Süddeutsche Zeitung

Iran:Handverlesene, linientreue Kandidaten

Lesezeit: 4 min

Gebeutelt von einer massiven Wirtschaftskrise wählen die Iraner am Freitag einen neuen Präsidenten. Was würde ein Sieg der Hardliner für das Land, für die Welt und das Atomabkommen bedeuten?

Von Paul-Anton Krüger, München

Nimmt man die Versprechungen der Kandidaten für die Präsidentenwahl in Iran an diesem Freitag beim Wort, steht der Islamischen Republik eine rosige Zukunft bevor. Mohsen Rezai etwa, General und einst Kommandeur der Revolutionsgarden, versprach den Bürgern, die Direktzahlungen für die ärmeren Bevölkerungsschichten zu verzehnfachen.

Woher das Geld dafür kommen soll, sagte der 69-Jährige nicht in der letzten von drei Fernsehdebatten am Samstag - nur dass sich die Wähler darüber keine Sorgen machen sollten, wenn sie kein Geld gestohlen hätten. "Wir haben kein Problem mit Ressourcen", sagte Rezai ungeachtet der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahren. Er spielte damit auf die weit verbreitete Korruption im Regime an, die vielen Menschen in Iran als größtes Übel gilt.

Der Glaubwürdigkeit der Bewerber aber hilft es wenig, Wohltaten in Aussicht zu stellen, von denen niemand weiß, wie sie zu finanzieren sein sollen angesichts der US-Sanktionen, immer noch überschaubarer Ölpreise von etwa 70 Dollar pro Barrel und des weit verbreiteten Missmanagements in der von Staat und den Revolutionsgarden dominierten Wirtschaft.

In den sozialen Medien, offiziell verboten, aber wichtig für den politischen Diskurs, ergießt sich beißender Spott über die "Glorreichen Sieben" - jene Kandidaten, die der Wächterrat nicht schon vor der Wahl aussortiert hat.

Handverlesene, linientreue Kandidaten

Freie Wahlen gibt es in Iran nicht. Denn das zwölfköpfige Gremium, zur Hälfte Kleriker und zur anderen Juristen, prüft alle Bewerber für wichtige politische Ämter auf Linientreue. Demokratisch legitimiert ist der Rat nicht, er gilt als verlängerter Arm des Obersten Führers Ajatollah Ali Chamenei und ist überwiegend mit Hardlinern besetzt.

Jedenfalls reicht es nicht, der Islamischen Republik lange Jahre in hohen Funktionen gedient zu haben. Disqualifiziert wurde der zweimalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad, vor allem aber alle aussichtsreichen Bewerber aus dem Lager der pragmatischen Konservativen des scheidenden Präsidenten Hassan Rohani, der wegen einer Amtszeitbeschränkung nicht erneut kandidieren darf.

Prominentestes Opfer ist Ali Laridschani, Spross einer der einflussreichsten Politiker-Familien in Iran, der mehrmals Parlamentspräsident war, zudem Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates und Atomunterhändler. Er forderte am Samstag, dass der Wächterrat die Gründe für seine Ablehnung bekannt gibt - diese sind nämlich ähnlich undurchschaubar, wie seine Kriterien zur Bewertung der Bewerber.

Ebenfalls disqualifiziert wurde Rohanis Stellvertreter, Eshag Dschahangiri, der Erste Vizepräsident und führende Vertreter der Reformisten. Aus deren Lager darf zwar der wenig bekannte Politiker Mohsen Mehralizadeh als Unabhängiger antreten. Der wichtigste Zusammenschluss von etwa 30 Parteien aus dem reformorientierten Spektrum teilte aber mit, man haben keinen Kandidaten in dieser Wahl - ging allerdings nicht so weit, wie der Hardliner Ahmadinedschad, der nach seinem Ausschluss "freie Wahlen" forderte und zum Boykott der Abstimmung aufrief.

Wahlbeteiligung als Gradmesser der Legitimität

Die Beteiligung an der Wahl, die dem Regime lange als Ausweis seiner Legitimität galt, dürfte aber so niedrig ausfallen wie nie zuvor. In Iran gilt der Ausschluss Laridschanis als Schock im politischen System, in dem künftig vor allem Ultrakonservative untereinander konkurrieren - und als Versuch des Wächterrats, Chameneis Wunschkandidaten, Justizchef Ebrahim Raisi, den Weg zu bereiten. Nur 31 Prozent der Wahlberechtigten gaben zuletzt bei einer Umfrage noch an, ihre Stimme abgeben zu wollen.

