Iran-Israel-Konflikt:Israels Angriff muss warten

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Die israelische Führung zeigt sich entschlossen, Irans Atomprogramm in den kommenden Wochen militärisch zu stoppen. Doch bei so einem Schlag verlässt sich Israel nur auf sich selbst - und misstraut seinem Partner USA. Ein Alleingang hätte verheerende Folgen.

Shimon Stein

Die Sorge um den Euro und die erbitterten Kämpfe in Syrien verstellen den Blick auf die Zuspitzung der Krise um das iranische Nuklearprogramm. Diese Zuspitzung ist Folge der Fortschritte, die Iran in den vergangenen Monaten erzielt hat und der israelischen Reaktion darauf. Der ehemalige Mossad-Chef Efraim Halevy hat kürzlich in einem Interview gesagt: "Als Iraner wäre ich sehr besorgt." Nach Halevys Auffassung könnte es bald zu einem israelischen Militärangriff kommen.

Die israelische Führung lässt keine Zweifel, dass sie Iran militärisch von seinem Atomprogramm abhalten will. Ein Israeli in Tel Aviv trägt probeweise eine Gasmaske. (Foto: Getty Images)

Warum aber ist es angeblich so dringend, in den kommenden Wochen einen Angriff in Erwägung zu ziehen? Und ist die militärische Option in der Tat die einzige ernsthafte Option, um Iran von seinem Vorhaben abzubringen?

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) hat im Mai über den Stand des iranischen Programms Folgendes berichtet: Die Gesamtmenge des auf 3,5 Prozent angereicherten Urans beträgt 6197 Kilogramm. Sollte man diese Menge für Waffenzwecke auf 90 Prozent anreichern, wird sie für die Herstellung von mindestens fünf Atombomben ausreichen. Auf dem Weg dorthin hat Iran bereits etwa 145,6 Kilogramm auf 20 Prozent angereichert.

Für diejenigen, die noch Zweifel hegten, ob Iran sich nicht doch auf ein Programm zur zivilen Nutzung beschränkt, wies die IAEA bereits im November auf eine ganze Reihe von Aktivitäten hin, deren einziger Zweck es sei, eine Nuklearwaffe zu entwickeln.

Das Scheitern der Diplomatie liegt an der Asymmetrie der Ziele

Wenn man bedenkt, dass das Ziel der Außenminister von Deutschland, Frankreich und Großbritannien vor fast neun Jahren darin bestand, Teheran von diesem Anreicherungsprogramm abzubringen, kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass der Versuch, Iran auf diplomatischem Weg von seinem Vorhaben abzubringen, einstweilen gescheitert ist.

Der Hauptgrund für das Scheitern der Diplomatie liegt in der Asymmetrie der Ziele der Parteien. Iran verfolgt das Ziel, im Bereich des nuklearen Brennstoffkreislaufs volle Unabhängigkeit zu erzielen, sodass es dazu in der Lage ist, angereichertes Uran zu erzeugen. Davon ist das Land in diesen Jahren keinen Millimeter abgewichen.

Wie auch immer das politische Tauziehen ausgehen wird: Iran wird dann über genug spaltbares Material wie auch die anderen erforderlichen Komponenten verfügen, die für eine Waffe notwendig sind. Von Anfang an hat Iran keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit gelassen, als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags von seinem Recht zur Uran-Anreicherung Gebrauch zu machen - ohne sich an seine Pflichten, zum Beispiel Kontrollmöglichkeiten, zu halten.

Um sein Ziel zu erreichen, braucht Iran Zeit, und so lange wird es nicht bereit sein, Kompromisse einzugehen. Wie wir wissen, hat es Iran nicht daran gehindert, mit dem Westen zu "verhandeln", insbesondere da klar war, dass der Preis für eine kompromisslose Haltung nicht allzu hoch ist. Und so konnte und kann Iran sein Programm fortsetzen - und zwar auf beeindruckende Weise.

Die EU und die USA bestreiten Irans Recht auf ein nukleares ziviles Programm nicht, gleichzeitig besteht man jedoch darauf, dass Teheran Beweise hinsichtlich des zivilen Charakters des Programms liefert. Das ist bis heute nicht geschehen.

