Süddeutsche Zeitung

Iran:Reformer, Kleriker oder Boykott?

Lesezeit: 4 min

Am Freitag wählen die Iraner einen neuen Präsidenten. Amtsinhaber Rohani muss um seine Position bangen.

Von Paul-Anton Krüger, Teheran/Maschhad

Revolutionäre Lieder schallen durch den Hinterhof an der Valiasr-Straße in Teheran. An der Wand ein riesiges Transparent, darauf der gemäßigt-konservative Präsident Hassan Rohani und die Helden der Reformer, Ex-Präsident Mohammed Chatami und Haschemi Rafsandschani, Strippenzieher der iranischen Politik. Er ist im Januar gestorben, und Chatamis Bild dürfen die Medien nicht zeigen, seine Worte nicht publizieren. Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der Hinterhof wird überragt von der Zentrale der staatlichen Nachrichtenagentur Irna, von den Konservativen kontrolliert, genau wie Staatsfernsehen und Freitagspredigten.

Auf weißen Plastikstühlen haben sich Dutzende Anhänger Rohanis versammelt, die am Freitag auf seine Wiederwahl hoffen - eine Richtungsentscheidung zwischen seinem Öffnungskurs und der Rückkehr der Konservativen. Sie polarisiert Iran wie nichts seit der Niederschlagung der Grünen Revolution 2009. Der Ausgang ist offen, alle Umfragen unzuverlässig und unklar auch, wie viele Iraner überhaupt zur Wahl gehen werden. Die Menschen im Hinterhof werden abstimmen, sie essen Granatapfel-Eis und warten auf die Redner.

Said Schahriati, ein Reformer, der im Gefängnis saß, ruft zur Geduld auf: Rohani habe eine katastrophale Situation geerbt, als er Mahmud Ahmadinedschad ablöste. Er habe das Atomabkommen ausgehandelt, die Beziehungen zur Welt verbessert, nun soll eine zweite Amtszeit die wirtschaftlichen Früchte seiner Politik bringen. Shirin Tabatabai, 47 und Hausfrau, sieht das genauso. Sie trägt einen grünen Jade-Armreif, die Farbe der Reformer, dazu ein lila Band, Rohanis Zeichen. Sie ist zusammen mit ihrer Tochter, 22, gekommen. "Wir müssen ihm Zeit geben", sagt Tabatabai. "Wir wollen nicht zurück in die dunklen Zeiten." Sie meint die Ära Ahmadinedschad, der das Land in die Isolation führte und aus ihrer Sicht schuld ist an der schwierigen Wirtschaftslage. "Wir haben uns so geschämt", sagt sie. Rohani habe dem Land wieder Geltung verschafft.

"Und er setzt sich für die Frauen ein", sagt die Tochter, Mina Raschidi, die Wirtschaft studiert. Rohani hat ein Gesetz ins Parlament gebracht, das Frauen zu hohen politischen Ämtern zulassen sollte. Und eines, das ihnen die Scheidung erleichtert und Männern erschwert hätte, eine zweite Frau zu nehmen. Beide hat der Wächterrat kassiert. Er prüft neben allen Gesetzen auch die Kandidaten für Wahlen auf ihre "Vereinbarkeit mit dem Islam" - vielmehr dessen konservative Auslegung, die der Oberste Führer Ali Chamenei vorgibt und die die Schlüsselfiguren in Justiz und im Sicherheitsrat mittragen, alles alte Männer.

"Wir wollen reisen, mit der Welt in Kontakt stehen"

Mina Raschidi fürchtet, dass die kleinen Freiheiten wieder dahin sind, wenn der konservative Kleriker Ebrahim Raisi gewinnt, der nach dem Rückzug des Teheraner Bürgermeisters Mohammed Baqer Qalibaf der einzige, aber sehr ernst zu nehmende Gegner Rohanis aus dem konservativen Lager ist. Sie bangt um den Zugang zu sozialen Medien, die Millionen Iraner als Mittel der Kommunikation und Meinungsäußerung nutzen. Um die Tatsache, dass die Sittenpolizei Frauen weniger schikaniert. Rohani wirft Raisi vor, er wolle nach Geschlechtern getrennte Gehwege einführen. "Das wollen wir nicht", sagt die Studentin, "und nicht die Tod-Amerika-Sprechchöre. Wir wollen reisen, mit der Welt in Kontakt stehen."

