Süddeutsche Zeitung

Explosion in Atomanlage:Iran wirft Israel Sabotage in zweifacher Hinsicht vor

Lesezeit: 4 min

Teheran macht Jerusalem für die Attacke auf eine Atomanlage verantwortlich. Iran sieht darin auch den Versuch, indirekte Verhandlungen mit den USA über ein Ende der Sanktionen zu torpedieren.

Von Paul-Anton Krüger und Peter Münch, Tel Aviv

Der Schadensbericht kam vom Krankenhausbett. Die abgehängte Decke in einem der Kontrollräume sei herabgestürzt, sagte Behrouz Kamalvandi in die Kameras. Der Sprecher der Iranischen Atomenergie-Organisation war am Sonntag in ein sieben Meter tiefes Loch gestürzt und hatte sich an den Beinen und am Kopf verletzt, als er sich in Natans ein Bild machen wollte von den Schäden, die eine Explosion in der Urananreicherungsanlage angerichtet hatte. Sie sei nicht stark genug gewesen, "um alles zu zerstören", sagte Kamalvandi - aber stark genug, dass Trümmer durch die Gegend flogen, die den Lüftungsschacht verdeckten, in den er stürzte.

Sein Chef, Vizepräsident Ali Akbar Salehi, führte aus, die Anreicherung von Uran sei nicht unterbrochen, sondern mit einer Notstromversorgung fortgesetzt worden. Die New York Times hatte zuvor unter Berufung auf Geheimdienstquellen berichtet, die Explosion habe die unabhängige und gut geschützte Stromversorgung komplett zerstört. Es werde mindestens neun Monate dauern, bis die Produktion wieder voll laufe.

Dem widersprach Salehi. Er räumte allerdings auch ein, dass beschädigte Zentrifugen ersetzt werden müssten. Wie stark die wichtigste Atomanlage in Iran getroffen wurde, wird sich unabhängig wohl erst feststellen lassen, wenn die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Bericht erstatten.

Klar allerdings ist der politische Schaden; Salehi hatte schon am Sonntag gesagt, der Angriff, den er als "nuklearen Terrorismus" brandmarkte, habe nicht nur den Fortschritten der iranischen Atomindustrie gegolten, sondern auch dem Versuch der Regierung von Präsident Hassan Rohani, in indirekten Verhandlungen mit den USA in Wien die Aufhebung der Sanktionen zu erreichen - wofür Teheran seinerseits wieder die Beschränkungen des 2015 geschlossenen Atomabkommens einhalten müsste.

Der iranische Außenminister droht Rache an

Hatte Salehi sich noch direkter Schuldzuweisungen enthalten, machte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif am Montag im Staatsfernsehen direkt Israel für die Attacke verantwortlich. Israel wolle "sich rächen, weil wir Fortschritte bei der Aufhebung der Sanktionen gemacht haben", und habe mehrmals öffentlich erklärt, dies nicht zulassen zu wollen. "Aber wir werden uns an den Zionisten rächen", fügte Sarif hinzu. Iran behalte sich Vergeltung vor. Weder führte er das aus, noch brachte er Belege für die Anschuldigung vor.

Allerdings hatten israelische Medien schon am Sonntag einhellig über eine Beteiligung des Mossad spekuliert. Wie üblich wurden die Anschuldigungen offiziell weder dementiert noch bestätigt. Mehr oder weniger versteckte Hinweise auf eine israelische Handschrift hinter den Vorgängen gab es jedoch gleich mehrfach.

So ließ es sich Aviv Kochavi, Generalstabschef der israelischen Armee, nicht nehmen, bei einer Gedenkveranstaltung für gefallene israelische Soldaten in Jerusalem zu erklären: "Die Aktivitäten der israelischen Armee im Nahen Osten bleiben den Feinden nicht verborgen. Sie beobachten sie, sehen unsere Fähigkeiten, überlegen sich ihre Schritte vorsichtig." Dies darf zugleich als Warnung vor einem iranischen Vergeltungsversuch verstanden werden.

Regierungschef Benjamin Netanjahu nutzte am Montagnachmittag ein Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Jerusalem zu einer eindringlichen Warnung. "Meine Politik als israelischer Premierminister ist klar: Ich werde Iran niemals erlauben, die nuklearen Fähigkeiten zu erlangen, um sein Ziel des Völkermords und der Auslöschung Israels zu verfolgen", sagt er. "Israel wird damit fortfahren, sich gegen iranische Aggression und Terrorismus zu verteidigen."

Der israelische Verteidigungsminister ist für das Atomabkommen

Wenige Tage zuvor hatte Netanjahu sich bereits bei einer Veranstaltung zum israelischen Holocaust-Gedenktag direkt an die USA, "unsere besten Freunde", gewandt mit der Ankündigung, dass sich Israel in keiner Weise an ein neues Atomabkommen mit Iran gebunden fühlen würde.

Austin antwortete in Jerusalem auf die Frage, ob der jüngste Vorfall in Natans die Bemühungen von Präsident Joe Biden um eine Rückkehr der USA in das Atomabkommen von 2015 behindern würde, nur knapp mit den Worten: "Diese Bemühungen werden weitergehen."

Austin war nach Jerusalem gekommen, um den israelischen Partnern Washingtons Position zu dem Abkommen zu erläutern, das der damalige US-Präsident Donald Trump 2018 zur großen Genugtuung Israels aufgekündigt hatte. Austin traf sich auch mit Verteidigungsminister Benny Gantz - und erfuhr dort eine ganz andere israelische Position. "Wir werden eng mit unseren amerikanischen Verbündeten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass jedes neue Abkommen mit Iran die zentralen Interessen der Welt sicherstellt und den Staat Israel beschützt", erklärte Gantz, den mit Netanjahu inzwischen eine offene Feindschaft verbindet. Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, betonte mit Blick auf die Berichte über den Angriff: "Die USA waren in keiner Weise beteiligt." Sie wolle sich nicht an Spekulationen über Hintergründe oder Folgen beteiligen.

Iranische Hardliner verlangen, die Verhandlungen abzubrechen

Offen ist die Frage, ob es sich um eine Cyberattacke handelte oder um einen Sprengsatz. Iranische Medien mit engen Kontakten zu den Revolutionsgarden berichten, die verantwortliche Person für den Vorfall sei identifiziert worden. Mohsen Rezai, früherer Kommandeur der Eliteeinheit, sprach von "einem Problem der Infiltration", was eher auf eine konventionelle Attacke hinweist. Bereits im Juli 2020 war in Natans eine Halle durch eine Explosion zerstört worden, in der Zentrifugen für die Urananreicherung montiert und getestet wurden.

Die Hardliner in Teheran verlangten, wegen der Attacke die Verhandlungen über eine Rückkehr zum Atomabkommen abzubrechen, die an diesem Mittwoch in Wien fortgesetzt werden sollen. Außenminister Sarif wurde ins Parlament zitiert. Das letzte Wort hat auch hier der Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei, der sich zu dem Vorfall noch nicht öffentlich geäußert hat.

Die EU zeigte sich besorgt über die Attacke. Jeder Versuch, die derzeitigen Bemühungen um eine Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens mit Iran zu stören, sei zurückzuweisen, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Montag in Brüssel. Es müsse nun gründlich geklärt werden, was passiert sei und wer dahinterstecke.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5262564
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.