Süddeutsche Zeitung

Naher Osten:Bundesregierung will Kampf gegen IS im Irak fortsetzen

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Die Bundesregierung will den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak ungeachtet der wachsenden Spannungen nach der Tötung des iranischen Top-Generals Qassim Soleimani fortsetzen. "Der Irak darf nicht im Chaos versinken. Und schon gar nicht darf der Irak unter die Kontrolle von Extremisten geraten", erklärte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Samstagabend nach Regierungsberatungen und einer Unterrichtung der Obleute im Bundestag zur Lage. Es sei wichtig, im Kampf gegen den IS jetzt nicht nachzulassen. Deutschland werde gemeinsam mit den Partnern weiter den IS bekämpfen und Beiträge zur Stabilisierung der Region leisten.

Zur Lage im Irak hatte zuvor eine Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit der Bundesverteidigungsministerin, dem Bundesaußenminister, dem Bundesinnenminister und dem Kanzleramtsminister stattgefunden.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock hatte gefordert, nach der Tötung des iranischen Generals durch die US-Armee alle etwa 120 deutschen Soldaten aus dem Irak herauszuholen. "Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran eskaliert dramatisch", sagte Baerbock der Nachrichtenagentur dpa. Damit sei die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten im Irak nicht mehr zu gewährleisten. "Wir fordern die Bundesregierung inständig auf", den sofortigen Abzug "aller deutschen Truppen einzuleiten". Am Irak-Einsatz jetzt festzuhalten, wäre "schlicht unverantwortlich".

Vertreter der großen Koalition in Berlin sehen das anders: Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen spricht sich gegen einen Abzug aus dem Irak aus. Die Stärkung der irakischen Armee sei "entscheidend dafür, dass Irak als Staat langfristig seine eigene Sicherheit selbst gewährleisten kann", sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Der deutsche Beitrag hierfür ist darum ein Gebot unserer außenpolitischen Verantwortung. Er folgt genauso unseren eigenen Sicherheitsinteressen."

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken plädiert dafür, die Lage der Bundeswehrsoldaten im Irak zunächst zu beobachten. Eine Überprüfung des Mandats sei möglich, wenn sich die Situation dort ändern sollte, sagte Esken im Deutschlandfunk. Nach der Tötung Soleimanis hat die Bundeswehr die Ausbildung von Soldaten im Irak ausgesetzt. Esken sprach von einer "Sicherungsmaßnahme für unsere Soldatinnen und Soldaten".

Die Mission sei zwar "richtig angelegt" gewesen, sagte die SPD-Vorsitzende, die die Partei gemeinsam mit Norbert Walter-Borjans führt. Aber nun sei eine "gefährliche Eskalation" entstanden. Sie rechne mit einer Radikalisierung Irans. Dieser werde auf die Attacke reagieren, das werde ebenfalls "Menschenleben kosten". Aufgabe der Europäer sei es nun, sich auf diplomatischem Wege für eine Deeskalation einzusetzen.

Bundeswehr setzt Ausbildungsmission vorerst aus

Die Bundeswehr hatte zuvor bekannt gegeben, die Ausbildung von Sicherheitskräften der Kurden und der Zentralregierung im Irak auszusetzen. Eine entsprechende Entscheidung habe das Hauptquartier der Koalition gegen die Terrormiliz IS zum Schutz der eigenen Kräfte getroffen, teilte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr den Obleuten im Verteidigungsausschuss des Bundestages am Freitagabend mit. Dies sei für alle beteiligten Partnernationen bindend.

"Damit ruht vorübergehend die Ausbildung für die irakischen Sicherheits- und Streitkräfte im gesamten Irak", hieß es in der Unterrichtung. Zuvor waren schon im Zentralirak die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden. Das Hauptquartier der Militärkoalition ordnete dort Einschränkungen für Bewegungen am Boden und in der Luft an.

