Iran:Proteste weiten sich aus

Iran: In der Hauptstadt Teheran gehen die Proteste am vergangenen Wochenende unvermindert weiter.

In der Hauptstadt Teheran gehen die Proteste am vergangenen Wochenende unvermindert weiter.

(Foto: AFP)

Inzwischen solidarisieren sich wohl auch Arbeiter der Öl- und Gasindustrie mit den iranischen Demonstrierenden. Das könnte lebensbedrohlich für das Regime sein. Die EU einigt sich nun auf Sanktionen.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

In Iran hält das Kräftemessen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften an. Angeführt von Frauen demonstrieren weiter Zehntausende. Ausgelöst wurden die Unruhen ursprünglich durch den Tod einer jungen Frau, die Mitte September von der Sittenpolizei festgenommen worden war und ums Leben gekommen war. Inzwischen richten sich die Proteste aber gegen das islamistische Regime selbst. Sie haben fast das gesamte Land erfasst und sind zu einer der schwersten Herausforderungen der Islamischen Republik in den vier Jahrzehnten ihrer Existenz geworden. Auch wenn sie noch nicht als systembedrohend gelten, könnten sie es werden: Inzwischen solidarisieren sich Arbeiter der Öl-und Gasindustrie.

Unterdessen wurde in Kreisen von Diplomaten bestätigt, dass sich die EU auf Sanktionen gegen Iran geeinigt hat, sie sollen am Montag bei einem Treffen in Luxemburg beschlossen werden.

Nicht ohne Grund drosselten die Behörden in Iran nach Angaben der Netzschutz-Organisation Net Blocks vor dem Hintergrund neuer Protestaufrufe das Internet erneut drastisch. "Dieses Vorgehen dürfte die Kommunikation und die Organisation von Protesten erschweren", erklärte Net Blocks: Die Protestierenden organisieren sich über die sozialen Medien. Zudem gab es erneut Berichte über das Vorgehen der Sicherheitskräfte, die nicht nur Schlagstöcke, Elektroschocker und Schrot einsetzen, sondern auch scharf schießen. Vor allem im kurdischen Landesteil war die Lage angespannt. Dorthin sollen laut AP in großer Zahl Sicherheitskräfte und Gerät verlegt worden sein.

Die in Oslo angesiedelte Menschenrechtsorganisation "Iran Human Rights" hatte zuletzt die Zahl von 201 Opfern genannt. Unklar war, ob darunter auch ums Leben gekommene Sicherheitskräfte waren. Nach staatlichen Angaben sind bereits mehr als 20 Polizisten getötet worden. Auslöser der Proteste, die am 16. September begonnen hatten, war der Tod von Mahsa Amini gewesen. Sie war bei einem Besuch der Hauptstadt Teheran wegen eines angeblich zu freizügig getragenen Kopftuchs von der Sittenpolizei auf der Straße angehalten und offenbar geschlagen worden. Sie fiel ins Koma und starb drei Tage später, am 16. September, in einer Klinik.

Offiziell ist die Todesursache ungeklärt. Während die Familie von Hirnverletzungen durch Schläge spricht, bestreitet das Innenministerium dies. Auch eine forensische staatliche Untersuchung schloss Gewalt aus. Auf medizinischen Aufnahmen, die aus dem Krankenhaus stammen und Aminis Kopf zeigen sollen, waren aber Hirn-Traumata zu erkennen.

Um die Proteste nach außen abzuleiten, werden iranisch-kurdische Rebellen im Irak angegriffen

Besonders heftig sind die Unruhen in den Kurdengebieten des Landes: Mahsa Amini war Kurdin. Ihr Vater hatte die Vorwürfe unter anderem in einem BBC-Interview wiederholt. Auch ihr Bruder, der Zeuge der Festnahme war, sprach davon, dass seine Schwester mit dem Kopf gegen einen Polizeiwagen gestoßen worden war.

Offenbar um die Wucht der Proteste nach außen abzuleiten, griffen iranische Truppen erneut Lager iranisch-kurdischer Rebellen im Nachbarland Irak mit Raketen und Artillerie an. Die Regierung behauptet, dass die Proteste von "ausländischen Kräften" angeheizt würden. Das Regime hatte schon bei früheren Unruhen behauptet, diese trügen die Handschrift der USA. Innenminister Ahmad Wahidi sagte nun: "Unsere Feinde glauben, dass sie mit der Unterstützung der Proteste einen politischen Umsturz erreichen können. Aber dieser Gedanke ist dumm, weil sie nichts über das Land wissen."

Dass sich Frauen an die Spitze der Protestbewegung gesetzt haben, zu deren ikonischen Kennzeichen das abgenommene Kopftuch und abgeschnittene Haare zählen, muss das Regime nervös machen. Gewaltsam gegen Frauen vorzugehen wirkt noch brutaler, als sich die Sicherheitskräfte früher gezeigt haben. Besonders beunruhigend für die Herrschenden muss es sein, dass die Demonstrationen alle ethnischen und religiösen Gruppen ergreifen und die Proteste von Menschen aller Gesellschaftsschichten getragen werden.

Auch Teile der Basarhändlerschaft haben sich dem Protest angeschlossen. Arbeiter der iranischen Öl- und Gasindustrie sollen sich inzwischen ebenso solidarisieren. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete von Streiks in der Abadan-Raffinerie im Südwesten und in einem am Persischen Golf gelegenen Gaswerk in Assaluyeh. Sollten sich diese unbestätigten Berichte bewahrheiten, wäre dies bedrohlich für das Regime: Die Rohstoff-Industrie ist lebenswichtig.

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