Süddeutsche Zeitung

Nach wochenlangen Demonstrationen:Irans Präsident kündigt "Überprüfung von Gesetzen" an

Der Schritt wirkt wie eine Reaktion auf die Proteste, die auch nach brutalen Polizeieinsätzen nicht aufhören. Ein Vorfall bringt die Behörden zusätzlich in Erklärungsnot: Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Polizist einer Frau an den Po fasst.

Wegen der seit Wochen anhaltenden Proteste im ganzen Land gerät die iranische Regierung immer stärker unter Druck. Nun sieht sich Präsident Ebrahim Raisi offenbar zu einer Reaktion gezwungen, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Die Nachrichtenagentur Irna verbreitet ein Statement von Raisi, in dem dieser - allerdings sehr vage gehaltene - Reformzusagen macht. Er sehe es als notwendig an, einige der im Land geltenden Gesetze "zu überprüfen, zu überarbeiten, zu aktualisieren und gegebenenfalls auch zu revidieren".

Es sei ein gesellschaftlicher Dialog nötig, um "Zweifel" innerhalb der Gesellschaft auszuräumen. "Wir sollten auch sehen, ob wir die gesetzten Ziele erreicht haben und wenn nicht, wo die Probleme liegen", sagte Raisi. Auch der Status der Frauen solle stärker in den Fokus rücken, so der Präsident. Welche Gesetze er konkret meint und ob seine Forderung etwa den Kopftuchzwang betrifft, sagte Raisi dagegen nicht.

Auslöser der Unruhen, bei denen vor allem Frauen gegen den repressiven Kurs der Regierung und den Kopftuchzwang auf die Straße gehen, war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini Mitte September. Die Sittenpolizei hatte sie wegen ihres angeblich "unislamischen Outfits" festgenommen. Was mit Amini danach geschah, ist unklar. Die Frau fiel ins Koma und starb am 16. September in einem Krankenhaus. Kritiker werfen der Moralpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben; die Polizei weist das zurück.

Beobachter sind der Auffassung, dass Raisi nun auf Dialog setzt, da die gewaltsamen und teilweise brutalen Einsätze der Polizei- und Sicherheitskräfte die Proteste nicht stoppen konnten.

Gerade erst ist ein neuer Vorfall publik geworden, der die Regierung in Erklärungsnot bringt: Ein Polizist soll während einer Demonstration einer Frau an den Po gefasst haben. Es existiert ein Video, das die Szene zeigt und in den sozialen Netzwerken verbreitet wurde. Dort empören sich Userinnen und User, wie die Polizei eines islamischen Staates solch eine sittenwidrige und sexistische Tat begehen könne.

Der Übergriff soll sich in dieser Woche im Norden der Hauptstadt Teheran ereignet haben. Die Polizei versuchte zunächst, das Video als von Regimegegnern manipulierte Aufnahme darzustellen, musste aber letztendlich den Vorfall zugeben. Der Fall werde nun untersucht, hieß es in einer Presseerklärung, die am Samstag verbreitet wurde.

Auf dem Video ist zu sehen, dass die Polizei die Demonstrantin festnehmen will. Diese wehrt sich jedoch vehement. Dabei kam es zu dem Übergriff. Die Frau kam letztendlich mit Hilfe von anderen Demonstranten frei.

EU plant Sanktionen gegen Iran

Genauso peinlich für das System war auch eine PR-Aktion auf dem Vali-Asr-Platz im Zentrum Teherans. Ein riesiges Werbebanner mit Bildern von 50 bedeutenden Frauen sollte deren Leistungen für das Land würdigen. Die islamische Republik ist nicht frauenfeindlich - diese Botschaft sollte die Kampagne wohl unterstreichen. Aber schon kurze Zeit später forderten einige der Frauen - sowie die Familien der verstorbenen Persönlichkeiten - die jeweiligen Bilder zu entfernen. Das System habe kein Recht, ohne Erlaubnis mit diesen Personen politische Propaganda zu machen. Schließlich mussten die Verantwortlichen das Banner abnehmen und mit einem bildlosen Plakat ersetzen.

Unbestätigten Berichten gab es bei den Protesten bislang mehr als 200 Tote, sowohl Demonstranten als auch Polizei- und Sicherheitskräfte. Hinzu kommen eine Vielzahl von Verletzten und Tausende Festnahmen, unter ihnen angeblich auch Minderjährige sowie Journalisten und Fotografen. Iran hat diese Zahlen bislang weder bestätigt noch dementiert.

Die EU will wegen der ungeklärten Umstände beim Tod von Mahsa Amini sowie der Niederschlagung der Proteste Sanktionen gegen Irans Regierung verhängen. Am Montag könnten diese beschlossen werden. Zuvor hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian telefoniert. Dabei übte die Regierung in Teheran heftige Kritik an der EU: "Unruhen, Brandstiftungen und Terroroperationen haben nichts mehr mit friedlichen Protesten zu tun", sagte Amirabdollahian. Die Proteste seien von "ausländischen Feinden" des Landes gesteuert und die Polizeieinsätze daher legitim, so der Außenminister. Die EU solle diese Vorfälle nicht als Vorwand nehmen, um Druck auf Iran auszuüben.

Sollte die EU Strafmaßnahmen verhängen, werde es eine "adäquate Reaktion" geben. Die Rede ist in Teheran gar von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und der Ausweisung der EU-Botschafter. Für diesen Fall rechnen Beobachter mit einem Ende der EU-Bemühungen um die Rettung des Wiener Atomabkommens von 2015. Dann wäre auch ein Ende der Iran-Sanktionen vom Tisch, deretwegen das eigentlich ölreiche Land seit fast vier Jahren in einer akuten Wirtschaftskrise steckt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5675573
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/olkl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.