Iran„Das atomare Wissen ist längst da“

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Ist Iran bald in der Lage, Atomsprengköpfe zu bauen? Ausstellung einer Rakete in Teheran zum 46. Jahrestag der Islamischen Revolution im Februar.
Ist Iran bald in der Lage, Atomsprengköpfe zu bauen? Ausstellung einer Rakete in Teheran zum 46. Jahrestag der Islamischen Revolution im Februar. (Foto: Morteza NikoubazlNurPhoto/Imago)

Iran-Expertin Azadeh Zamirirad hält es für dringend notwendig, das Regime in Teheran vom Atomwaffenbau abzuhalten. Dennoch sieht sie Israels Militärschläge kritisch.

Interview von Lukas Stock

Azadeh Zamirirad befasst sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik mit Iran und dem Nahen Osten. Kurz vor den israelischen Angriffen hatte sie eine Analyse mit „Handlungsoptionen für europäische Politik“ zum iranischen Atomprogramm veröffentlicht. Dort sprach sie sich kritisch gegenüber Militärschlägen aus. Zuerst sollte man alle diplomatischen Mittel ausschöpfen.

SZ: Israel hat Irans Luftverteidigung schon 2024 schweren Schaden zugefügt und dessen Verbündete, Hisbollah und Hamas, geschwächt. Iran stand also recht blank da. Trotzdem hat das Regime in Teheran in den vergangenen Monaten die Urananreicherung drastisch beschleunigt und so Israel Argumente geliefert anzugreifen. Warum?

Azadeh Zamirirad: Iran hat damit unter anderem versucht, seine Verhandlungsposition gegenüber dem Westen zu stärken. Teheran hat seit letztem Jahr wichtige Elemente seiner Abschreckungskapazität verloren. Israel hat führende Köpfe von Hisbollah und Hamas getötet, die für Irans Verteidigungsstrategie zentral waren. In Syrien ist Teherans Verbündeter Assad gestürzt. Und die iranische Flugabwehr ist nahezu ausgeschaltet. Auch deshalb findet sich Iran in Gesprächen mit den USA und europäischen Staaten in einer Position der Schwäche wieder. Im Machtapparat wird mittlerweile offen diskutiert, dass nukleare Aufrüstung – oder zumindest die rasche Fähigkeit dazu – das letzte verbliebene Mittel sein könnte, um die Islamische Republik zu erhalten.

Ich denke aber, insbesondere in den letzten Monaten hat sich Teheran schwer verkalkuliert. Man hat darauf gesetzt, dass man mit den USA und den Europäern verhandeln kann, während man gleichzeitig die Urananreicherung massiv ausweitet und noch immer nicht vollständig mit der Internationalen Atomenergiebehörde kooperiert. Der Druck auf Iran hat sich dadurch von allen Seiten nur noch erhöht. Und dass Israel schon jetzt militärisch eingreifen würde, damit hat man in Teheran trotz aller Vorzeichen offenbar nicht gerechnet.

Die Politikwissenschaftlerin Azadeh Zamirirad ist bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
Die Politikwissenschaftlerin Azadeh Zamirirad ist bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. (Foto: SWP)

Könnte sich die Bevölkerung jetzt aber nicht genau wegen der Angriffe hinter die Elite, das Regime stellen?

Einen breiten „Rally around the flag“-Effekt sehe ich derzeit nicht. Ich habe so einen Effekt nach den letzten israelischen Angriffen gegen Iran 2024 nicht beobachtet und rechne auch jetzt nicht damit. Die Bevölkerung ist verunsichert und die Angst ist groß. Wir sehen bereits erste Fluchtbewegungen aus Teheran. Die Menschen sehen die Bilder und viele fürchten, dass sich der Krieg ausweitet. Doch dass deswegen das System Unterstützung gewinnt, lässt sich in der Breite nicht erkennen.

Die Verantwortung für diese Lage wird in erster Linie der eigenen Führung zugewiesen, die seit Jahrzehnten eine Feindschaft gegenüber Israel aufrechterhält, die in der breiten Masse so nicht geteilt wird. Es gibt keine flächendeckende Rückendeckung für die jahrzehntelange Finanzierung von Gruppen wie Hisbollah oder Hamas. Und viele Iranerinnen und Iraner haben durchaus mit Genugtuung darauf reagiert, dass die Führungsriege im Sicherheitsapparat gezielt durch israelische Angriffe getötet wurde. Nicht wenige hoffen darauf, dass auch der sogenannte Revolutionsführer Ali Chamenei, die absolute Spitze des Staates, einem Angriff zum Opfer fällt.

