Süddeutsche Zeitung

Iran:Die Iraner wählen mehr als nur den Präsidenten

  • Am Freitag finden im Iran Präsidentschaftswahlen statt.
  • Es geht um das gesamte System: Wird die von Amtsinhaber Rohani angestoßene Öffnung weitergehen - oder erobern die Konservativen die Macht zurück?
  • Einige Umfragen sehen den moderaten Hassan Rohani klar vorn. Andere Umfragen sehen ein Kopf an Kopf Rennen mit dem konservativen Herausforderer Ebrahim Raisi

Von Paul-Anton Krüger, Teheran/Maschhad

Die wirklichen Helden des Abends sind gar nicht anwesend, als sich 13 000 Unterstützer des iranischen Präsidenten Hassan Rohani am Sonntag in der Azadi-Sporthalle in Teheran versammeln. "Ya Hossein, Mir Hossein", skandieren sie - gemeint ist Mir Hossein Mussawi. Er hatte 2009 Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad herausgefordert. Und nach Überzeugung der Reformer die Wahl gewonnen. Doch Irans Oberster Führer, Ali Chamenei, ließ Ahmadinedschad zum Sieger ausrufen und die anschließenden Proteste brutal niederschlagen, bei denen Millionen auf die Straßen gingen. Mussawi wird seither vom Sicherheitsapparat in Hausarrest gehalten, ohne dass ihm je der Prozess gemacht worden wäre. Die Menschen fordern seine Freilassung, ebenso wie die seines Mitstreiters Mehdi Karrubi.

Das Schicksal der beiden ist eigentlich ein Tabu-Thema, und Rohani, 68, vermeidet es tunlichst, sie beim Namen zu nennen. Er sagt nur, vor seinem Amtsantritt 2013 sei das ganze Land unter Hausarrest gewesen. Und dass eine Regierung mit einer Mehrheit von 51 Prozent nicht die Macht habe, alle Probleme zu lösen - das war sein Ergebnis beim überraschenden Sieg in der ersten Wahlrunde 2013. Es ist zugleich der Hinweis, dass er in einer zweiten Amtszeit nur dann ein starker Präsident sein werde, wenn er ein besseres Ergebnis erzielt gegen seinen konservativen Herausforderer, den Kleriker Ebrahim Raisi, 56.

Der ist ein Protegé des Obersten Führers Ali Chamenei, dem mit Abstand mächtigsten Mann im politischen System der Islamischen Republik. Er ist zudem der Favorit des klerikalen Establishments und des Sicherheitsapparats mit den Revolutionsgarden an der Spitze. Der Ausgang der Wahl ist offen; manche der nicht als zuverlässig geltenden Umfragen sprechen Rohani einen klaren Vorsprung zu, allerdings bei einer großen Zahl noch unentschiedener Wähler.

Herausforderer Raisi strebt eine "Widerstandswirtschaft" an: Abkoppelung und Autarkie

Andere sehen Raisi auf Augenhöhe, seit Teherans Bürgermeister Mohammed Baqer Qalibaf, ein konservativer Populist, auf Druck von oben und wegen seiner Verwicklung in Korruptionsskandale zu dessen Gunsten zurückgezogen hat. Damit ist eine Stichwahl unwahrscheinlich; die beiden anderen verbliebenen Kandidaten gelten als chancenlos. Überdies haben die Konservativen ihre Reihen geschlossen. 2013 hatte Rohani noch davon profitiert, dass sich deren Stimmpotenzial auf mehrere Bewerber verteilte und ihre Strategen nicht mit einer Entscheidung im ersten Wahlgang rechneten.

Die 55 Millionen Wahlberechtigten treffen an diesem Freitag eine Richtungsentscheidung, die über die vierjährige Amtszeit des Präsidenten hinaus Wirkung haben wird. Für Irans Verhältnis zum Westen. Und, wichtiger für die Menschen im Land, für die Wirtschaftspolitik und das Maß an Freiheiten, die in den Grenzen des Systems gewährt werden. Und womöglich auch für die Zeit nach Chamenei, der im Juli 78 Jahre alt wird. Raisi wird als möglicher Nachfolger gehandelt, aber auch eine Änderung des Systems ist denkbar: Reformer wollen den Posten durch ein Gremium ersetzen und so die Macht des Amtes begrenzen.