Rohani wirbt um Frauen - und um die Stimmen der etwa sieben Millionen Sunniten, einer Minderheit in der Islamischen Republik, deren Staatsreligion der schiitische Islam ist. Seine Gegner machen ihm schon das zum Vorwurf.

Auf einer Straße in Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, werben junge Männer für Ebrahim Raisi. In Sichtweite: die goldene Kuppel des Schreins von Imam Reza. Der Kleriker Raisi leitet die mächtigste religiöse Stiftung Irans, Astan Quds Rezavi, die den Schrein verwaltet. Das Grab des Imams ist mit 30 Millionen Pilgern im Jahr die wichtigste religiöse Stätte in Iran.

"Er hat so etwas Heiliges", sagt Mohammad Mohazab, 27, einer der Männer. Raisi trägt als Abkömmling der Familie des Propheten den schwarzen Turban. Das zieht konservative Wähler an. "Er wird den Werten des Islam wieder Geltung verschaffen, sagt Mohazab. Raisi kündigt an, er werde zeigen, dass man "ein Land mit Religion führen kann". Tief sitzt bei seinen Anhängern das Gefühl, beim Atomdeal vom Westen betrogen worden zu sein - wieder einmal. "Wir haben euch vier Jahre lang vertraut. Und was haben wir bekommen?", fragt Mohazab.

Zwar ist die Wirtschaft dank der Ölexporte um 6,8 Prozent gewachsen, die Inflation erstmals seit 25 Jahren einstellig. Zugleich aber stieg die Arbeitslosigkeit auf 12,7 Prozent, der höchste Wert seit drei Jahren. Ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung von 31 Millionen Menschen gilt als unterbeschäftigt. Wer mehr als eine Stunde im Monat arbeitet, gilt nicht als arbeitslos. Sicherheit bieten nur die 8,7 Millionen Jobs beim Staat. Für viele der jungen Menschen sind sie unerreichbar - ohne gute Beziehungen.

Etliche junge, liberale Menschen wollen ihre Stimme diesmal nicht abgeben

Die Wirtschaft ist das Thema des Wahlkampfs. Mohazab glaubt nicht, dass Investitionen aus dem Ausland Arbeitsplätze bringen. Der Westen wolle Iran nur ausnutzen und schwach halten, sagt er. "Wir müssen uns auf unsere Stärke besinnen - unser Nuklearprogramm und unsere Raketen." Raisi fordert wie der Oberste Führer eine "Widerstandswirtschaft", die sich abkoppelt von den Weltmärkten und auf Autarkie zielt. Zugleich verspricht er, Direktzahlungen für die Armen massiv zu erhöhen, auch das treibt ihm Wähler in die Arme.

Viele Iraner allerdings glauben, dass ihre Stimme keinen Unterschied macht. "Sie sind alle Diebe und Verbrecher", sagt ein Mann in Maschhad, und schimpft über die grassierende Korruption. Er wird deshalb nicht zur Wahl gehen. Wie viele seiner Landsleute sammelt er mit seinem Auto Mitfahrer am Straßenrand ein, um nebenher ein bisschen Geld zu verdienen. Auch etliche der jungen, liberalen Menschen in Teheran wollen ihre Stimme diesmal nicht abgeben. "Wenn du wählst, stimmst du immer für das System", sagt ein 24-jähriger Designer in einem angesagten Café im Norden der Stadt. Der Oberste Führer Chamenei habe gesagt, wichtig sei, seine Stimme abzugeben - nicht für wen man sie abgebe oder wer die Wahl gewinne. Für den Designer heißt das: Ändern wird sich so oder so nichts.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2017
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