Iran:Chameneis Mann

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"Das Volk will Veränderung": Massud Peseschkian spricht nach seiner Vereidigung im Parlament. (Foto: Vahid Salemi/AP)

Massud Peseschkian, der am Dienstag als Präsident vereidigt wurde, sieht sich als Reformer – will aber tun, was der Oberste Führer von ihm erwartet. Wird er etwas ändern können an den verkrusteten Strukturen des Landes?

Von Raphael Geiger, Teheran

Kein Pathos, nirgends. Sieben Minuten soll laut Protokoll der Eid dauern, der aus Massud Peseschkian den neuen Präsidenten von Iran macht, er dauert keine drei. Und als er dann redet an diesem Dienstagnachmittag im Parlament, braucht er nicht mal die 20 Minuten, die sie für ihn vorgesehen hatten. Peseschkian macht es kurz, er tritt nicht wie der neue starke Mann auf, eher wie einer, der von Ali Chamenei, dem Obersten Führer der Islamischen Republik, mit einer Aufgabe betraut worden ist: regieren. Und bestenfalls reparieren, was zuletzt im Land schiefgelaufen ist. Wirtschaftlich, und vielleicht auch sozial. In der Gesellschaft. Falls da noch etwas zu retten ist. 

Oben auf der Tribüne haben die Revolutionswächter den Job, aufzupassen, dass kein Journalist eine Wasserflasche mit hineinnimmt. Unten in der ersten Reihe sitzen neben den Klerikern die Freunde des Landes: die Präsidenten von Tadschikistan und Armenien, fast nebeneinander Hamas-Anführer Ismail Hanijah und der türkische Außenminister. Einige Araber, dahinter ein Talib aus Kabul. Ein paar Koransuren, dann spricht Peseschkian. Und sagt oft das Wort, das draußen im Land ankommen soll: Wandel. „Das Volk will Veränderung“, sagt er. „Lasst uns ihnen zuhören. Sie wollen ein normales Leben führen, darauf hat jeder ein Recht.“ 

Wer ist dieser Mann, den kaum jemand auf der Rechnung hatte vor den Neuwahlen, nötig geworden nach dem Tod des bisherigen Präsidenten Raisi? Einer jedenfalls, der sich „Reformer“ nennt, im Unterschied zu den Hardlinern, die das Regime in den vergangenen Jahren kontrolliert haben, gerade nach den großen Protesten im Herbst vor zwei Jahren. 

„Vor allem ist er ehrlich“, sagt ein alter Bekannter

Zwei Tage vor der Amtseinführung kommt Yahya Mohammadzadeh in ein Luxushotel im Norden von Teheran, der besseren Gegend der Stadt. Mohammadzadeh stammt wie Peseschkian aus der Provinz Ost-Aserbaidschan, die beiden studierten an derselben Uni. Mohammadzadeh Ingenieurwesen, Peseschkian Medizin. Sie freundeten sich an, später machten sie Karriere im Apparat der Islamischen Republik. 

In einer Suite mit Blick auf die Berge erzählt der Freund von den Spielen mit Peseschkian, Basketball, Volleyball, „er hätte mir mal fast das Bein gebrochen“, sagt er. Lange her. Die Botschaft soll sein: Da wird jetzt einer Präsident, der es in allen Lebenslagen ernst meint. „Vor allem ist er ehrlich“, sagt Mohammadzadeh. Peseschkian, erzählt der Freund, habe niemals Geld von Patienten genommen. „Er lügt nicht. Das wissen die Menschen in Iran sehr zu schätzen.“ 

Mohammadzadeh stieg zum Provinzgouverneur auf, Peseschkian, der Herzchirurg, wurde Professor. Später starben seine Frau und eine seiner Töchter bei einem Autounfall. Er heiratete nie mehr, zog seine beiden Jungen und die zweite Tochter allein groß. Später wechselte er ins Gesundheitsministerium nach Teheran, in den Nullerjahren wurde er Minister. Peseschkian gehört zu einer Generation, die geglaubt hat, das Regime der Mullahs lasse sich reformieren. Ein Glaube, den die meisten im Land längst verloren haben.

Der einzige von sechs Kandidaten, der kein Konservativer ist 

Mohammadzadeh, sein Freund, sagt: „Allein, dass Peseschkian antreten durfte, bedeutet Reform.“ Klar war das nicht, mit Peseschkians Karriere war es eigentlich vorbei. Jahrelang saß er im Parlament, dann, Anfang des Jahres, ließ ihn der Wächterrat, der bei jeder Wahl alle Kandidaten genehmigen muss, nicht mal mehr zur Parlamentswahl zu. „Der oberste Führer intervenierte“, sagt Mohammadzadeh, „nachträglich wurde er zugelassen.“ Ali Chamenei habe ihn ausgewählt, sagt Mohammadzadeh. 

Als Präsident Raisi mit dem Hubschrauber verunglückte, als die Neuwahlen anstanden, da erschien Peseschkian mit seiner Tochter im Innenministerium und registrierte sich als Kandidat. Als einer von 80. Sechs ließ der Wächterrat zu, darunter ihn, Peseschkian, als einzigen, der nicht als Konservativer gilt. „Er wird zum obersten Führer ein ganz enges Verhältnis haben“, sagt Yahya Mohammadzadeh. Es klingt, als hätte Chamenei seinen neuen Präsidenten sehr bewusst ausgesucht.

