Süddeutsche Zeitung

Iran:Die Mutigen und die Verzweifelten

Die Journalistin Golineh Atai porträtiert Frauenrechtlerinnen aus Iran. Was lässt die Frauen, die vom Regime stark bedroht oder eingesperrt werden, auf eine bessere Zukunft hoffen?

Von René Wildangel

Das Titelbild von Golineh Atais Buch spricht Bände: Es zeigt eine von der jungen Teheraner Künstlerin Rahele Mahouti wie eine Superheldin gestaltete Frau mit erhobener Faust, die entschlossen in die Ferne blickt. Es ist ein Denkmal. Und eine Reverenz vor jenen Frauen, die seit 2017 aus Protest gegen den Schleierzwang mitten in Teheran ihr Kopftuch ausgezogen haben. Drei von ihnen porträtiert Atai später im Kapitel "auf der Bühne der Freiheit".

Wohl kein Land vereinigt beim Thema so viele Widersprüche in sich wie Iran: Von außen nicht selten mit Klischees beladen und zu Opfern stilisiert, führen Irans Frauen seit vielen Jahrzehnten - lange vor 1979 - einen Kampf für ihre Gleichberechtigung und die Rechte und Freiheit aller Iraner. Laut Gesetz ist die Kopfbedeckung Zwang, aber auf der Straße werden die Vorschriften liberal ausgelegt - was regelmäßig mit großer Brutalität seitens der Sicherheitskräfte (für Frauen reine Unsicherheitskräfte) unterbunden wird. Iranische Gesetzgebung bedeutet systematische Diskriminierung von Frauen, zugleich ist die Mehrheit der Studierenden an den Universitäten weiblich.

In sieben Kapiteln porträtiert Golineh Atai Frauenrechtlerinnen und ihre Familien. Das liest sich wie mitreißende Reportagen, obwohl die erfahrene Auslandskorrespondentin (bisher ARD, seit Januar beim ZDF) Atai aufgrund ihres Engagements für Menschenrechte das Land selbst nicht bereisen kann. So führte sie seit Herbst 2020 die meisten Gespräche in Iran per Videochat. Nur einige der Frauen, die im Exil leben, konnte sie dort besuchen. Mit der prominenten, seit Jahren inhaftierten Menschenrechtlerin Atena Daemi kommunizierte sie schriftlich.

Atai kreiert ein lebendiges Bild dieser Frauen und ihrer Familien, das ebenso beeindruckend wie deprimierend zu lesen ist. Dabei werden grundlegende Zusammenhänge über Politik und Religion in der Islamischen Republik vermittelt, sodass auch Leser ohne Vorwissen viel über Iran erfahren.

Fatemeh Sepehri nimmt auch Folter in Kauf

Im Mittelpunkt steht aber der unbändige Mut der Frauen und ihrer Familien. Sie alle einen die Enttäuschung und Wut über die Islamische Republik und der Wille, dem etwas entgegenzusetzen. Oft entspringt ihr Mut der Weigerung, die fortlaufenden Ungerechtigkeiten, die Korruption und Doppelmoral der Regierung, die sich auf Kosten des Volkes bereichert, hinzunehmen.

So wie bei Fatemeh Sepehri, gläubige Tochter eines Geistlichen aus Maschhad, Witwe eines Märtyrers aus dem Iran-Irak-Krieg - eigentlich eine Frau wie aus dem Bilderbuch der Islamischen Republik. Aber nachdem ihr Mann gefallen ist, wird ihr das Erbe verweigert. Als sie einfordert, was einst die Islamische Revolution versprochen hatte - ein Ende von Korruption und Ungleichheit - wird sie bedroht. Sie ist nicht bereit, ihre Entmündigung zu akzeptieren.

Schließlich fordert sie die Abschaffung der Islamischen Republik und den Rücktritt des Geistlichen Führers: natürlich, eine aus Sicht des Regimes ungeheuerliche und unzulässige Forderung, mit der sie Haft und Folter nicht nur riskiert, sondern in Kauf nimmt. So könne sie zumindest vom kostenlosen Strom und Wasser profitieren, den einst der islamische Revolutionär Khomeini versprochen habe, spottet sie.