Sie haben in einem Forschungspapier vor einigen Wochen geschrieben, dass Militärschläge das iranische Atomprogramm höchstens verlangsamen könnten, aber nicht verhindern. Sehen Sie, dass das weiterhin zutrifft?

Die israelischen Angriffe können das Nuklearprogramm in jedem Fall verzögern. Die Frage ist nur: für wie lange? Reden wir hier von Monaten oder Jahren? Das ist bislang noch offen. In jedem Fall wird Teheran versuchen, die nukleare Infrastruktur wiederherzustellen. Das atomare Wissen ist längst da und lässt sich Iran auch nicht mehr nehmen. Nach früheren Attacken und Sabotageakten folgte immer das Gleiche: Anlagen wurden wiederaufgebaut, noch besser geschützt und das Atomprogramm beschleunigt. Im Moment ist auch nicht klar, ob es Israel gelingen wird, alle relevanten Teile des Programms ausreichend zu treffen, vor allem die unterirdische Anreicherungsanlage in Fordo – die mehr als 80 Meter tief im Gebirge liegt.

Sollte Iran irgendwann an Atomwaffen gelangen, könnte das verheerende Folgen haben, insbesondere für die israelische Sicherheit. Man stelle sich zum Beispiel vor, Iran würde einen nuklearen Schutzschirm über Gruppen wie Hisbollah oder Hamas aufspannen oder sie mit „schmutzigen Bomben“ ausstatten. Außerdem könnte es andere Länder in der Region ermutigen, selbst nach Nuklearwaffen zu streben, allen voran Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Iran von Atomwaffen abzuhalten ist daher absolut dringlich. Aber zu einer nachhaltigen Lösung können Militärschläge nur bedingt beitragen. Irans Atomprogramm muss vor allem wieder unter umfassende Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde gestellt werden. Dazu hätten die laufenden Verhandlungen zwischen Washington und Teheran ja auch beitragen sollen.

Für solche Verhandlungen war Israels Angriff vermutlich nicht besonders hilfreich.

Unter den derzeitigen Bedingungen sind keine Gespräche möglich. Iran hat die letzte Verhandlungsrunde mit den USA, die in Oman hätte stattfinden sollen, abgesagt. Teheran macht Washington mitverantwortlich für die israelischen Angriffe und es wird daher zumindest nicht leicht sein, Gespräche wiederaufzunehmen. Ich glaube, dass Militärschläge durchaus auf dem Tisch hätten sein sollen und müssen, aber als letztes Mittel, um das Programm zumindest zu verzögern. In diesem Fall waren längst noch nicht alle diplomatischen Optionen ausgeschöpft. Und die israelische Regierung hätte sich auch für Sabotageakte an Irans nuklearer und militärischer Infrastruktur entscheiden können, die wohl nicht so leicht in einen offenen Krieg gemündet hätten mit all seinen Risiken und schwerwiegenden Folgen.

Welche Optionen bis auf Raketenschläge hat Iran überhaupt noch, um jetzt auf Israels Angriffe zu reagieren?

Irans Eskalationsmöglichkeiten sind vergleichsweise begrenzt. Eine Möglichkeit bestünde darin, ganz aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen – etwas, womit in Teheran schon seit 2003 immer wieder gedroht wird. Nachdem Israel nun auch iranische Energieinfrastruktur angegriffen hat, könnte Iran sich auch entscheiden, die Straße von Hormus am Persischen Golf zu blockieren, die für den globalen Ölhandel wichtig ist. Die Kapazität dazu hat das Land.

Gleichzeitig könnten Irans Verbündete in Jemen, die sogenannten Huthi-Rebellen, wieder Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer ausüben. All das könnte unter anderem den Ölpreis massiv in die Höhe treiben – etwas, das vor allem die Trump-Administration nicht sehen will. Von ihr hängt es auch entscheidend ab, wie weit Iran jetzt noch gehen wird: Wenn für Teheran noch eine glaubhafte Aussicht auf eine politische Einigung mit Washington besteht, ist auch Deeskalation noch möglich.

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