Insgesamt zählt das deutsche Kontingent für den internationalen Einsatz gegen den IS ("Counter Daesh") derzeit 415 Männer und Frauen. Geführt wird es aus Jordanien, wo davon aktuell etwa 280 Soldaten stationiert sind. Knapp 90 Bundeswehrleute sind im nordirakischen Kurdengebiet im Einsatz, um dort kurdische Kräfte auszubilden. Ihre Schulungen ruhen nun.

Im Militärkomplex Tadschi, 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bagdad, sind derzeit 27 Bundeswehrsoldaten für die Ausbildung irakischer Kräfte. Bisher standen ABC-Abwehr, Logistik und Hochbau für Pioniere auf dem Programm. Derzeit liefen in Tadschi allerdings nur Vorbereitungen für den nächsten Kurs, der Mitte Januar beginnen soll. Zudem gibt es im Hauptquartier der Anti-IS-Koalition in Bagdad fünf deutsche Soldaten.

Auch die Nato hat die Truppenausbildung im Irak vorerst gestoppt. Sprecher Dylan White betonte am Samstag jedoch, dass die Mission grundsätzlich weitergehe. "Aber die Ausbildungsaktivitäten sind vorübergehend ausgesetzt." Die Nato beobachte die Lage in der Region sehr genau, sagte White. Die Sicherheit des Personals habe Priorität. "Wir werden weiterhin alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen treffen." Generalsekretär Jens Stoltenberg habe nach den jüngsten Entwicklungen mit US-Verteidigungsminister Mark Esper telefoniert.

USA schicken weitere Truppen in die Region

Die US-Regierung entsendet derweil knapp 3000 weitere Soldaten in den Nahen Osten. Das berichteten mehrere US-Medien und Nachrichtenagenturen unter Berufung auf Quellen im US-Militär. Hintergrund ist auch hier die wachsende Spannung mit Iran. Etwa 700 Soldaten waren in dieser Woche nach Kuwait entsandt worden, nachdem die US-Botschaft in Bagdad von Milizanhängern und deren Unterstützern angegriffen worden war.

Die Tötung des Generals Soleimani durch eine Reaper-Drohne der USA gilt als eine erhebliche Eskalation des Konflikts zwischen Washington und Teheran. Iran kündigte eine "harte Vergeltung" für die Tötung des Generals an.

US-Präsident Donald Trump beteuerte später in Florida, er wolle keinen Krieg mit Teheran. "Wir haben gehandelt, um einen Krieg zu beenden", sagte er. "Wir haben nicht gehandelt, um einen Krieg zu beginnen." Die Vereinigten Staaten wollten Frieden, Partnerschaft und Freundschaft mit anderen Ländern. Sein Land strebe auch keinen Regimewechsel in Iran an. Die Vereinigten Staaten täten aber alles, um die eigenen Diplomaten, Soldaten und Bürger zu schützen.

Maas warnt vor "Brand" der ganzen Region

Die Vereinten Nationen warnten genau wie verschiedene Vertreter europäischer Länder vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. Außenminister Heiko Maas meldete sich über den Twitterkanal des Auswärtigen Amtes zu Wort. "Die US-Militäroperation folgte auf eine Reihe gefährlicher Provokationen Irans. Es ist durch die Aktion aber nicht einfacher geworden, Spannungen abzubauen", sagte Maas. Das habe er auch US-Außenminister Mike Pompeo "deutlich gesagt". Es gehe jetzt darum, eine weitere Eskalation zu verhindern, die die ganze Region "in Brand" setzen könne. Deutschland werde gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich über Möglichkeiten, die Lage zu beruhigen, beraten.

Da die Vereinigten Staaten keine eigene Botschaft in Iran haben, vertreten Schweizer Diplomaten seit 1980 die US-Interessen in Teheran. Der Geschäftsträger der schweizerischen Botschaft sei im Zusammenhang mit dem Schutzmandat, das die Schweiz für die USA ausübe, am Freitag in Teheran ins Außenministerium bestellt worden, teilte das Außenministerium in Bern mit. Dabei habe die Regierung ihre Sicht der Dinge dargelegt, und der Geschäftsträger habe eine Botschaft der USA überbracht. Die Schweiz hat beide Seiten aufgerufen, Eskalationen zu vermeiden.

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