Zu den weiteren Porträtierten zählen auch Maryam und ihre Mutter, die durch die grüne Protestwelle 2009 geprägt worden waren. Maryam sucht nach ihrem verschwundenen Bruder Mostafa. Zunächst leugnen die staatlichen Stellen, dass sie für seinen Tod verantwortlich sind. Dann verweigern sie erst die Herausgabe des brutal zugerichteten Leichnams, schließlich eine würdevolle Bestattung.

Die Familie wird fortlaufend erniedrigt, die Grabstätte geschändet. Ihre Mutter wird als "Mama Schahnaz" später anderen Eltern Trost spenden und für den Kampf um die Würde ihres Sohnes selbst im Gefängnis landen. Familien, wie die der prominenten Anti-Todesstrafen-Aktivistin Atena Daemi stehen sowieso mit einem Bein im Gefängnis, werden schikaniert und von Teilen der Gesellschaft wie Aussätzige behandelt.

Die Regierung hält den Druck ständig aufrecht

Besonders interessant ist ein Exkurs über die Lage in den sunnitischen Rändern Irans in der Provinz Sistan und Belutschistan. Sahra stammt aus der Hauptstadt Zahedan und ist eine geschiedene Ingenieurin, die als Journalistin ein neues und freies Leben führt, bis sie aufgrund ihrer sozialkritischen Berichte aus den ärmsten Provinzen ins Fadenkreuz der Behörden rückt. Um eine Gefängnisstrafe abzuwenden, stimmt sie nach starken Drohungen schließlich zu, keine öffentliche Kritik mehr zu äußern. Nicht jede kann im iranischen System der perfiden Mischung aus Druck, Folter, Korruption und Spitzeln standhalten. Und für viele bleibt nur das Exil.

Eine Mischung aus tiefer Verzweiflung mit Blick auf das aktuelle politische System, zugleich aber unerschütterlichem Glauben an die Möglichkeit zur Veränderung, wann auch immer, eint alle Porträtierten. Obwohl sie sich von der Welt und insbesondere vom Freiheit predigenden Westen alleingelassen fühlen. Gab es 2009 noch eine große, weltweite Aufmerksamkeit für die Proteste in Iran, sind die Schicksale der Menschenrechtlerinnen heute weitgehend verdrängt. Wenn überhaupt, schaffen es nur noch die Atomgespräche in die Schlagzeilen. Für Atai eine fatale Situation.

Auch ein moderater Präsident brachte keine Reformen

Was ebenfalls alle Frauen eint, ist die Enttäuschung, teils der Hass auf die Reformer. Die grüne Protestwelle von 2009, angeführt von Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi, gilt als letzte glaubwürdige politische Bewegung für Reformen. Sie sind bis heute nicht von ihren Positionen abgerückt und stehen unter Hausarrest.

Spätestens nach den frustrierenden Erfahrungen der vergangenen Jahre unter dem angeblich "moderaten" Präsidenten Hassan Rohani haben sich die meisten Iraner aber von der Idee der Reform verabschiedet. Die Wahlbeteiligung bei den jüngsten Wahlen, mit knapp 49 Prozent niedriger als je zuvor in der Islamischen Republik, spricht Bände. Das geht so weit, dass manche Aktivistinnen sogar die Politik des "maximalen Drucks" von Donald Trump guthießen.

In Atai regt sich Widerspruch, aber sie fragt: Wer bin ich, das zu verurteilen, wenn es der Stimmung im Land entspricht? Sie beobachtet eine rasante Entfremdung iranischer Menschenrechtler von den vermeintlich differenzierteren, aber auch bequemen Analysen im Westen. Es ist Atais Verdienst, die Stimmen der Aktivistinnen in einem lesenswerten und eindringlichen Buch zu versammeln. Ihre Message ist klar: nicht die Regierung, sondern diese Menschen haben unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient.

Schon in der Einleitung nimmt die Autorin Bezug auf ihre eigene Geschichte. Ihr Mutter traf einst die Entscheidung, Iran zu verlassen, damit die Tochter nicht mit der Unfreiheit aufwachsen muss, für die der Schleier nur ein Symbol ist. Dafür hatte nicht jeder Verständnis, ein Teil der Familie verweigert sogar den Abschied aus dem geliebten Land. Nur Tage nach der gelungenen Ausreise begann 1980 der Iran-Irak-Krieg. Golineh Atais Buch endet mit dem Satz "Eines Tages werde ich wieder im Iran sein." Eine Hoffnung, die Menschen mit iranischen Wurzeln in der ganzen Welt bewegt. Es ist noch nicht zu spät.

René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.

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