Im Gegensatz zu Iran drängt der Westen auf eine schnelle Lösung der Krise. Angesichts dieser Asymmetrie der Interessen ist es kein Wunder, dass sich kein Durchbruch abzeichnet. Erst wenn Iran in seinem gegenwärtigen Verhaltensmuster keinen Vorteil mehr sieht, wird die Diplomatie eine Chance bekommen. Dafür hat man leider viel zu langsam den Druck durch Sanktionen erhöht.

Netanjahu und Barak lassen keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit

Manche Beobachter deuten die iranische Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Gespräche im letzten April als ein Zeichen dafür, dass Israels militärische Drohung sowie die spürbaren Sanktionen die iranische Führung zu einem Nachdenken bewegt hätten. Trotz des anfänglichen Optimismus ist die gegenwärtige Runde der Gespräche auf der offiziellen Ebene ohne erkennbaren inhaltlichen Erfolg zu Ende gegangen, wohl aber mit der Bereitschaft, im Gespräch zu bleiben.

Israels Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Barak halten die Fortsetzung der Gespräche für aussichtslos. Je länger sich die Runden hinziehen, so meinen sie, umso größer sei die Gefahr, dass Iran sein Nuklearprogramm absichern und damit die existenzielle Bedrohung für Israel zunehmen wird. In ihren Äußerungen der letzten Zeit lassen sie so gut wie keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, in den kommenden Wochen militärisch vorzugehen. Aus ihrer Sicht kann sich Israel gar nicht die Option leisten, mit einer iranischen Bombe zu leben.

Infolgedessen bleibt nach dem Motto, dass Israel sich auf niemanden als sich selbst verlassen kann, nichts anderes übrig, als Iran zu bombardieren. Und so lange die Ziele in Iran, die man ansteuern muss, um das Programm erfolgreich zu zerstören, angreifbar sind, muss Israel seine beschränkte militärische Fähigkeit nutzen. Je länger man wartet, umso abhängiger wird man von den USA und ihren Interessen.

Mit ihrer Einstellung beweisen Netanjahu und Barak, zum Unbehagen der israelischen Militärführung, dass sie dem amerikanischen Präsidenten misstrauen. Dieser bittet um mehr Zeit und will die Wahlen im November abwarten. Erwähnenswert ist, dass Obama sich Israel deutlich verpflichtet fühlt und sich wie keine andere Regierung für dessen Sicherheit eingesetzt hat. Doch es stellt sich die Frage, ob ein israelischer Alleingang tatsächlich den Interessen des Landes dient.

Israel ist auf die USA, die Europäer und andere Staaten angewiesen

Getragen von der Mission, Israels Existenz zu sichern, muss Netanjahu eines bedenken: Auch bei einem erfolgreichen militärischen Angriff ist Israel auf die USA, die Europäer und andere Staaten angewiesen, um weiter Druck auf Iran auszuüben. Sollte es - und davon muss man ausgehen - zu einer iranischen Gegenreaktion kommen, wird die internationale politische und militärische Unterstützung von großer Bedeutung sein. Eine solche Unterstützung ist nach einem israelischen militärischen Alleingang zu diesem Zeitpunkt längst nicht garantiert.

Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, dass Obama den iranischen Versuch, nukleare Waffen zu erwerben, als inakzeptabel beschrieben hat. Um das Ansehen, die Glaubwürdigkeit und vor allem die Interessen der USA in der Region nicht weiter erodieren zu lassen, wird Obama - sollte er wiedergewählt werden - zu den Waffen greifen müssen, falls es nicht spätestens 2013 zu einer diplomatischen Lösung kommen sollte. Israel bleibt nichts anderes übrig, als auf die USA zu warten. Jede andere Entscheidung würde verheerende Konsequenzen nach sich ziehen.

Shimon Stein, 62, stand mehr als drei Jahrzehnte im Diplomatischen Dienst Israels. Von 2001 bis 2007 vertrat er sein Land als Botschafter in Deutschland. Heute arbeitet der ehemalige Fallschirmjäger und studierte Historiker als Berater.

© SZ vom 16.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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