Die Prinzipalisten, also die orthodoxen Konservativen, haben 2016 das Parlament an ein Zweckbündnis aus gemäßigten Konservativen und Reformern verloren. Profilierte Köpfe aus ihrem Lager wie Parlamentspräsident Ali Laridschani schlugen sich auf die Seite Rohanis, heute ein moderater Konservativer mit langer Karriere im Sicherheitsapparat, allerdings kein Reformer. Wird Rohani wiedergewählt, schwindet der Einfluss der Hardliner weiter, die er als "Extremisten" brandmarkte, auch wenn sie unverändert bedeutende Institutionen beherrschen: den Wächterrat, der ein Vetorecht bei Gesetzen und Kandidaten für viele Ämter hat, die Justiz und den Sicherheitsapparat, der mit Chamenei die Außen- und Sicherheitspolitik vorgibt.

Das erklärt, warum beide Seiten den Wahlkampf äußerst aggressiv führen und dabei normalerweise gültige rote Linien überschritten haben. Zentrales Thema war die Wirtschaft. Rohani kann zwar auf gute Eckdaten verweisen, ein Wirtschaftswachstum von 6,8 Prozent und die erstmals seit 25 Jahren einstellige Inflation. Die große Mehrheit der Iraner hat aber nicht das Gefühl, dass sich ihre Lebenssituation verbessert hat, seit Iran 2015 das Atomabkommen mit den USA geschlossen hat.

Rohani schiebt das auf die verheerende Situation, die er von Ahmadinedschad geerbt habe und bittet um mehr Zeit. Er verspricht, dass die Öffnung des Landes und Investitionen aus dem Ausland Arbeitsplätze bringen werden. Viele Experten stimmen mit ihm überein, dass Irans Wirtschaft sonst weder saniert noch modernisiert werden kann. Ob ihm die Menschen das noch abnehmen, auch angesichts der harschen Rhetorik von US-Präsident Donald Trump, werde die Wahl mitentscheiden, sagt der den Reformern nahestehende Teheraner Analyst Said Laylaz.

Raisi und mehr noch zuvor Qalibaf warfen Rohani vor, die Interessen einer kleinen wohlhabenden Minderheit zu vertreten und die Armen und die Arbeitslosen zu vernachlässigen. Raisi verspricht, pro Jahr eine Million Arbeitsplätze zu schaffen und die Direktzahlungen an die Bedürftigen von derzeit umgerechnet 15 auf mehr als 60 Dollar zu erhöhen. Er strebt wie Chamenei eine "Widerstandswirtschaft" an, will Iran von der Welt abkoppeln und autark machen. In den ärmeren Schichten genießt die von ihm geleitete religiöse Stiftung Astan Quds Rezavi großes Ansehen als Wohltätigkeitsorganisation. Chamenei hatte ihn 2016 zum Chef gemacht.

Rohani setzt darauf, dass die spezielle iranische Wahlarithmetik wirkt - und die Mehrheit eben nicht für den Favoriten Chameneis stimmt. Er fokussiert seine Attacken auf Raisis Vergangenheit als Staatsanwalt und wirft ihm vor, nur auf "Gefängnis und Hinrichtungen" zu setzen. Das zielt auf Raisis Rolle als einer von vier Juristen der sogenannten Todeskommission. Sie ließ Ende der Achtzigerjahre Tausende Regimegegner hinrichten. Rohani warnte Raisi, die "Religion um der Macht Willen zu missbrauchen" und machte Anspielungen auf Raisis Schwiegervater, den ultrakonservativen Kleriker Ahmad Alamolhoda. Als Freitagsprediger hat er Konzerte in der zweitgrößten Stadt Maschhad verboten.

Mehdi Karrubi hat Rohani seine Unterstützung ausgesprochen und, wichtiger, Ex-Präsident Mohammed Chatami, immer noch die prominenteste Führungsfigur der Reformer. Er ließ ein Video in sozialen Netzwerken verbreiten, denn Irans Medien dürfen nicht einmal seinen Namen erwähnen. "Wir haben den Weg mit Rohani begonnen, und wir dürfen nicht auf halber Strecke stehen bleiben", sagt er darin. Rohani muss auf eine hohe Wahlbeteiligung hoffen, denn die Anhänger der Konservativen gehen ohnehin zahlreich zur Wahl. Wenn seine Unterstützer, enttäuscht über die Wirtschaftsmisere, zu Hause bleiben, werden die Zeiten der vorsichtigen Öffnung und Lockerungen bald wieder vorbei sein.

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SZ vom 19.05.2017/bemo
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