Iran: Präsidentschaftswahl:Der grüne Tsunami

Fasziniert erlebten die Iraner diesmal einen Wahlkampf mit ungewohnten Enthüllungen - Staatschef Ahmadinedschad hat nur noch einen echten Herausforderer.

Rudolph Chimelli

Mehr als 46 Millionen Iraner sind an diesem Freitag aufgerufen, ihren Präsidenten zu wählen. Wie viele von ihnen tatsächlich abstimmen, dürfte entscheidend für das Ergebnis sein. Denn die Anhänger des amtierenden Staatschefs Mahmud Ahmadinedschad, wirksam eingefasst durch Massenorganisationen, gehen immer zur Wahl.

Iran: Präsidentschaftswahl: Auf Ahmadinedschads Herausforderer Mir Hussein Mussawi ruhen bei der Wahl alle Hoffnungen.

Auf Ahmadinedschads Herausforderer Mir Hussein Mussawi ruhen bei der Wahl alle Hoffnungen.

(Foto: Foto: Getty Images)

Die kritische Mittelschicht und ein großer Teil der unpolitischen Mehrheit, die diesmal begeisterte Hoffnungen auf den Herausforderer Mir Hussein Mussawi setzen, blieben dagegen den Wahlen der letzten Jahre weitgehend fern und überließen damit sowohl die Staatsspitze als auch das Parlament den Konservativen.

Zwei sind noch im Rennen

Nach einer Kampagne, wie Iran sie nie erlebt hat, sind de facto nur noch zwei Kandidaten im Rennen: der amtierende Präsident und der einstige Premier Mussawi. Die beiden anderen Bewerber, der konservative Mohsen Resai, ehemals Kommandeur der Revolutionsgarden, und der zum Reformer mutierte frühere Parlamentsvorsitzende Mehdi Karrubi, können ihr Stimmenpotential in einem eventuellen zweiten Wahlgang Mussawi zuführen. Der kommt aus dem Apparat wie sie, ist kein Umstürzler und für beide in jedem Fall das kleinere Übel, verglichen mit Ahmadinedschad. Dass ein Kandidat schon im ersten Wahlgang die 50-Prozent-Hürde überspringt, gilt als unwahrscheinlich. Umfragen, die dergleichen behaupten, basieren nicht auf anerkannten Methoden der Demoskopie.

Bisher ist jeder Präsident der Islamischen Republik für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Um dieses Ziel zu erreichen, stehen Ahmadinedschad gewaltige Mittel zur Verfügung. Er verfügt über einen Wählerstamm von schätzungsweise zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung. Diese Klienten werden durch Unterstützung in vielfacher Form bei guter Laune gehalten: Zuwendungen in bar, Lebensmittel, Bevorzugung bei der Einstellung in öffentlichen Betrieben, Stipendien für die Kinder, Sozialwohnungen und mehr.

Ferner kontrolliert der Präsident den Staatsapparat und damit das Innenministerium, das die Wahlen organisiert und deren Resultate in der Vergangenheit nicht selten manipuliert hat. Die meisten Provinzgouverneure und Verwaltungschefs sind wie Ahmadinedschad ehemalige Revolutionsgardisten. Polizei und Geheimdienste sind loyal zu ihm.

Ein Millionenheer von Antreibern

Auch die Massenorganisation der Bassidsch steht fest an seiner Seite. Deren Mitglieder sind zum Teil noch gar nicht wahlberechtigt, stellen aber ein Millionen-Heer von Antreibern, Überwachern und potentiellen Schlägern. Für die Revolutionsgarden, die Pasdaran, lässt sich dies nicht so einfach sagen. Ahmadinedschads wirkungsvollstes Instrument sind indessen die Medien. Fernsehen und Rundfunk sind voll in seiner Hand. Es gibt nur noch wenige oppositionelle Zeitungen. Die große Mehrheit der Iraner, soweit sie nicht über verbotene Satelliten-Antennen ausländische Sender empfängt, sah während der Kampagne fast immer nur den Präsidenten, seine Versammlungen und jubelnde Anhänger.

Was für das Publikum im Westen in diesen Tagen neu, interessant und anziehend war, lernten Iraner außer Hör- und Sehweite nur durch Hörensagen kennen: die grüne Welle Mussawis, die 18 Kilometer lange Menschenkette vom überwiegend armen Süden Teherans bis hinauf zu den Wohlstandsvierteln am Fuß der Berge, die nächtlichen Autokorsos, die regimekritischen Äußerungen von Intellektuellen, Künstlern und Wirtschaftsleuten - und dass Mussawi in US-Manier seine Frau an der Hand führte.

Mussawi aber musste auf die Breitenwirkung elektronischer Bilder verzichten. Doch er konnte bei einer vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlten Debatte mit Herausforderer Ahmadinedschad Punkte sammeln. Mehr als 40 Millionen schauten zu, wie der Herausforderer mit dem Amtsträger diskutierte. Die Mehrzahl fand Mussawi besser. Nie zuvor hat es in Iran diese Offenheit gegeben, nie einen solchen Einbruch in die persönliche Sphäre von Honoratioren durch Enthüllungen und Verdächtigungen. Das war nicht mehr der gewohnte Diskurs behäbiger Turbanträger. Fasziniert erlebte das Land, wie sich der "grüne Tsunami" einer öffentlichen Meinung entwickelte.

Unterstützung von Chatami

Rückenwind erhielt Mussawi auch dadurch, dass ihn der frühere Reform-Präsident Mohammed Chatami unterstützte. Wie weit Mussawi die Armen überzeugte, als der nervöser werdende Staatschef versuchte, seine drei Gegner als Klone von Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani zu diskreditieren, wird sich vielleicht am Wahlergebnis ablesen lassen. Dass umgekehrt Mussawi, Resai und Karrubi - belegt mit Zahlen und Fakten - Ahmadinedschad der Lüge und Verschleuderung öffentlicher Gelder bezichtigten, wirkte auf viele Iraner sofort überzeugend.

Rafsandschani wiederum beschwerte sich in einem offenen Brief beim geistlichen Führer Ali Chamenei darüber, dass Ahmadinedschad ihn der Korruption und des Diebstahls von Milliarden beschuldigte. Und Rafsandschani, Irans zweitmächtigster Mann, tat noch mehr. Er ist Vorsitzender des Gremiums, das den geistlichen Führer wählt, und des "Rates für das Staatsinteresse", der Differenzen innerhalb der Hierarchie schlichtet. Niemand kennt den Apparat so gut wie er. Gewarnt durch schlechte Erfahrungen aus früheren Abstimmungen, richtete er ein eigenes landesweites Netz zur Wahl-Überwachung ein.

Wenn Ahmadinedschad verliert, kommt dies einer Verurteilung seiner vier Amtsjahre gleich. Weil aber der geistliche Führer ihn deckte, könnten Regimegegner einen solchen Ausgang der Wahl sehr wohl auch als Votum gegen Chamenei interpretieren. Dies kann Chamenei nicht willkommen sein.

Was ändert sich, falls Mussawi gewinnt? Schon jetzt versichert er, genauso wie Karrubi und Resai, er werde die Entwicklung des Atom-Potentials fortsetzen. Alle wollen dagegen die Konfrontation mit dem Westen beenden und versuchen, den Atom-Streit, anders als Ahmadinedschad, ohne Provokationen und mit Kompromissangeboten beizulegen.

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