Iran:Kurzer Traum vom filterfreien Netz

Eine Nacht lang können Iraner ungehindert auf Facebook und Twitter zugreifen. Doch als die Welt noch rätselt, ob die neue Regierung damit ein Ende der Internet-Zensur signalisiert, fällt der digitale Vorhang wieder. Die Behörden geben eine einfache Erklärung - die Wahrheit könnte tiefer liegen.

Wer in Iran ist und die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter aufrufen will, muss einige Verrenkungen vollbringen: Offiziell sind die Dienste seit 2009 gesperrt, der Zugriff gelingt nur über Anti-Zensur-Software.

Am Montagabend allerdings schien sich die Lage plötzlich zu ändern: Internet-Nutzer im Land berichten, dass die Dienste frei zugänglich seien.

Die Welt rätselte: Ist dies die "neue Offenheit", von der Irans neuer Präsident Hassan Rohani stets spricht? Immerhin lässt er offenbar selbst in englischer Sprache twittern, alle Kabinettsmitglieder haben ein öffentliches Facebook-Konto. Die Regierung hatte jüngst über diese Kanäle auch Entspannungssignale Richtung Westen geschickt.

Während die Politikbeobachter noch über die Folgen eines freieren iranischen Internets diskutierten, erledigte sich die Frage am Dienstagvormittag: Die Filter sind wieder aktiv. Die halbstaatliche Nachrichtenagentur Mehr zitiert ein Mitglied der Internet-Kontrollbehörde mit den Worten, es habe sich um einen "technischen Fehler" gehandelt.

Ob diese Begründung wirklich der Wahrheit entspricht, ist schwer festzustellen. Immer wieder spekulieren Kenner über einen schwelenden Konflikt zwischen der liberalen Regierung und den Hardlinern rund um das religiöse Establishment. Ein Indiz dafür: Nach Rohanis Entspannungsbotschaften via Twitter hatte die Internet-Kontrollbehörde angekündigt, die Nutzung sozialer Medien durch Politiker zu untersuchen.

Das letzte Wort bei einer solchen weitreichenden Entscheidung wie der Filter-Aufhebung hätte ohnehin der religiöse Führer Ayatollah Ali Khamenei. Der hat in der Vergangenheit stets versucht, dieses Politikfeld bei sich zu verorten. Iran arbeitet gerade unter anderem an einem "Halal-Internet", das mehr oder weniger vom weltweiten Internet abgekoppelt sein soll.

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