Das Regime weiß, dass es den Westen braucht. Peseschkian werde das Land öffnen, glaubt Mohammadzadeh. „Er wird die Internetsperren aufheben, das wollen ja selbst die Religiösen.“ Also die Zensur von allen sozialen Netzwerken, selbst von WhatsApp. Und in der Außenpolitik? „Da wird er sich dem obersten Führer fügen.“ Allerdings, eine Sache noch, sagt Mohammadzadeh: „Nicht wir haben das Atomabkommen aufgekündigt. Wir wollen Frieden, davon sollte Europa Notiz nehmen.“

Vielleicht schließt Peseschkian einen neuen Atomdeal

Ein Neuanfang also? Kaum vorstellbar gerade, angesichts der Krise im Nahen Osten. Iran ist der wichtigste Verbündete der libanesischen Hisbollah. Aber es kann schon sein, dass Peseschkian einen neuen Atomdeal versuchen wird, allein, weil er es muss – die Sanktionen drücken auf die iranische Wirtschaft, weite Teile der Gesellschaft sind verarmt. Währenddessen, warnte US-Außenminister Blinken kürzlich, sei das Land nur noch „ein bis zwei Wochen“ von spaltbarem Material entfernt. Für eine Atombombe.

Die Bombe ist die Drohung des Regimes an den Westen. Peseschkian ist das Angebot. Ein Hoffnungsträger? In Teheran spürt man davon nicht viel. Der neue Präsident muss sich zwischen den Frommen bewegen, die ihn zu liberal finden, und den anderen, den vielen, für die auch Peseschkian nichts weiter ist als ein Mann des Systems. Eines Systems, von dem sie nichts mehr wissen wollen. 

Fährt man vom Treffen mit Mohammadzadeh nach Süden, wird Teheran ärmer, die Luft dreckiger. Kaum jemand hier ist optimistisch. Im Basar läuft einer durch die Gassen, vor sich einen Verkaufswagen mit Säften, und sagt, wie die Lage ist. In einem Satz: „Meine Flaschen sind morgens voll, und abends sind sie es immer noch.“ Ein Gewürzverkäufer sagt es so: „Wir reden uns Hoffnung ein.“ Aber? „Tief drinnen wissen wir, dass es vergebens ist.“

Eine Lücke zwischen der Führung und dem Volk

Am nächsten Tag, auf dem Unigelände, spricht ein Professor von Reparatur. Ebrahim Mottaghi, Leiter der politischen Fakultät, hat eine der TV-Debatten der Präsidentschaftskandidaten moderiert. Er hat Peseschkians Sieg vorhergesagt, der Sanktionen wegen, er sei der Kandidat, der am ehesten für Linderung sorgen könne. Und die Reparatur? „Er müsste den Kitt in der Gesellschaft wiederherstellen“, sagt Mottaghi. „Sehr viele fühlen sich entfremdet.“ 

Mottaghi, der Politologe, sitzt in einem holzvertäfelten Zimmer, weit weg vom Lärm der Stadt und ihrer Armut. Aber er bekomme mit, was draußen passiert, sagt er, dank seiner Studentinnen und Studenten. „Die Lücke ist eine Realität“, sagt er, also zwischen der Führung und weiten Teilen des Volkes. „Peseschkians Problem werden die Strukturen sein, die sind nicht flexibel. Sie sind sehr starr.“ Wird er etwas ändern können? Der Professor schaut nachdenklich. „Er wird es schwer haben.“

Selbst die, die ihn wählten, scheint es, erwarten wenig von Massud Peseschkian. Vielleicht nur, dass er da ist. Anstelle eines Hardliners. Vielleicht, dass er das Leben ein bisschen weniger unerträglich macht. 

Im Parlament spricht der neue Präsident über die Probleme der Menschen, er ruft: „Hebt die Sanktionen auf!“ Da bekommt er den lautesten Applaus. Er sei bereit, mit dem Westen zu verhandeln, er wolle Deeskalation. „Aber uns unter Druck zu setzen, das wird nichts bringen.“ Dann kommt er zu einem Thema, das ihn verbindet mit den Hardlinern im Plenum, mit dem Mann der Hamas und mit dem türkischen Außenminister. Peseschkian redet jetzt über Gaza. Den Westen nennt er „die, die denen Waffen geben, die Kinder töten“. Man könne kein Mensch sein und zu den Opfern in Gaza schweigen. Da stehen sie auf im Parlament, strecken die Fäuste in die Luft und rufen: Nieder mit Israel, nieder mit den USA!

Er werde, sagt Peseschkian, die Zusammenarbeit mit der Welt suchen. Er wolle, dass alle Iraner zu „Gewinnern“ werden. Und er gelobe, na klar, dass er dem Obersten Führer gehorchen wird. Dem einen, der bei jeder iranischen Wahl schon vorher gewonnen hat. 

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Von Raphael Geiger

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