das Regime offenbar zeigen, dass jede Hoffnung auf Wandel in dem Land vergebens ist. Über ihre offiziellen Kanäle, die regimetreuen Medien, lässt die Islamische Republik verbreiten, wie sie gegen Bürgerinnen und Bürger vorgeht, die angeblich israelische Spione sind.

Von etwa 700 Festnahmen ist die Rede, sie alle sollen mit einem israelischen Spionagenetzwerk zu tun gehabt haben. Erst vor wenigen Tagen hatte das iranische Parlament härtere Strafe bei Spionage oder „Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen“ beschlossen. Kurz zuvor war bereits ein Mann hingerichtet worden, dem das Regime vorwarf, er habe für Israel spioniert.

Hinrichtungen während des Kriegs als Signal der Härte

Esmail Fekri war schon länger inhaftiert gewesen, das Todesurteil gegen ihn soll dem „Center for Human Rights in Iran“ zufolge nach einem zehnminütigen Prozess gefallen sein. Ein Anwalt war ihm nicht erlaubt worden. Eine andere Menschenrechtsorganisation, die von Norwegen aus arbeitende „Iran Human Rights“, spricht daher nicht von einer Hinrichtung, sondern von einer „außergerichtlichen Tötung“. Der Zeitpunkt der Hinrichtung, während des Kriegs mit Israel, sollte vom eigenen Volk wohl als Signal der Härte verstanden werden.

Auf Fekris Hinrichtung folgten bis heute fünf weitere, von denen die Öffentlichkeit erfahren hat. Allein am Mittwoch ließ das Regime in der Stadt Urmia nahe der türkischen Grenze drei Männer hängen, auch sie saßen seit fünf Jahren im Gefängnis. Auch in ihrem Fall dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass die Islamische Republik sie gerade jetzt tötete. Und auch ihnen warf die Justiz vor, für Israel gearbeitet zu haben – das erfülle den Tatbestand der „Korruption auf Erden“, den iranische Richter oft heranziehen, wenn sie Menschen verurteilen wollen. Er erlaubt die Todesstrafe.

Oft traf diese Anklage zuletzt Iranerinnen und Iraner, die an den Protesten im Jahr 2022 teilgenommen hatten. An jenem landesweiten, monatelangen Aufstand, der das Land erfasste, nachdem eine junge Frau gestorben war, die von der Sittenpolizei festgenommen worden war: Jina Mahsa Amini. Einige Demonstranten, die zuletzt nicht mehr inhaftiert gewesen waren, wurden jetzt erneut festgenommen. Ein Indiz dafür, dass das Regime verhindern will, dass es zu neuen Protesten kommt.

Festgenommen wurde auch der bekannte Rapper Toomaj Salehi, der erst im Dezember freigekommen war. Zuvor hatte die Justiz das Todesurteil gegen ihn aufgehoben. Seit vergangener Woche sitzt er wieder in Haft. Ebenso Danial Moghaddam, auch er ein Rapper, der schon früher in Haft saß.

Schon das Teilen von Videos der israelischen Luftangriffe reicht für eine Festnahme

Viele der Festgenommenen traf es wegen Posts in den sozialen Medien, die das Regime als proisraelisch wertet – und damit als Verrat. Schon das Teilen von Videos der israelischen Angriffe hatte der Innenminister während des Kriegs als Grund genannt, jemanden festzunehmen. Es reicht sogar, in den sozialen Medien einem Account zu folgen, den das Regime als proisraelisch wertet – oder auch schlicht nur als oppositionell. Die israelischen Luftangriffe haben dem Apparat einen neuen Vorwand geliefert, gegen Kritikerinnen und Kritiker vorzugehen.

Jetzt, während der vorläufigen Waffenruhe, demonstriert das Regime seine Macht besonders deutlich: Aus den iranischen Städten berichten Augenzeugen, dass die Polizei und andere Sicherheitskräfte deutlich präsenter seien als vor dem Krieg. Die Festnahmen und Hinrichtungen sind das eine; auch im Straßenbild soll kein Zweifel aufkommen, wer dieses Land beherrscht.

Neben den Bombenangriffen ist es also die Angst vor Repressionen, derentwegen sich in Iran in den vergangenen Tagen keine neue Protestbewegung formiert hat. Daran konnten auch Israels Premier Netanjahu und Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, nichts ändern. Beide hatten die Iranerinnen und Iraner aufgerufen, den Moment für eine neue Revolution zu nutzen. Beide waren allerdings entweder noch nie oder seit Jahrzehnten nicht mehr in Iran.

Sehr gefährlich war es für Regimegegner schon vor dem Krieg

Nach den Protesten vor drei Jahren hatte das Regime den Menschen zwar etwas mehr Freiheiten gelassen – zumindest im Alltag. Es setzte unter anderem den Kopftuchzwang nicht mehr so rigide durch wie zuvor, wohl aus der Sorge heraus, eine härtere Linie würde das Volk wieder auf die Straße treiben. Währenddessen blieb aber die ständige Drohung des Regimes, jeden, der sich zu sehr exponiert, zu Hause abzuholen und etwa ins Evin-Gefängnis im Norden von Teheran zu stecken. In der berüchtigten Haftanstalt sitzen viele politische Gefangene ein.

Auch die Bereitschaft des Regimes, Menschen hinzurichten, hat in den vergangenen Jahren nicht nachgelassen – im Gegenteil. Die Zahl der Exekutionen ist seit den Protesten von Jahr zu Jahr gestiegen. Im Jahr 2024 zählte „Iran Human Rights“ 975 Hinrichtungen, unter den Getöteten waren demnach mehr als 30, denen „Krieg gegen Gott“ oder „Korruption auf Erden“ vorgeworfen wurde. In den ersten Monaten dieses Jahres war die Zahl der Hinrichtungen bereits größer als im Vorjahreszeitraum. Gemessen an der Bevölkerung kommt kein Land der Welt auf mehr Hinrichtungen als Iran.

Nun richtet sich der Druck des Regimes mit neuer Intensität gegen ein Volk, das gerade einen Krieg erlebt hat. Und den israelischen Bomben fielen bei Weitem nicht nur Generäle und andere Vertreter des Regimes zum Opfer. Die Angaben zu Todesopfern unterscheiden sich, aber klar ist, ihre Zahl liegt im hohen dreistelligen Bereich. Gerade in Teheran, der Hauptstadt, lehnt eine deutliche Mehrheit die Islamische Republik ab. Israels Kampfjets dürften dort also so einige Gegner des Regimes getötet haben. Die Überlebenden leiden weiter unter derselben Diktatur wie zuvor.

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