Süddeutsche Zeitung

Iran:Werden Tausende Gefangene begnadigt?

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Regimenahe Medien berichten von einer Amnestie - auch für verhaftete Demonstranten. Experten fürchten, dass es sich nur um ein Scheinmanöver handelt.

Von Carim Soliman

Festtage sind Anlass zu Milde und Barmherzigkeit, so ist es auch in Iran. Anlässlich des nahenden Jahrestags der Islamischen Revolution habe Religionsführer Ali Chamenei daher Zehntausende Gefangene begnadigt, berichtete das Staatsfernehen am Sonntag, auch Inhaftierte im Zusammenhang mit den seit Monaten andauernden Protesten. Unabhängige Iran-Experten bezweifeln allerdings, dass es sich um eine besondere Geste der Nächstenliebe handelt. Weder Amnesty International noch Reporter ohne Grenzen waren bis zum Montag Fälle von begnadigten Demonstrierenden oder geplanten Begnadigungen bekannt.

Laut der staatsnahen Nachrichtenagentur Irna gehen die Begnadigungen auf einen Vorschlag von Irans Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi zurück. Sie sollen Hafterleichterungen und Amnestien umfassen und prinzipiell auch für Gefangene gelten, die im Zuge der jüngsten Proteste verhaftet wurden.

Allerdings, berichtet Irna, stellten bestimmte Vergehen ein Ausschlusskriterium dar. Wem beispielsweise Spionage zur Last gelegt wird oder Mord, der ist von einem Gnadenspruch ausgeschlossen. Dasselbe gilt für das Beschädigen oder in Brandsetzen von Regierungs- oder Militäreinrichtungen.

Unter anderen deshalb zweifeln Menschenrechtsorganisationen, dass es sich bei den Begnadigungen um einen Sinneswandel des Regimes handelt. "Kritische Journalistinnen und Journalisten sitzen oft wegen angeblicher Spionage in Haft", sagt Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen.

"Am Jahrestag gibt sich das Regime immer großzügig"

Bei Verhaftungen würden sich die Ordnungskräfte Zugang zu Handys und Laptops verschaffen und Passwörter für Online-Dienste verlangen. Einige Anrufe ins Ausland reichen für einen Spionageverdacht aus. Auch Dieter Karg von Amnesty International Deutschland bezweifelt, dass die Begnadigungen auf ein Einlenken der politischen Führung Irans hindeuten. "Am Jahrestag gibt sich das Regime immer großzügig", sagt er.

Der 11. Februar markiert in Iran den zehnten Tag nach der Ankunft von Staatsgründer Ruhollah Chomeini in der Hauptstadt Teheran. Chomeini war im Frühjahr 1979 nach Jahren im Exil in Paris in seine Heimat zurückgekehrt, um die Revolution gegen die herrschende Schah-Monarchie anzuführen und die heutige Islamische Republik zu gründen. Ali Chamenei übernahm 1989 seine Rolle als oberste geistige Autorität und die Funktion des Staatsoberhaupts.

Immer wieder würden Gefangene zu diesem Anlass begnadigt, sagt Karg, "aber selten politische Gefangene". Die diesjährige Begnadigung wäre demnach also eher Routine. Auch die genannte Zahl der Begnadigten hält er für unrealistisch. Womöglich verspreche sich das Regime durch die Ankündigung eine Entspannung der Lage. Dafür spricht die Kommunikation der Begnadigungen seitens öffentlicher Stellen. Kazem Gharibabadi, Generalsekretär des "Hohen Rates der Menschenrechte", schrieb in einem Tweet: "Solch ein islamischer und humanitärer Akt ist beispielhaft für die Milde und Beliebtheit der Führung der Islamischen Republik Iran."

Im September des vergangen Jahres hatte der Tod der 22-jährigen Kurdin Jina "Mahsa" Amini landesweit Proteste ausgelöst. Amini war von der sogenannten Sittenpolizei in Teheran festgenommen worden, weil sie gegen die strenge Kleiderordnung für Frauen im Iran verstoßen haben soll. Auf dem Revier brach sie zusammen und starb drei Tage später in einer Klinik. Infolge der Verletzungen durch Schläge von Polizisten, glauben viele Iranerinnen und Iraner.

Teheran bestreitet das und geht mit äußerster Härte gegen die Demonstrierenden vor. Insbesondere in Kurdistan im Nordwesten des Landes und anderen Regionen, in denen Minderheiten leben. Laut Menschenrechtlern wurden bisher mehr als 500 Protestierende getötet und rund 20 000 inhaftiert. Mehrere von ihnen sind zum Tode verurteilt worden, einige der Urteile wurden bereits vollstreckt.

Festgenommene berichten von Folter und erzwungenen Geständnissen

Menschenrechtsorganisationen kritisieren außerdem die unwürdigen Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen. Im Zuge einer gemeinsamen Recherche mit NDR und WDR berichteten mehr als ein Dutzend Iranerinnen und Iraner, die nach Protesten verhaftet wurden, der SZ von Misshandlungen und Folter. Sie seien geschlagen, ausgepeitscht und mit Elektroschockern traktiert worden. Sie hätte in kalten und überfüllten Zellen ausharren müssen, teils, ohne schlafen zu dürfen. Außerdem habe man sie zwingen wollen, Geständnisse zu unterschreiben. Die Überprüfung der Vorwürfe legt nahe, dass die Gewalt systematisch ist.

Weder Amnesty International noch Reporter ohne Grenzen sind Fälle von bisher begnadigten Demonstrierenden oder geplanten Begnadigungen bekannt.

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