Raisi, ein ultrakonservativer Kleriker aus der heiligen Stadt Maschhad, war Rohani vor vier Jahren noch krachend in der ersten Runde der Präsidentenwahl unterlegen. Als sein wichtigster Gegenspieler wird diesmal Ex-Zentralbankchef Abdolnaser Hemmati gehandelt, den Rohani aus dem Amt entlassen hat, nachdem seine Kandidatur bewilligt wurde - ein moderater Technokrat ohne politische Basis.

Er sah sich auch bei der Fernsehdebatte wieder gemeinsamen Angriffen Raisis und vier weiterer Hardliner ausgesetzt; neben Mohsen Rezai wurde auch Said Dschalili zugelassen, ein Veteran des Krieges gegen den Irak und früherer Atomunterhändler, sowie zwei wenig bekannte Abgeordnete. Sie machten Hemmati, 64, und die Regierung Rohani für die Wirtschaftskrise verantwortlich.

Die galoppierende Inflation und der massive Wertverlust der Landeswährung gegenüber dem Dollar und dem Euro gehören zu den größten Sorgen vieler Menschen in Iran, ebenso die hohe Arbeitslosigkeit, die sich durch die Corona-Pandemie nochmals verschärft hat, und die vor allem in Teheran und anderen Großstädten hohen und weiter stark steigenden Mieten. Die Misere zwingt viele Menschen, sich mit mehreren Jobs durchzuschlagen. Nach Angaben der staatlichen Statistikbehörde aus dem Jahr 2020 übersteigt die Armutsquote 50 Prozent.

TV-Debatte in Teheran, Atomgespräche in Wien

Hemmati wiederum warf den Hardlinern vor, die Wirkung der US-Sanktionen herunterzuspielen. Eine Regierung unter Raisi werde nur dazu führen, dass noch mehr Strafen gegen das Land verhängt würden. Die Ultrakonservativen lehnten das Atomabkommen mit den USA ebenso ab wie von der Financial Action Taskforce (FATF) geforderte Regelungen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, warnte er. Ohne diese aber können Irans Banken nicht in das internationale Finanzsystem zurückkehren.

Während in Teheran die Kandidaten im Fernsehstudio saßen, traf in Wien Vizeaußenminister Abbas Araghchi hochrangige Diplomaten aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China zur sechsten Verhandlungsrunde über eine Rückkehr zum Atomabkommen mit den USA. Die Europäer hatten gehofft, die Gespräche vor der Wahl abschließen zu können. Das ist inzwischen unwahrscheinlich, allerdings würde ein Sieg des favorisierten Hardliners Raisi nicht automatisch das Ende der Gespräche bedeuten.

Er bekannte sich zu den Verhandlungen, mit denen Iran die US-Sanktionen abschütteln will, solange Chamenei diese unterstütze. Während Hemmati ankündigte, die Beziehungen zu Irans regionalen Rivalen Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate verbessern zu wollen, dürften mit Raisi an der Regierungsspitze die von den USA und Europäern nach einer Rückkehr zum Atomabkommen angestrebten Folgeverhandlungen über Irans Regionalpolitik und das Raketenprogramm der Revolutionsgarden wenig Aussicht haben.

Im Wahlkampf ausgespart wurde Raisis Rolle bei den Hinrichtungen Tausender Regimegegner im Jahr 1988, die das Regime offiziell abstreitet. Laut Dokumenten und Zeugenaussagen gehörte er als stellvertretender Staatsanwalt von Teheran dem vierköpfigen "Komitee des Todes" an, das auf ein Geheiß von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini politische Häftlinge ohne Urteile hinrichten ließ. Seiner Karriere hat das keinen Abbruch getan - im Gegenteil: Er gilt auch als möglicher Nachfolger des 82 Jahre alten Obersten Führers Ali Chamenei - des eigentlichen Machtzentrums der Islamischen Republik.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5320923
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.